Hilfe
Alle Jahre wieder flattern die Werbe-, Bitten-, Bettelbriefe der verschiedenen Hilfsorganisationen auf den Tisch. Ein Betrag soll gespendet werden, am besten als Dauerauftrag, noch besser als Einzugsermächtigung. Der Werber kommt ans Haus, eine Liste in der Hand, der Nachbar hat schon ... Sie wollen doch nicht darunter bleiben ...alles für eine gute Sache ... anerkannt (steuerlich absetzbar) ...helfen, wir wollen helfen, helfen Sie uns, dass wir helfen können ... Na ja, und so weiter.
Da soll monatlich abgebucht werden, nur ein kleiner Betrag, nur 2 Euro. Aber wie viel dieser für die Hilfe in irgendwo gespendeten 2 Euro werden wofür ausgegeben? Das fängt schon mit den Buchungskosten für den Geldeinzug an. Was bekommt der Werber? Der ausgebeutete Idealist nichts, vielleicht eine kleine Aufwandsentschädigung, Fahrgeld, der Profiwerber bekommt bedeutend mehr, er lebt davon. Dann haben wir die Verwaltungskosten der Hilfsorganisation, die Gehälter der Geschäftsführer. Aber irgend etwas bleibt noch, um die Hilfsgüter zu erwerben, mitunter wirklich ehrlich gekauft, nicht irgendwie geschnorrt. Jetzt müssen diese Hilfsgüter auch noch vom Ort des Erwerbs zum Einsatzort transportiert werden, damit entstehen neue Kosten. In Kriegsgebieten muss auch noch an die kriegführenden Parteien - also die, die Notlage, um deren willen überhaupt geholfen werden muss, selbst verursachen – einen „Zoll“ gezahlt werden, sie schöpfen, je nach ihren Bedürfnissen viel oder wenig des Spendenmaterials für sich ab. Wie viel kommt dann noch bei den eigentlichen Spendenempfängern, der Zielgruppe an?
Dann, wer sind die „Helfer“ vor Ort? Sicher, einige sind Idealisten. Aber alle? Auch ein Abenteurer spielt mal Helfer, schließlich wird er in dieser Zeit ja auch irgendwie versorgt, das senkt die Kosten für den Abenteuertrip deutlich. Andere tun es für Geld, sie sind reine Söldner, eben Helfersoldaten.
Wieder zurück zu meinem Werber an der Haustür. „Aber die paar Euro werden Sie doch für einen guten Zweck übrig haben – das ist ja weniger als eine Schachtel Zigaretten – rauchen Sie eine Schachtel weniger, ist ja ohnehin gesünder ...“ Ich rauche nicht. Aber dafür kann ich rechnen: Zwanzig oder dreißig kommen an, wollen alle nur für einen guten Zweck ein paar Euro, selbstverständlich jeden Monat, macht aber eben zwanzig oder dreißig mal ein paar Euro – und das ist dann auf einmal ein ziemlicher Betrag und eben weit mehr, als ich mir leisten könnte.
Aber warum kommt jemand überhaupt in Not, so dass ihm geholfen werden muss? Eine große Klamotte fällt vom Himmel, daran ist die Menschheit nicht schuld, und die betroffenen schon gar nicht. Ein Erdbeben, eine Flutwelle in vielen tausend Kilometer Entfernung, nicht von Menschen gemacht. Das mögen die großen Fälle der Not sein, die Hilfe erfordern. Im kleinen, alltäglichen sieht es ganz anders aus: einer fällt, stolpert auf der Straße, hat Mühe aufzustehen, hier reicht eine helfende Hand aus. Also es geht im Großen wie im Kleinen um die Fälle, in denen der Mensch ganz allgemein nicht schuld ist. Aber wie ist es, wenn sich jemand selbst in eine Notlage bringt, muss ihm dann geholfen werden? Und wie ist es, wenn die Notlage durch Menschen selbst verursacht wird? Schlechte Regierung, Krieg, Bürgerkrieg? Führt hier jede Hilfe von außen nicht nur dazu, dass diese Ursache der Notlage noch länger erhalten bleibt?
Vor rund drei Jahrzehnten wurde an den Schulen gesammelt für „eine Pumpe für den Sahel“ - heute wissen wir, dass jede dieser Pumpen, wenn sie denn funktionierten, nur das Grundwasser absenkten und die Ausbreitung der Wüste beschleunigten – Hilfe zur Verwüstung? In Ägypten wurde der Nil mit dem Assuandamm gestaut, seither fehlen die Nilüberschwemmungen, der Boden versalzt und wird unfruchtbar, der Stausee selbst füllt sich mit Sedimenten, es ist absehbar, dass die gedachte Stromerzeugung erliegen wird – Hilfe zur Verwüstung? (Übrigens: einige Stimmen verlangen schon seit Jahren, dass die Staaten, die für diesen Damm das Geld gaben, jetzt für diese Schäden aufkommen sollen – Deutschland soll wieder einmal zahlen.) Wir bringen unsere Lebensmittelüberschüsse als Geschenke nach Afrika, die dortige Landwirtschaft wird damit zerstört – Hilfe zur Verelendung?
Aber von all dem sagt der Werber an der Haustür nichts.
Hilfe für wen? Hilfe wie? Hilfe als Geschäft? Und was machen die vielen „Hilfsorganisationen“ wenn es gerade mal keine wirklichen Hilfsgründe gibt, erfinden sie welche, schaffen sie welche?
23.10.2009
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen
Auch Helfen hat Schattenseiten.
Sehr schön zusammengefasst.