"Kitt der Gemeinschaft": Die historische Beraterin Gabriele Raab blickt auf das 10. Altstadtfest „Friedberger Zeit“ zurück
Schon das zehnte Altstadtfest „Friedberger Zeit“ fand vom 8. bis 17. Juli 2016 statt. Und es ist nicht alt geworden, sondern präsentierte sich in jugendlicher Frische. Pessimisten hatten ihm keine lange Zukunft vorausgesagt. Doch das für Friedberg kennzeichnende bürgerschaftliche Engagement hat im Zusammenwirken mit den Verantwortlichen der Stadt ein Fest gemacht, auf das man sich alle drei Jahre wieder freut. Nicht nur die attraktiven Programmangebote, sondern vor allem die vielen historisch gewandeten Friedberger faszinierten an jedem der zehn Festtage zehntausende von Besuchern. Flanieren in der Festzone und ins Gespräch kommen mit Bekannten und Unbekannten ließ das Fest zu einem Ort der Begegnung werden. Man unterhielt sich, ob das Gewand vom ersten Stadtfest noch passte oder ob es dieses Mal statt des einfachen Magdgewandes ein vornehmes Bürgerinnengewand mit einer Haube mit Spitzenbesatz sein musste. Und von mancher Siebzigjährigen hat man gehört, dass sie neun Mal ohne Gewand auf dem Fest war, jetzt aber mit Gewand dabei sein wollte. Neben den historisch gewandeten Gruppen wie Nachtwächter, Sänger, Zöllner, Imker, Bäcker, Wirte und Bierbrauer, Steinmetze, Kaminkehrer, Bader/Innen, Schmiede, Fahrendes Volk u. s. w. trugen zum eindrucksvollen Gesamtbild unseres Stadtfestes noch drei Gruppen bei, deren Gewand auf Bildern nur für Friedberg überliefert ist: die Stadtwache, die Schützen und die Cordonisten. Aber alle Friedberger/Innen kleiden sich nach unserer Präambel „Jeder bleibe bei seinem Stand“. Nur die Zöllner sind keine Zollbeamten, aber sie meistern ihre Aufgabe großartig und heißen am Eingang die Gäste willkommen. Daraus entsteht das bunte Ambiente, das Zugehörigkeitsgefühl. Man will sich nicht zur Schau stellen, man will dabei sein. Das macht dieses Fest so beliebt und anziehend! Nicht vergessen darf man dabei auch die Kinder und Jugendlichen, die teils in den verschiedenen Gruppen, aber auch als Musikanten durch die Stadt zogen. Um in Friedberg ein VIP zu sein, muss man sich einmal in den zehn Tagen auf dem Schandkarren des THW von der Stadtwache durch die Stadt ziehen lassen und muss die Bäckertaufe über sich ergehen lassen.
Das vielfältige Angebot von historischen Spezialitäten der Wirte, Metzger, Bäcker und Zuckerbäcker ließ wieder keine Wünsche offen. Von der Bratwurstsemmel bis zum raffinierten Rindfleischsalat war für jeden etwas dabei. Wie immer schmeckten die geräucherten Forellen beim Fischereiverein besonders fein. Die frisch gebackenen Küchlein mit Kirschen vom Bäckermeister Knoll zogen die Schleckermäuler jeden Abend beim Hinausgehen an.
Getragen wird das Stadtfest besonders von unseren Handwerkern und Handwerksbetrieben, den Maurern, den Spenglern, dem Stuckateur, dem Uhrmacher, den Steinmetzen, den Schmieden, den Kaminkehrern, den Gold- und Silberschmieden, dem Gärtner, dem Drechsler, dem Papierschöpfer, den Seilern, dem Zinngießer, der Töpferin, den Weberinnen, Spinnerinnen und Klöpplerinnen, den Haubenmacherinnen und dem Betermacher.
Verblüfft und begeistert gleichermaßen waren die Besucher darüber, was sich die Friedberger Vereine und Gruppen an neuen Glanzpunkten einfallen ließen. Der TSV überbot sich mit sensationellen Darbietungen seiner Abteilungen, wie den Artisten und Springern, die vergleichbar im Schloss bei den prunkvollen Festen der Herzogin Christine von Lothringen zwischen 1568 und 1573 aufgetreten waren. Der Schützenverein Wulfertshausen schoss neben seinem Kegelwettbewerb eine neue Schützenscheibe aus, dachte aber auch mit dem Steinschleuder- und Holzkanonenschießen an die jüngeren Festbesucher. Die Wasserwacht schmückte ihre historische Badestube wie die Blumisten des 18. Jahrhunderts und erwärmte an den kühleren Tagen so manchen mit einem angenehm warmen Bad. Der Fischereiverein führte „Fliegenbinden“, Fischräuchern und Filetieren vor. Die Imker tüftelten lange am Rezept für ihren Met und veranstalteten sogar einen Bienenflugwettbewerb. Schulen führten immer vor vollem Haus Theaterspiele zur Friedberger Geschichte auf. Die Theatergruppe Ottmaring zeigte traditionsgemäß ein Stück von Hans Sachs, „Der Krämerkorb“. Mit Tanz, Musik und Spiel unterhielten viele Gruppen die Besucher. Vieles ist fast zur lieben Gewohnheit geworden, wie das Armbrustschießen und das Glücksrad vom Bäckermeister Knoll am Osteingang, das Lagerleben des Historischen Fahrenden Volkes, das Karussell mit Fußbetrieb, die Burlesken von Apotheker Dr. Proeller, die Mühlenführungen mit Müllermeister Ziegenaus u. s. w.
Wie bei jedem Stadtfest wurde man auch mit Neuem überrascht. Der Bogenschützenclub mit seinen schönen Gewändern zeigte in einer Präsentation sein Können und lud jedermann zum Bogenschießen ein. Als Jubiläumsgabe spielte zum historischen Feuerwerk die Jugendkapelle unter Andreas Thon die Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel und passend zum Thema „Friedberger Zeit“ hatte die Stadt Friedberg die internationale Theatercompagnie La Tal mit dem Uhrentheater „Carilló“ engagiert.
Höhepunkte im Festprogramm waren die Veranstaltungen, die es nur beim Altstadtfest Friedberg gibt: die Schulspiele, die Bäckertaufe, der Dinzeltag der Handwerker mit den immer mehr werdenden Zunftstangen und den Kinderaktionen, die Semmelspende und der historische Pilgerzug, das musikalische Nachtgebet sowie der Fackelzug zum emotionalen Abschluss, der manchem eine Träne in die Augen trieb.
„Kein anderes Fest hat die Kraft wie die Friedberger Zeit als Kitt der Gemeinschaft alle zu verbinden - Neuzugezogene und alt Verwurzelte, Bayern und Schwaben, Junge und Alte, Kernstadt und Ortsteile. Die 10. Friedberger Zeit- ein Grund stolz zu sein: 10 Tage haben wir daran gebaut, wer wir sind, sind uns begegnet. Wir leben die Vergewisserung, wer wir sein wollen! Nehmen wir die Gemeinschaft des Festes mit in den Alltag in Friedberg!“ (Pater Markus Hau)
Habe die Ehre!
Text: Gabriele Raab
Fotos: Dr. Hubert Raab