Lehrjahre 1 - Im Auftrag des Grundgesetzes
Lehrjahre 1
Im Auftrag des Grundgesetzes, oder:
Erinnerung an einen verstrichenen Termin vor 60 Jahren
Am 23.Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet, und trat damit in Kraft, in der Präambel im § 1 steht ein Satz, der einmalig in der deutschen Geschichte ist:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Nach dieser Weisung sollte nun jede Handlung innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bewertet werden, sie war und ist das Maß aller Dinge, jedes Tun und Lassen darf nicht in Widerspruch zu dieser Präambel stehen, auch jedes Gesetz, ob ältere oder neue hatten dies zu beachten,
und damit begann ein Dilemma, denn eine Vielzahl aller damals übernommenen und weiterhin geltenden gesetzlichen Vorschriften der jungen Bundesrepublik erfüllten die Voraussetzung an diesem 23. Mai 1949 nicht, das war den Vätern des GG durchaus bekannt und man wollte durch eine grundlegende Reform u.a. das bis dahin geltende und nun als ein „nicht mehr zeitgemäßes, wenn auch durch Tradition gefestigtes Recht“ in ein anderes zeitgemäßes Recht überführen,
hierzu gehörte auch das Familienrecht, denn das neue Grundgesetz hatte zum ersten Mal in der Geschichte die Gleichberechtigung von Mann und Frau erklärt.
Soweit, so gut, das Grundgesetz schaffte aber „nur“ die Voraussetzungen hinsichtlich Regelungen für das neue Verständnis,
indem es die Gleichberechtigung verfassungsrechtlich verankerte, entsprechende selbsterklärende gesetzliche Bestimmungen für die Lebenspraxis enthielt es nicht, das war auch nicht seine Aufgabe, es gab aber den Auftrag, Bestimmungen zu schaffen, die mit dem GG vereinbar sind, und zwar mit dem Artikel 117 GG, wonach alle gesetzlichen Bestimmungen an das neue Gleichberechtigungsgebot angepasst werden mussten, und es setzte eine Frist hierfür bis zum 31. März 1953.
Diese Frist ließ die damals amtierende Bundesregierung vor 60 Jahren verstreichen, weil das neue Denken nicht bei allen erwünscht war, das bestehende Eherecht, und somit das Recht der elterlichen Gewalt, ein Privileg des Ehemanns wurde nicht angetastet, weil konservative Kreise vor allem aus Reihen der Kirche massiven Widerstand leisteten, um die „natürliche Eheordnung“ nicht durch „eine durch nichts zu rechtfertigende und absurde Gleichberechtigung“ zu stören.“
Aussprüche wie „wenn Frauen die Hosen anhaben, geht die Welt unter“ kursierten in der Bevölkerung, auch mein eigener Großvater, selbst Vater von drei Töchtern war nach Aussagen meiner Eltern dieser Meinung.
Nun ist ja wirklich so, dass die Welt nach 1953 schon einige Male am Rande der Apokalypse stand, aber ob Hot Pants oder andere weibliche Hosen daran schuld waren, ist bis heute nicht erwiesen.
Wie dem auch sei, der Auftrag des Grundgesetzes war bis zum 31.März 1953 nicht durchsetzbar, wobei es wohl zu einfach wäre, der damaligen Regierung die Alleinschuld daran zu geben, zumal sie im Oktober 1952 einen Gesetzesentwurf vorlegte, der zumindest „die gravierendsten nunmehr verfassungswidrigen Vorschriften“ beseitigen oder zumindest anpassen sollte, die da waren: Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes in der Ehe (auch über das von der Ehefrau eingebrachte Vermögen) und den Gehorsamsparagraphen, hieran änderte sich zunächst einmal nichts.
Der wohl gut gemeinte Gesetzesentwurf war am Stichtag 31.März 1953 noch immer in der Beratung, ohne Hoffnung darauf, wirklich eine Regelung zu finden, eine Verabschiedung dieses Gesetzes wurde immer wieder hinaus geschoben.
Mit Ablauf des Stichtags 31.März 1953 war die Situation schlimmer als vor Verkündigung des Grundgesetzes, das alte Recht durfte nicht mehr gelten, und ein neues Recht gab es nicht.
Immerhin erging eine Aufforderung an die Gerichte, dafür zu sorgen, dass nunmehr entstandene „Rechtsvakuum“ durch Entscheidungen im Einzelfall zu klären.
Erst 1957 brachte die Bundesregierung den Gesetzesentwurf von 1952 mit einigen Änderungen wieder ein, und am 1. Juli 1958 – über 5 Jahre nach Stichtag - trat das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft.
Anmerkung
Diesen Artikel wollte ich zum 1. April 2013 am Jahrestag des Vakuums veröffentlichen, die Nähe dieses Tages zum Aprilscherz ließ das nicht zu.
Daher heute am 1. Mai, zum Tag der Arbeit, denn dieses Gesetz war ja offensichtlich ein hartes Stück Arbeit, und ist es wohl auch geblieben.
Gerd Szallies
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