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Susanne Baer und der Untergang des Abendlandes

Der Richterwahlausschuss hat heute die Juristin Susanne Baer an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe berufen. Frau Baer hat mit ihren Arbeiten zu einer Öffnung der Justiz für sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse auf sich aufmerksam gemacht, insbesondere für die der so genannten Geschlechterforschung (Gender Studies).

Die Gender-Theorie unterscheidet zwischen biologischem, angeborenen Geschlecht und sozial eingeübten Geschlechterrollen. Damit legt sie die Axt an das grundlegende Verständnis, dass die Heterosexualität biologisch verankert sei. Der ostdeutsche Theologe Richard Schröder berichtet von einer seiner ersten Reisen nach dem Fall der Mauer, die ihn zu einem Termin an der Freien Universität Berlin führte. Als er sich auf dem Flur der Universität am Schwarzen Brett orientieren wollte, stieß er auf einen Aufruf gegen die "Zwangsheterosexulalisierung der Frau in unserer Gesellschaftsordnung". Schröder kommentierte: "Ich dachte mir, die spinnen, die Römer."

Herkömmlicherweise stellen Juristinnen und Juristen bestimmte vorgefundene zivilisatorische Gegebenheiten wie die der Heterosexualität als Regelfall des ehelichen Zusammenlebens nicht in Frage. Genau genommen entsprang die "Wissenschaft" vom Recht der katholischen theologischen Fakultät, der kanonischen Schule. Juristen neigen daher zu axiomatischem Denken: Als evidentes Prinzip bedarf ein Axiom weder eines Beweises, noch ist es einem Beweis zugänglich. Dazu zählte im Alten Testament die Gottgegebenheit der Zehn Gebote, im 20. Jahrhundert zählte dazu noch das Prinzip der Heterosexualität als Kern der Ehe.

Oswald Spengler beschrieb am Anfang des 20. Jahrhunderts die Schreckensvision des Untergangs des Abendlandes. Seiner These liegt ein biologistisches Geschichtsverständnis zugrunde: „Kulturen sind Organismen. Weltgeschichte ist ihre Gesamtbiographie." Einer zivilisatorischen Hochkultur gibt Spengler aus empirischer Geschichtsbetrachtung heraus nicht mehr als 1000 Jahre. Es dürfte kein Zufall sein, dass dieselbe Annahme durch die Ideologie der Nationalsozialisten waberte, mit ihrem Traum vom "tausendjährigen Reich".

Ich glaube nicht, dass die Berufung von Susanne Baer an das Bundesverfassungsgericht den Untergang des Abendlandes einläutet. Aber ein Bruch mit Konvention und scheinbar in Stein gemeißelten Überlieferungen darf von ihr erwartet werden.

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