Märchenwelt im Jesuitenbarock
Die Erzählerin Rena Geilich aus Bischofswiesen forderte mit sanftem Ton auf, ihr ins Land des Märchens zu folgen und alle schweren Gedanken fallen zu lassen. „Der Fischer und seine Frau“ , die bekannte Mär von der Unmäßigen und vom verwunschenen Prinzen, der alles Begehren erfüllt - bis eben auf eines, stellte sie in freiem Vortrag begeisternd dar.
Roland Greißls Darlegung über das Volksmärchen aus literaturwissenschaftlicher Sicht bildete den Schwerpunkt des Abends. Der Germanist breitete sein fundiertes Wissen vor dem geduldig lauschenden Publikum aus und führte über den Bereich des Erzählens zur Deutung der Stücke. Dabei gelang es ihm sicher, seinen Zuhörern das Auge für die Eigenheiten dieses alten Kulturgutes, für die oft bizarr erscheinenden Handlungsabläufe zu öffnen.
Klaus Köhler trug Auszüge der Geschichte vom Fischer und seiner Frau gekonnt auf Platt vor, der originalen Sprachebene dieses Märchens.
Roland Greißls Auslassungen über Motive und Struktur des Märchens informierten über die starren Schemata, die einfache Sprache, die Eindimensionalität – und man erfuhr auch, dass in diesen Erzählstücken die diesseitige und jenseitige Welt stets eine Einheit bilden. Sein Vortrag war immer wieder mit Beispielen angereichert, Märchen oder auch nur Passagen daraus, die der Referent frei vortrug. Rena Geilich leitete mit „Hans im Glück“ zum Abschluss über. Von Martje Herzog wurde schließlich noch einmal Musik von G. F. Händl interpretiert.
Anmerkung des Verfassers:
Die Forderung, die Wiedergabe von Märchen textgetreu zu gestalten, sollte überdacht werden. Dabei könnte von der Unterscheidung Volksmärchen und Autorenmärchen (Andersen, Hauff & Co.) ausgegangen werden . Die korrekte Rezitation der autorenbekannten Texte ist gewiss eine Notwendigkeit. Die Volksmärchen schöpften jedoch über die Jahrhunderte hinweg ihre Kraft aus der Veränderung im historischen und gesellschaftlichen Kontext. Von Mund zu Mund verbreitet, fanden sie stets ihre Abstimmung an der Zeit und aus dem Kontakt mit der Zuhörerschaft. Erst die Notiz, z. B. der Brüder Grimm, schrieb die Volksmärchen fest. Dass die beiden Sprachgelehrten jedoch ihre Formulierung selber nicht für unumstößlich hielten, zeigt die Entstehungsgeschichte ihres Werkes: Die erste Ausgabe, streng an den vermittelten Wortlaut gebunden, war verlegerisch ein Reinfall. Die Derbheit der Texte wurde kritisiert. Erst die angebürgerte (eigentlich zeitlich und gesellschaftlich angepasste) Fassung führte zum Erfolg. Es könnte nun die Frage gestellt werden, ob die Volksmärchen nicht wieder mehr an Bedeutung gewännen, wenn sie sich der Volksmund zurückholte. Ansätze dazu hat es immer wieder gegeben.