Zum Deutschen Kunsthistorikertag in Marburg: Kunstszene, Markt & Kanon
Dass der Kunstmarkt „KANON“bildend wirke – und zwar nicht nur im positiven, sondern viel eher noch im negativen Sinn – wurde in MARBURG anlässlich des 30. Deutschen Kunsthistorikertages diskutiert. Dies war eines der Themen der vom 25.-29. März stattgefundenen Veranstaltung des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e.V. Organisiert vom Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Marburg unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Hessen. Das nunmehr sechzigjährige Bestehen des 1948 gegründeten Verbandes Deutscher Kunsthistoriker sollte Anlass sein, einmal explizit und exemplarisch über KANONES in der Kunstgeschichte zu reflektieren, „nach Gründen und Mechanismen des Zustandekommens von Kanones, nach Formen ihrer aktiven Konstituierung, ihrer Instrumentalisierung, ihrer Veränderung“ zu forschen; so die Einladung zum Kongress im WEB: http://www.kunsthistoriker.org/kunsthistorikertag....
Unter dem Thema „Die Kunst, ihr Markt und der Kanon“ wurde die besonders in der aktuellen Kunstszene so oft vertretene Meinung diskutiert, es würden nicht werkimmanente, sondern vielmehr MARKT-bestimmte Kriterien wie „Erkennbarkeit“, „Verfügbarkeit“, oder „Trendnähe“ eines Œuvres dessen Preislage und Erfolg bestimmen.
Die mutmaßliche Steuerung des Kunstbetriebs durch den Markt ist nicht ein Kind der Globalisierung, wurde zum Kongress festgestellt. Überliefert wurde, dass APELLES schon berichtet hat, er habe Gemälde seines unterschätzten Freundes PROTOGENES aufgekauft, um anschließend das Gerücht zu verbreiten, er wolle diese mit großem finanziellem Gewinn als seine eigenen Werke weiterveräußern. PLINIUS zweifelte nicht an der herausragenden Qualität von PPROTOGENES’ Œuvre. Der von ihm beschriebene Eingriff in das Marktgeschehen leistet somit Beihilfe zu dessen Durchbruch – während dagegen heute gerne erklärt wird, der Markt bewirke Wertsteigerungen, die sich qualitativ nicht begründen ließen. In Marburg wurde die Frage gestellt: „Übernimmt der Markt also die positive, vielleicht sogar unentbehrliche Funktion eines Katalysators, oder kontaminiert er vielmehr die Wahrnehmung des Kulturgeschehens, welche erst aus genügender zeitlicher Distanz zu einer geklärten, marktunabhängigen und damit kanonfähigen Sicht findet?“
Im Spannungsfeld dieser zwei Positionen haben Kunstwissenschaftler die Rolle des Marktes bei der KANON-Bildung zu ergründen versucht. Sie nahmen in Referaten die Dynamiken zwischen Marktphänomenen und Kanonbildung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart in den Blick und wollten das Thema auch über scheinbar entlegene Bereiche erschließen, wie beispielsweise die Akademie, die Kunstkritik oder die Exportbedingungen für Kunst.
In einem PLENUMs-Vortrag referierte am Donnerstag, 26. März 2009, im Marburger Auditorium Maximum Günter HERZOG (Köln) über „Gerhard RICHTERs Weg zur erfolgreichen Marke“; mit anschließender viertelstündiger Diskussion.
Am 30.06.2007 kommentierte ich einen Artikel der SZ vom 29.06.2007 - „Das strafbare Lachen“ (André Müller) - unter der Überschrift „Gerhard RICHTER und die staatliche Kunstförderung (documenta-Beispiel)“; hier der Text:
Warum eigentlich sollte sich ein Journalist vor dem „launenhaften“ Maler Gerhard RICHTER hüten? Bekannt ist, dass seine Pressescheu „legendär“ ist. Gerade weil RICHTERs Bilder „seit Jahren die weltweit teuersten eines lebenden Künstlers“ sind (siehe Wirtschaftsmagazin Capital; Kunst-Kompass), muss man sich mit RICHTER befassen. „Der Kunstmarkt“, sagte die SZ zu RICHTER, eine seiner früheren Äußerungen zitierend, „würde Ihnen zurzeit jeden Quatsch abnehmen“. Dem stimmte RICHTER zu. „Quatsch“ aber hat der „Kunstmarkt“ dem Maler schon früher abgenommen – so ist er nun mal - der Kunstbetrieb, der auch Nicht-Kunst- und Anti-Kunst-Betrieb ist. Dass RICHTER der SZ nach seinem Publikationsverbot als „Aufwandsentschädigung“ wahlweise eines seiner Werke oder eine Geldsumme anbot, glaubt kein SZ-Leser. Die staatliche Kunstförderung führe zu „Kunstverhinderung und Kunstvernichtung“ soll RICHTER gesagt haben. Und: „Besonders niederträchtig“ zeige sich die Kunstfeindlichkeit gerade bei den kunstinteressierten Politikern. Recht hat er (!) – ABER: Warum eigentlich mischt der Maler-Star seit Jahrzehnten bei der documenta in Kassel mit!? Zur d12 wiederum. BUERGEL zuliebe, der mit der d12 gescheitert ist? Das habe ich Ihn in einem offenen Brief in der HNA (Kasseler Blatt) gefragt; der Brief (eMail) gelangte auf Umwegen an seine Adresse. Ich hatte RICHTER aufgefordert, zu meinem Kommentar von mir ebenda Stellung zu nehmen; es ging um die Frage, warum sein „Betty“-Gemälde in der BUERGELiade (d12) so abenteuerlich interpretiert wird und die „Migration der Formen“ mitmacht. Ich habe bisher noch keine Antwort erhalten. Einen 17-Seiten-Essay unter dem Titel „über Gerhard RICHTER, seine drei „Betty“-Gemälde und die „Abstrakten Bilder“, GOETHEs STIL-Begriff sowie die BUERGELiade im hysterischen Welt-Kunst-Jahr 2007“ habe ich gerade in einem Buch veröffentlicht. Ob Gerhard RICHTER den Artikel lesen wird. RICHTER sollte sich mit bestimmten Fragen an ihn und an sein Maler-Werk auseinandersetzen. Vielleicht ist RICHTER aber zu alt geworden, zu arrogant oder ängstlich (?), um sich als Mensch - „in dem Abgründe schlummern“ - mit Fragen zur „KUNST heute“ oder Goethes STIL-Begriff auseinanderzusetzen; er hasst ja STIL. „Verbotene Gespräche“ lehne ich allerdings ab; schaun wir aber mal. (Siehe Buchhandel: ISBN13: 978-3-9804460-5-1; art & science.)
Der Maler Gerhard RICHTER gewährte dem SZ-Magazin (29.06.07) eines seiner seltenen Interviews, doch in letzter Minute verbot er die Veröffentlichung. Die „Erinnerung an ein bewegendes Gespräch“ veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/551/405329/text/...
Mehr Glück mit dem Maler-Star GR hatte die SZ erst kürzlich: http://www.sueddeutsche.de/kultur/913/461539/text/...
Am 15.03.2009 gelang der SZ ein Interview, das veröffentlicht werden durfte: „Gerhard Richter: ‚Ach so, das war die sexuelle Befreiung’ – Neue Dämonen wie das Internet“. Auch dieses SZ-Interview hab ich kommentiert: Unter dem Titel „L’art pour l’art: Kann RICHTERs Kunst-Qualität Jahrhunderte überdauern?“ formulierte ich am 17.03.2009:
„Wir sehen den Schein der Wirklichkeit und erzeugen ihn dann künstlich, in Bildern“, sagt RICHTER im SZ-Interview. An Theodor Adornos "Ästhetische Theorie" erinnernd, glaubt der Maler-Star, dass es „keine Kriterien für gute oder schlechte Kunst“ gibt: „Also, ich denke, dass das grundsätzlich unmöglich ist, und dass es gut ist, dass wir es nicht erklären können.“ Zur „Gretchenfrage“ nach gut und schlecht erklärt RICHTER dennoch, dass er sich beim Heranwachsen „Vorbilder“ angeeignet habe: „Qualität (…) die Jahrhunderte überdauert (…), die Übereinstimmung schafft, die also einen sozialen und gesellschaftlichen Wert darstellt“.
RICHTER unterstreicht, dass „nicht einmal ein Drittel“ seiner Bilder „gegenständlich“ sei. Bei seinen „abstrakten“ Bildern forme sich „allmählich das Bild einer Landschaft“, die er nicht kenne. Die Mittel seien die „gleichen, also die Farben, Formen, Proportionen, Strukturen sind die gleichen wie beim Entstehen einer real existierenden Szene“. Deshalb „sollten abstrakte Bilder auch genauso betrachtet werden wie die fotorealistischsten Motive“.
RICHTER geht es um l’art pour l’art: Ihn interessiert die Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Malerei, mit ihren Prinzipien, Grenzen und Möglichkeiten, was als Arbeitsweise der alten Moderne und Postmoderne aber keine Innovation (Originalität) darstellt.
Von zentraler Bedeutung für RICHTERs „Abstraktionen“ ist die Eigenwirkung von Farbe & Form sowie das Einbeziehen des Zufalls in den malerischen Prozess. Als eine „sehr geplante Spontaneität" beschrieb der Maler seinen Schaffensprozess, in dem mit Pinseln, Rakeln und Spachteln Schicht für Schicht Farbelemente und -strukturen aufgetragen werden und bereits vorhandene durch neue überlagert, ausgelöscht oder durch Kratzen wieder freigelegt werden. Dabei fügen sich Farbspuren auch zu Strukturen, die Räumlichkeit evozieren können (LEONARDO-Prinzip des Hineinsehens in Strukturen) sich aber zu keinem erkennbaren Gegenstand verfestigen können und sollen.
Literatur zu RICHTER & ABSTRAKTION:
HAHN, Werner (2008): Kandinsky – Malewitsch – Richter: Abstraktion & Evolution 2008/2009. In: ZEIT Online v. 13.11.2008.
HAHN, Werner (2008): Nicht-STIL-Wollen: Gerhard Richters Ideologie, KEINE „Gesetze und Richtlinien“ zu haben. In: ZEIT Online v. 21.11..2008.
HAHN, Werner (2009): Wassily KANDINSKY: Transformationen abstrakt - absolut – konkret – biomorph/figurativ. In: ZEIT Online v. 28.02.2009.
Anmerkung:
Mehr hierzu: Im WEB „gerhard richter werner hahn“ googeln: art-magazin.de, welt.de, tagesspiegel.de, boersenblatt.net, kommentare.zeit.de, blog.hna.de, sueddeutsche.de u.a.m.
Dass um das 72-farbige neue Fenster von Gerhard RICHTER im Kölner Dom ein heftiger Streit entbrannt war, ist durch die Medien verbreitet worden. Kardinal Joachim MEISNER hatte das Kunstwerk als deplaziert gerügt: "Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte." Der Kunsthistoriker Wolfgang ULLRICH hatte bemerkt, dass die Reaktionen auf Kardinal Meisner in ihrem vollauf berechtigten Ärger ein Gegenbild von der nichtkirchlichen Kunst beschworen haben, das seinerseits Züge eines religiösen Kults trägt.
Die SZ meinte hierzu: „Die moderne Kunst wurde nicht etwa als säkularer Bereich gegen die Ansprüche einer Kirche verteidigt, die sich angesichts ihrer schwindenden kulturellen Macht nervös zeigt; vielmehr bekam sie, die Kunst, in der Antwort auf den Kardinal den Status der eigentlichen Transzendenzmacht unserer Zeit zugesprochen. Denn sie sei es doch, die den wahren, vielleicht einzig möglichen Zugang zum Unbestimmten darstelle.“ Zu dieser von Johan SCHLOEMANN am 19.09.08 unter „Geigerzähler des Absoluten“ veröffentlichten Auffassung (SZ-Artikel) habe ich im WEB am 19.11.08 angemerkt:
Zur EVOLUTION von „Kunst“-Geistigem
Bildende KUNST als spezieller KULTUR-Bereich ist eine fundamentale Dimension menschlicher KULTUR-Äußerung. Alle Bildenden Künstler sind einmal geboren worden, sind also nicht per se - von „Natur“ aus - bereits „festgelegte“ Wesen, deren Genomfunktion etwa existentiell auf KUNST (KULTUR) und/oder auf „Geistiges“ (Religion) angewiesen ist. Ob sich ein potentieller (moderner) Künstler als künstlerisch oder religiös (un)musikalisches Wesen entwickeln wird (bzw. kann) – sich von angelegtem sogenanntem „Tierischen” in sich kulturell evolutionär „befreien“ kann -, steht nicht von selbst ab ovo in seiner „Geburtsurkunde“ geschrieben. Damit ein Künstler später einen vermeintlichen „Geist seiner Zeit“ (mit „KUNST“) erfassen kann, bedarf es der Anpassungs- und Wechselwirkungsprozesse des potentiell musischen Organismus mit seiner Umwelt. Beziehungs-Erfahrungen des künstlerisch veranlagten Menschen sind es, die je nach Erziehungs-Umfeld möglicherweise den gewordenen Künstler einen Wandel des Religiösen - z. B. dessen Ausdruck in der Esoterik- und New-Age-Bewegung – tauglich für KUNST-Experimente wahrnehmen lässt. In derartigen Sinnbezirken haben bis heute manche „KUNST“-Zeitgenossen die für sie gültigen Antworten auf Grundfragen des Lebens (auch der KUNST) gesucht und gefunden. (Siehe die Ausstellung „Spuren des Geistigen“ in der Kunst; z. Zt. im Haus der Kunst München). Mehr zum Thema Kunst-Geistiges in meinem zu googelndem ESSAY: „Zur EVOLUTION einer (anti)„modernen“ KUNST- Bewusstseinsverfassung: Über SPIEGELZELLEN, Kunst-GEISTIGES und die (Post)MODERNE“. (In ZEIT Online v. 29.09.2008.)
Richard HAMANN-Preis für Kunstgeschichte in Marburg an Horst BREDEKAMP verliehen
Die Philipps-Universität Marburg hat am 26. März 2009 erstmals den Richard Hamann-Preis für Kunstgeschichte verliehen, um hervorragende wissenschaftliche Leistungen in der Kunstgeschichte oder in der Förderung der kunstgeschichtlichen Forschung zu würdigen. Erster Preisträger ist Prof. Dr. Horst Bredekamp, der Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin lehrt.
Der Richard Hamann-Preis für Kunstgeschichte ist dem Gedächtnis an den bedeutenden Kunsthistoriker und Begründer des Bildarchivs Foto Marburg geschuldet und wird in Würdigung seines wissenschaftlichen Gesamtwerkes und seines Wirkens an der Philipps-Universität vergeben: Richard Hamann (1879-1961) lehrte Kunstgeschichte in Marburg von 1913 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1949 und gründete das Bildarchiv Foto Marburg. Das heutige, von der Philipps-Universität Marburg getragene Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das mit derzeit 1,7 Millionen Bildern eines der größten Bildarchive zur europäischen Kunst und Architektur ist, agiert international als Forschungs- und Serviceeinrichtung: Es sammelt, erschließt und vermittelt Fotografien zur europäischen Kunst und Architektur und erforscht die Geschichte, Praxis und Theorie der Überlieferung von visuellem Kulturgut.
Der mit 5.000 Euro dotierte Preis, der alle zwei Jahre verliehen werden soll, wurde gestiftet von Peter und Karin AHRENS. Die Marburger Kaufleute engagieren sich – so in einer Presse-Mitteilung der UNI Marburg – „seit Jahren aktiv als Freunde und Förderer der Philipps-Universität im Universitätsbund und unterstützen ausgewählte kulturelle Veranstaltungen“. Bredekamp erhalte den Hamann-Preis für seine „Verdienste auf dem Gebiet einer interdisziplinär wirksamen und international sichtbaren Historischen Bildwissenschaft. Er habe wesentlich zur Öffnung der Kunstgeschichte beigetragen und sie in gesellschaftlich relevanten Fragen dialogfähig gemacht, so die Jury. Außerdem erfülle seine Bildwissenschaft heute eine zentrale Brückenfunktion zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, da sie die Rolle des Bildes und des bildhaften Denkens im Prozess der Erkenntnis reflektiert: von der wissenschaftlichen Illustration der Renaissance bis zu den aktuellen bildgebenden Verfahren in den Humanwissenschaften und in monographischen Untersuchungen zu Galilei, Leibniz und Darwin. Schließlich begleite Bredekamp kritisch den alle Lebensbereiche erfassenden Prozess der Digitalisierung, indem er an der Theorie des digitalen Bildes arbeitet.“