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Landschaft und Mensch - die Eröffnungsrede von R.F. Myller

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
Sie werden sich sicher wundern, warum diese Ausstellung Landschaft und Mensch heißt, wo doch nur wenige Menschen abgebildet sind. Sie werden aber sehen, er ist immer präsent in meinen Bildern, immer und überall.
Landschaft ist das Gegenteil von Natur, Landschaft ist durch den Menschen geschaffen, ist ohne den Menschen nicht denkbar und nicht sichtbar. Der Mensch formt sich die Natur, er macht sie sich, wie in der Genesis beschrieben, untertan, bis sie Landschaft geworden ist. Er zerstört die Natur immer und immer wieder, bis sie Landschaft geworden ist und auch die wird immer wieder verändert, geformt, zerstört, nach seinem Ebenbild geschaffen. Auch in meinen Bildern ist der Mensch trotz Abwesenheit immer präsent, er hat all die Landschaften geschaffen, die ich fotografiert, skizziert, aquarelliert, in Holz geschnitten und in Öl gemalt habe.
Nach Wolfgang Schirmacher, einem New Yorker Philosophen, verwandelt sich Natur unaufhaltsam in einen Garten, die Erde wird zur Welt und Landschaft wird der Lebensraum des Menschen. Das was übrig bleibt, nennen wir unterentwickelt, es sind die verbliebenen Enklaven unberührter Natur, und dies setzen wir fast immer gleich mit Armut, Hunger - Not. Landschaft ist immer verknüpft mit der Idee des Fortschritts.
Nehmen wir als Beispiel die Lüneburger Heide, die bis vor 2000 Jahren dicht bewaldet war, und dann komplett gerodet wurde für den Fortschritt, für den Bau von Städten und Schiffen. Die dünne Schicht fruchtbarer Erde wurde weggeweht und übrig blieb unfruchtbarer Sandboden. Überhaupt wurde fast ganz Deutschland entwaldet, im Namen des Fortschrittes, schon Martin Luther beklagte sich hierüber. Richtige Natur – urwüchsig - finden wir in unserem über die Maßen zersiedelten Land kaum noch.
Oder als extremes Beispiel Holland, dessen Landfläche in den letzten 1000 Jahren um über die Hälfte gewachsen ist, durch den Menschen dem Meer entrissen wurde. Hier war vorher keine Landschaft, nur Natur in Form von Meer, nichts was von Menschen bewohnt werden könnte.
Der Mensch formt sich die Natur nach seinen Vorstellungen. Der Begriff der Landschaft taucht zum ersten Mal in der römischen Kultur auf, locus amoeus, also ein Ort, an dem bestimmte Versatzstücke wie Quelle, Wiese oder Bach in einem gefälligen Zusammenhang stehen, auf dass sie dem Betrachter ein Gefühl des Wohlseins und der Daseinswonne vermitteln. Bella Vista, der schöne Ausblick ist eine Erfindung der Renaissance, greift aber auf uralte Sehgewohnheiten aus der Urzeit des Menschen zurück, der sich immer einen erhöhten Platz gesucht hat, um die Savanne überblicken zu können. Auch jetzt sucht sich der Mensch schöne erhöhte Aussichtspunkte, um sich gleichsam über die Natur zu erheben. Landschaft, wie wir sie kennen und sehen, ist immer Menschen-gemacht.
Der Mensch beeinflusst die Landschaft und die Landschaft beeinflusst ihn. Das Leben in größeren Städten wird weitestgehend durch die in ihm vorhandenen Landschaften geprägt. Menschen sammeln sich zur Erholung in den Stadtwäldern oder an den Gewässern.
Der Mensch schafft die Landschaft und die Natur muss weichen, aber manchmal muss auch der Mensch weichen. Nehmen wir den Braunkohletagebau in der Lausitz oder in Nordrhein-Westfalen bei Garzweiler. Ganze Landstriche werden umgepflügt, werden weggebaggert und mit ihnen ganze Dörfer, ganze Lebensräume von Menschen, neue Landschaften entstehen auch heute noch.
In der Kunst spielte Landschaft auch schon immer eine Rolle, zuerst nur als Beiwerk in der gotischen oder romanischen Malerei. Sie stand immer als Symbol für die ganze Welt oder als Garten Eden. Zu Beginn der Renaissance wurde die Landschaftsmalerei dann eine eigenständige Gattung. Die ersten reinen Landschaftsbilder ohne menschliche Staffage sind die Aquarelle von Albrecht Dürer, das erste richtige Landschaftsgemälde stammt von Albrecht Altdorfer, eine kleine Donaulandschaft mit Abendstimmung.
Darauf folgten die niederländischen Weltlandschaften, die in ihrer Grenzenlosigkeit für den gesamten Menschen standen. Ich denke hier an die wunderbaren kleinen Landschaften mit den windschiefen Hütten des Jan van Goyen. Auch in der chinesischen Kunst ist die Landschaft Sinnbild des Kosmos, der Ausdruck für Landschaft ist z.B. gleichbedeutend für Berg und Wasser.
Die Holländer wurden abgelöst von den französischen Ideallandschaften, danach kamen die Engländer, die die Landschaftsmalerei zu ihrer höchsten Blüte und Vollendung führten. John Constable, der die Schönheit nicht im Fernen suchte, sondern quasi gleich um die Ecke im beschaulichen ländlichen England mit seinen Hecken, Heuschobern und kleinen Bächen. Zeitgleich sein größter Konkurrent Joseph Mallord William Turner, der Gott des Lichtes und der Farbe, der höchste aller Maler, zumindest in meinen Augen. Es gibt viele Namen, die ich in diesem Zusammenhang nennen könnte, vielleicht noch Richard Parkes Bonington. Bei Ihnen allen sehen wir die Landschaft immer als vom Menschen geschaffen, als Teil des Menschen, als ein Zusammenspiel von Natur und Individuum.
Diese führte über die symbolischen, alle Tiefen des Menschen auslotenden Landschaften eines Max Beckmann bis hin zu den „bigger pictures“ eines David Hockney, auch hier wieder der Wald um die Ecke im beschaulichen England der Jetzt-Zeit, nichts hochdramatisches, nichts Spektakuläres, Landschaft als pure Malerei, ganz bei sich selbst.
Dies alles sind nur Beispiele, alle wichtigen von mir geliebten Künstler, vieles mag Ihnen vielleicht fehlen.
Bei einem der anderen größten Landschaftsmaler, dem Greifswalder Caspar David Friedrich, kann man gut beobachten, wie die Konstruktion der Landschaft durch den Menschen in eine Konstruktion des Landschaftsbildes durch den Künstler umgesetzt wurde. Viele seiner Landschaften hat er gar nicht gesehen, sondern von Zeitgenossen Reiseskizzen kopiert oder sogar abgekauft. Eines seiner berühmtesten Gemälde „Der Watzmann“ hat er aus Zeichnungen dreier Landschaften zusammengesetzt, der Gipfel ist der Watzmann, der Mittelgrund Böhmen, der Vordergrund der Harz.
Ähnlich entstehen auch meine Bilder. Auf Reisen mache ich hunderte von Fotos, Skizzen, Aquarelle. Daraus entstehen in langen Prozessen die Gemälde, die sichtbaren Spuren des Machens, des Gemachtseins sind mir immens wichtig. Oft entstehen sie Jahre nach den ursprünglichen Vorabreiten, irgendwann ist das Bild reif, von mir gemalt zu werden, wie ein Schatz der gehoben werden kann. Mit wenigen Ausnahmen habe ich alle hier gezeigten Landschaften gesehen, habe ich eine Beziehung zu ihnen, habe ich sie vor Ort erlebt. Die wenigen Ausnahmen sind, weil mich ein Bild gereizt hat wie das Doppelporträt von Benjamin Britten und Peter Pears, das ich zu den Zwei Männern am Meer umgewandelt habe oder der Holzschnitt „Frau am Meer“, weil mich das Zeitungsfoto als Symbol gereizt hat. Und natürlich: die Aquarelle und Holzschnitte nach meinem großen Vorbild William Turner.
Jetzt ist aber genug geredet, die Bilder werden ihnen sicher viel mehr sagen können. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen einen kleinen Zugang zu meiner Bilderwelt geben konnte.
Vielen Dank.

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