Kleeschichten aus Gersthofen und Umgebung: Briefe und Tagebücher zeigen den Privatmenschen Paul Klee
Der Künstler sitzt in einer Straßenbahn und fährt durch Augsburg, die Haube hat er sorgfältig über das Ohr gezogen. Es ist kalt an jenem Abend im Januar 1917. Von der Stadt sieht er nicht viel, aber die Augsburger nimmt er beiläufig wahr. Wohl niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass der frierende Fahrgast ab 1920 am Bauhaus in Weimar und später in Dessau lehren würde. Auch seine Berufung als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf im Jahr 1931 ließ sich kaum vorhersagen. Nach seinem Tod wird er als einer der bedeutendsten Vertreter des Expressionismus und der modernen Kunst im 20. Jahrhundert gelten. „Künstler-Karrieren“ lassen sich in den seltensten Fällen planen. Sie passieren eben oder scheitern oftmals an Kleinigkeiten. Der Maler und Grafiker, der einen ersten Streifzug durch das nächtliche Augsburg unternimmt, heißt Paul Klee. Bis Ende des Jahres 1918 leistet er seinen Militärdienst in der Königlich Bayerischen Fliegerschule V in Gersthofen. Seine Gesprächspartner sind nun nicht mehr August Macke, Wassily Kandinsky, Rainer Maria Rilke oder Franz Marc, sondern Gastwirt Ludwig Ost in der Ulmer Straße oder der Hauptlehrer von Stettenhofen. Anstatt intensiver kunsttheoretischer Debatten stehen nun Gesangsproben und kulinarische Erkundungsfahrten auf Klees Tagesplan. Die von seinem Sohn Felix Klee herausgegebenen „Tagebücher 1898 – 1918“ und „Briefe an die Familie 1893 – 1940“ zeichnen ein überaus lebendiges Bild von Paul Klees Aufenthalt in Gersthofen. Besonders zugetan war der Künstler erlesenen bayerisch-schwäbischen Gaumenfreuden. So schreibt er in den Briefen an seine Frau Lily von „prachtvoll gemachter saurer Leber“ (27. Mai 1917), „prachtvollem Spanferkel mit Sauerkraut“ (10.12.1917), einem „schönen Hammelbraten mit Kartoffel und Kraut“ (17.12.1917) und Kalbsschäuferl (9.3.1918). Klee isst auch gerne im „Strasserbräu“ (18.2.1917) oder eine „Schweinshaxe bei Riegele“ (2.12.1918).
Misslungene kulinarische Leistungen schlagen Paul Klee im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen. Dann spart er nicht mit Kritik: „Wenn mein Bauchzwicken nicht aufhört, werde ich auch Uzaratabletten nehmen. Heute gab es so schöne Bohnen, aber die Faulenzer haben sie nicht weich gekocht!“ (Brief an Lily vom 10.7.1917). Doch der Maler testet nicht nur Wirtschaften und Gaststätten der Region. Er greift auch gerne selbst zum Kochlöffel und gibt seiner Frau präzise Ratschläge für die schmackhafte Verfeinerung eines Schweinebratens: „Das Fett schneidet roh in kleine Stücke und laßt diese durch die Maschine. Zum vollständigen Durchtreiben können noch ein paar Zwiebeln und Kartoffeln nachgeschoben werden, dann erst auf kleinem Feuer allmählich auslassen, auch die Reste in der Maschine verwenden.“ (1.4.1917) Selbst exotisch anmutende Gerichte wie Robbenfleisch oder getrocknete Steinpilze kommen in den Briefen vor.
Neben dem Interesse am Kochen übt das Fliegen eine eigentümlich-schaurige Faszination auf Klee aus. Lakonisch bemerkt er dazu in seinem Tagebuch: „Für die Fliegerschule war es ein Unglückstag, früh stürzte einer und brach sich verschiedene Knochen, nachmittags fiel ein Leutnant aus beträchtlicher Höhe zu Tod. Guten Appetit für die morgige Sonntagsfliegerei.“ (Tgb. 1090, 1917) Das Thema „Fliegen und Absturz“ wird zu einem zentralen Thema während der „Gersthofer Zeit“. Zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen zeigen steigende und stürzende Flugobjekte. Immer wieder kommentiert Klee das Fluggeschehen sarkastisch: „Heute fliegen sie wie die Narren, obwohl schon vier Maschinen vormittags restlos dahingingen. Einer landete im Lech, bestieg dann, weil der Sitz unter Wasser stand, den Rücken und wartete langsam anfrierend, bis man ihn fand. Sein Geist war schon etwas mitgenommen, denn er frug die ersten unter seinen Rettern nach dem Namen des Stromes. Wahrscheinlich wähnte er sich in Ägypten, und war erstaunt über das wilde Kriegskostüm der Germanen.“ (Brief an Lily vom 6. Januar 1918)
Zum Fluss und den Lechauen baut Klee nach und nach eine fruchtbare künstlerische Beziehung auf. Fremdelt er anfangs noch ein wenig mit dem Augsburger Umland und spricht von einer „ganz gottverlassenen Gegend“ (Tgb. 1052, 1917), freundet er sich zunehmend mit der Flusslandschaft um Langweid an. Er packt seinen Aquarellkasten aus. Die Natur wird zum Freiluft-Atelier. So entsteht an einem frühherbstlichen Tag ein Aquarell, das ganz den „Klang der Wunder um mich herum“ (Brief an Lily vom 9.9.1917) enthielt. Die Ausflüge in die Natur sind eine hoch willkommene Abwechslung zum tristen Alltag in der Kaserne, wo Klee in der Kassenverwaltung eingesetzt wird.
Besondere Aufmerksamkeit schenkt Paul Klee auch seinem Sohn Felix. Er erkennt und fördert dessen musikalisches Talent. Darüber hinaus vergisst es der Vater nicht, die Mutter daran zu erinnern, mit dem Sohn fleißig Latein zu üben. Großer Wertschätzung Klees erfreut sich auch die „schlemmerhafte“ (Tgb. 1126 a, 1918) Katze Fritzi, nach deren Wohlergehen sich der Künstler häufig erkundigt.
Die anfänglich zurückhaltende Beurteilung Augsburgs weicht einer wachsenden Sympathie für die Fuggerstadt. Vor allem der Dom beeindruckt Klee. Die „gottverlassene Gegend“ wird ihm vertrauter und so notiert er bereits im Februar 1917: „Ich finde Augsburg immer hübscher.“ (Tgb. 1066, 1917)
Bilder v.l.n.r.: Zentrum Paul Klee, Galerie Rosengart, Luzern, Zentrum Paul Klee
Ausstellung
Paul Klee – Mythos Fliegen
23. November 2013 bis 23. Februar 2014
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast
Beim Glaspalast 1
86153 Augsburg