Die Überlebenskünstler kommen an ihre Grenzen
Kuba im Früjahr 2024: Viva la Daseinsvorsorge!
Das ist kein klassischer Kuba-Reisebericht. Die folgenden Zeilen werden nicht von Oldtimern, Zigarren, Rum und Salsa handeln. Im Fokus stehen persönliche Erfahrungen des Autors mit der Energie- und Wasserversorgung, der Abfallwirtschaft und Telekommunikation in Kuba.
Es ist 13:57 Uhr und im Zimmer der gemütlichen Casa Particular, wie die privat vermieteten Unterkünfte heißen, versiegt plötzlich der kühlende Luftstrom aus der Klimaanlage. Auch die Steckdosen im Zimmer verweigern das Aufladen unserer Handys. Stromausfälle wie an diesem Tag in Trinidad sind keine Seltenheit. Die Menschen in Kuba haben sich daran gewöhnt. Als wir gegen 14:15 Uhr unsere Siesta beenden und das Zimmer verlassen, ist der Strom noch nicht zurück.
Zwar kann es auch im Unterallgäu mal lokal zu Stromunterbrechungen kommen, wie etwa im August vergangenen Jahres wegen Unwetters in Türkheim. Mit einer durchschnittlichen Unterbrechungsdauer von durchschnittlich rund 11 Minuten pro Jahr ist Deutschland aber weltweit eines der Länder mit der höchsten Stromversorgungsstabilität.
„Die Energie-Matrix von Kuba basiert überwiegend auf der Verbrennung von Öl“, berichtet einer der Fremdenführer in Deutsch während einer Wanderpause im Viñales-Tal. Wegen des US-Embargos stamme der fossile Energieträger überwiegend aus Russland und Venezuela, erklärt der gelernte Wirtschaftsingenieur. Seit vielen Jahren arbeitet er in der Tourismusbranche, weil er hier deutlich mehr Geld verdienen kann als mit einer staatlichen Arbeitsstelle.
Die Kraftwerk-Schornsteine, die wir in Kuba sehen, blasen tiefschwarze Rauchschwaden in die Luft und verdunkeln stellenweise den Himmel. Der Gedanke an eine mögliche Abgasreinigung oder Filter erscheint bei deren Anblick lächerlich. Über Freileitungsmasten und Stromkabel, die sich von den Masten wie ein Spinnennetz hinab zu den Häusern spannen, gelangt die elektrische Energie zu den Menschen.
Auch am Stadtrand von Cienfuegos steht ein Kraftwerk, das in einem regelmäßigen Rhythmus Rußpartikel in den Himmel schleudert. Gut zu sehen ist das von der Dachterrasse des Hotels La Union, dem perfekten Platz, um bei einem Mojito den Sonnenuntergang zu genießen.
Der Ort ermöglicht nicht nur einen spektakulären Blick auf das zum Weltkulturerbe ernannte historische Stadtzentrum, sondern auch auf die am Horizont sichtbare Bauruine des nie fertiggestellten Atomkraftwerks Juraguá. Mit dem Zerfall der Sowjetunion war auch dessen Zukunft besiegelt. Heute steht es als Mahnmal für einen Irrweg und erinnert an eine Zeit, in der es als weitgehend normal galt, hochgiftigen Müll und die gewaltigen Langzeitkosten für dessen Lagerung nachfolgenden Generationen aufzubürden. Die Atomkatastrophen in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben sich in das kollektive Menschheitsgedächtnis eingebrannt. In Deutschland sind die Bilder mit dem brennenden Atomkraftwerk Krümmel nahe Hamburg in Erinnerung geblieben.
Ein Spaziergang entlang einer kubanischen Straße gleicht einer Zeitreise in die Vergangenheit, ohne Katalysatoren und Abgasnormen - dafür mit verbleitem Benzin und atemraubenden Abgasen. Gefühlt würde ein einziges dieser Fahrzeuge in einem Luftkurort wie Sonthofen, Immenstadt oder Pfronten genügen, um das Qualitätssiegel dauerhaft zu verspielen.
Kuba erlebt aktuell die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Ende der Sowjetunion. Seit mehreren Jahren hat die Inflation das Land im Griff und prägt das Alltagsleben. Im Internet kursieren verschiedene Zahlen zur Inflation, laut Statista lag sie 2022 bei 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Eine Stiege Eier, die vor etwa drei Jahren für rund 60 Pesos zu haben war, kostet inzwischen 3.000“, berichtet eine Verkäuferin. Zum Vergleich: Der monatliche Durchschnittslohn beträgt rund 5.000 Pesos.
Wer kann, lässt sich seine Waren und Dienstleistungen in Euro, US-Dollar, oder kanadische Dollar bezahlen. Viele Restaurants haben sich angepasst. Die Rechnung für Essen und Getränke können Gäste in verschiedenen Währungen begleichen. Wer mit Devisen bezahlt, kommt deutlich günstiger weg. Das gilt auch für den Umtausch. Während der offizielle Kurs bei etwa 1:120 liegt, erhält in den Casa Particulares für einen Euro zwischen 200 und 260 Pesos. Wer sich vor der Reise nach Kuba mit 5-, 10-, und 20-Euro-Scheinen eindeckt, kann beinahe überall ohne Umtausch bezahlen.
Auch Benzin und Dieselkraftstoff sind Mangelware und rationiert. Wegen der unsicheren Versorgungslage bunkern die Fahrer Benzin auf Vorrat in Plastikflaschen. Der beißende Gestank strömt nicht nur aus den Auspuffen. Vor allem in älteren Autos umweht Fahrer und Gäste ein betörender Benzin- und Ölgeruch wie man ihn aus alten Schrauberwerkstätten kennt.
Einen wohltuenden Kontrast zu den röhrenden, wummernden und knatternden Straßenkreuzern, Lastwagen und Motorrädern bildet das leise Surren auffällig vieler Elektroroller. Auch in Kuba hat die Energiewende längst Einzug gehalten. Hier und da produzieren Photovoltaikanlagen, Windräder und Wasserkraftanlagen wie sie im Allgäu vor allem entlang der Iller zu finden sind, klimafreundliche Energie. Wohl kaum ein anderes Land auf der Welt spürt aktuell so sehr die Kehrseite der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Und kaum ein anderer Ort hat so viel Sonnenschein und Wind zu bieten wie Kuba.
Marode Wasserleitungen
65 Jahren Kommunismus kubanischer Ausprägung und US-Embargo haben in dem Land deutliche Spuren hinterlassen. Auch bei der Wasserversorgung. LKWs mit Transporttanks für Wasser pumpen ihre flüssige Ladung in die Wassertanks auf den Hausdächern. Touristen wird empfohlen, das Wasser aus den Wasserhähnen ausschließlich zum Zähneputzen zu nutzen. Wasser, das etwa in Sontheim oder Babenhausen in Trinkwasserqualität aus der Leitung strömt, gibt es in Kuba nicht. Dort ist Trinkwasser in Plastikflaschen erhältlich.
Bereits im 16. Jahrhundert legten die Spanier die erste Wasserleitung in Havana. Vom Glanz und der Pracht vergangener Zeiten ist wenig geblieben. Die Wasserleitungen verlaufen oft nur wenige Zentimeter unter dem Boden und sind marode. An vielen Orten sprudeln Miniquellen und sorgen für ein stetiges Rinnsal. Dort wo die Wasserleitungen funktionieren, sind in den Häusern oft Pumpen direkt hinter der Tür verbaut.
Alles kann gebraucht und getauscht werden
Die Mangelwirtschaft macht die Kubaner zu Meistern der Nachhaltigkeit. Alles wird repariert oder wiederverwertet. Davon zeugen die vielen alten Frankenstein-Autos, wie sie die Einheimischen nennen. Viele Teile sind an den meisten Fahrzeugen nicht mehr original. Ein hier gewöhnlicher Wertstoffhof, wie etwa in Breitenbrunn, wäre dort eine wahre Schatzkammer.
Auf der Straße sind besonders Kugelschreiber und Feuerzeuge begehrt. Aber auch nach Cremes, Deos oder einzelnen Kopfwehtabletten werden Touristen auf der Straße gefragt. Wer einmal die zerfetzten Socken an den Füßen eines Bauern gesehen hat, kann gut nachvollziehen, warum selbst gebrauchte Kleidung, wie sie in zum Beispiel in Mindelheim auf der Straße in Verschenke-Kisten liegt, stark nachgefragt ist.
Der Umgang mit Abfällen unterscheidet sich von Ort zu Ort. An manchen Plätzen gibt es viele öffentliche Mülleimer, an anderen sind sie nicht vorhanden oder möglicherweise nur gut versteckt. Laut Angaben eines Touristenführers wird Müll überwiegend verbrannt oder deponiert. Das heißt auch: Auf einem Feld ausgestreut und verbrannt.
Oft liegt der Müll in Plastiktüten vor den Häusern und wartet auf Abholung. Laut Medienberichten soll es Müllautos geben, allerdings sind sie in Kuba wohl so etwas wie Einhörner. Leere Getränkedosen am Boden gehören auch hier immer öfter zum Stadtbild. Zu den Zigarettenkippen am Boden gesellen sich Zigarenstummel.
Öffentliche Telefone auf dem Friedhof
Während in Deutschland die öffentlichen Telefone immer mehr verschwinden, gibt es sie in Kuba noch an vielen Orten. Selbst auf dem Friedhof Santa Ilfigenia in Santiago de Cuba, wo auch Fidel Castro seine letze Ruhe gefunden hat. Wer auf das Internet angewiesen ist, wird in Kuba wenig Freude haben. Der Empfang ist an vielen Orten nicht vorhanden oder schlecht. Eine spezielle Karte für das Handy, die man in Deutschland für 30 Euro bestellen und dann in einem Telefongeschäft vor Ort abholen kann, nützt wenig. Manche Hotels und Casas Particulares bieten Internetzugang an, mitunter für fünf Euro pro Tag.
Daseinsvorsorge keine Selbstverständlichkeit
Es heißt, Nachbars Garten sei immer grüner. Für Kuba gilt das mit Blick auf die Daseinsvorsorge nicht. Ein Besuch vor Ort zeigt: Bei der kommunalen Daseinsvorsorge ist Deutschland schon dort, wo die meisten Länder dieser Welt noch hin wollen. Vieles was uns hier als Selbstverständlichkeit vorkommt, ist es dort nicht. Deshalb dürfen Investitionen in die Infrastruktur nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden. Es sind Investitionen in die Lebensqualität. Deshalb: Viva la kommunale Daseinsvorsorge! In Deutschland.
Bleibt die Antwort auf die Frage, ob sich eine Reise nach Kuba lohnt? Auch wenn man das Land nicht romantisieren darf: Wie spektakulär kann bitte die Natur sein, wie nett die Menschen, wie lecker das Essen? Aber das ist eine andere Geschichte.