Junge Leute aus Friedberg helfen im Ahrtal
Der Wiederaufbau ist schwierig. Eine Gruppe packt dort mit an und erlebt Bewegendes
Nach den schlimmen Nachrichten über die Flut im Ahrtal im Juli letzten Jahres beschloss eine Gruppe von neun jungen Leuten, im Katastrophengebiet eine Woche lang im November 2021 ehrenamtlich zu helfen. Sie hatten sich an der Fachschule für Bautechnik in München, wo sie ihre Weiterbildung zum staatlich geprüften Bautechniker und Maurermeister absolvierten kennen gelernt.
Nach den erschütternden Eindrücken über die große Not der Menschen vor Ort blieb es nicht bei dieser einmaligen Aktion. Die Friedberger Geschwister Tobias und Sandra Dempfle und Christian Nägele, erklärten sich gleich bereit, in den Faschingsferien 2022 für eine Woche zu helfen. Anfang der Sommerferien fuhr erneut eine Gruppe bestehend aus der Friedbergerin Sandra Dempfle, Dominic Mayr aus Obermeitingen, Franz- Xaver Schletter und Julian Gärtner aus Tiefenstätt bei Haag in Oberbayern ins Ahrtal.
Für Franz- Xaver war es das achte Mal als Ehrenamtlicher auf der größten Baustelle Europas, denn jede Ortschaft im Ahrtal ist von der Flut betroffen. „Die Bayern sind wieder da“, ertönte es dann jedes Mal. „Wir haben erfahren, dass ihr handwerklich und baustofftechnologisch echt was auf dem Kasten habt…“. Und in der Tat war diese Gruppe aus Bayern sehr gefragt, denn hier kamen versierte Maurermeister, Bautechniker, Heizungssanitärmeister und Elektrikermeister zusammen. Das benötigte Material wurde zu großen Teilen von bayrischen Firmen spendiert und Essen und Unterkunft wurden gestellt, die Arbeiten führte die Gruppe ehrenamtlich aus.
Der Wiederaufbau ist schwierig
Anfangs war die allgemeine Hilfe im Ahrtal überwältigend. Im Rückblick zeigt sich jedoch, dass leider vielfach auch unprofessionell vorgegangen wurde und das zum bitteren Schaden der Bewohner.
So halfen selbsternannte Handwerker und Hilfsarbeiter mit unzureichendem Fachwissen beim Verputzen. Da jedoch oft zu früh auf noch zu nasse Wände mit Gips verputzt wurde, fiel nach einer gewissen Zeit der Putz wieder ab und es bildete sich Schimmel in den Häusern. Normalerweise wird in einer solchen Situation von Fachleuten alkalischer und diffusionsoffener Kalkzementputz verwendet. Dieser verhindert Schimmelbildung und lässt die Restfeuchtigkeit im Mauerwerk auch noch nachträglich entweichen. Die Gruppe aus Bayern packte an. Sie verputzten die Wände fachgerecht, mauerten Wände, installierten Heizungen, reparierten und halfen bei beschädigten Elektroinstallationen unversicherter Betroffener.
In Heimersheim ist in einem ehemaligen Kindergarten der Verein Elektroseelsorge untergebracht. Dort werden von der Flut beschädigte Elektrogroß- und Kleingeräte ehrenamtlich repariert und dort erhalten auch die ehrenamtlichen Elektriker das erforderliche Elektromaterial, wie Leitungen, Schalter und Kabel.
Ansonsten gestaltete sich für die Gruppe die Suche nach den erforderlichen Baumaterialen äußerst schwierig und zeitraubend, denn Baumärkte, die solches Material üblicherweise bereithalten, gibt es dort größtenteils nicht mehr. Weil Baustoffe allgemein Mangelware geworden sind, steigen auch die Preise rasant.
Schockierende Eindrücke
Sandra Dempfle zeigte sich tief bewegt vom Schicksal des Ortes Dernau: Von den 700 Häusern waren 650 von der Flut schwer betroffen. Bis zu 2,80 m Höhe stand das Wasser. Wenn es möglich war, zogen sich die Menschen in das Obergeschoss der Häuser zurück. Vielfach sind Fenster und Türen zugenagelt. Es fehlt an allem: Putz, Elektro-, Heizungs-, Sanitärinstallation. Abends fühlt man sich wie in einer Geisterstadt, weil kein Licht aus Fenstern oder auf der Straße leuchtet. Die Notstromlichtmasten sind größtenteils abgebaut, weil man sie nicht mehr benötige; so jedenfalls hat es die Regierung entschieden, berichtet Sandra Dempfle. Wie andernorts wurden Klärwerke und Abwasserleitungen durch die Flut mitgerissen, ebenso wie Straßen, Häuser, Autos, LKWs und Campingwägen mitsamt ihren Insassen. Züge können immer noch nicht verkehren, da das reißende Wasser die Eisenbahnbrücken und Schienen mit fortriss.
Schockierend waren auch die Eindrücke beim letzten Arbeitseinsatz im August dieses Jahres, als die Helfer in Bad Neunahr-Ahrweiler von betroffenen Familien zum Festbankett - weil noch keine Küche funktionierte, behalf man sich mit Grillen - geladen waren und mit den einheimischen Gastgebern ins Gespräch kamen. Und da wurde erzählt: Wie sehr es einen Mann aus Dernau belastet, der, bevor er gerettet wurde, drei Tage auf einem Dach ausharren und dabei miterleben musste, wie zwölf Freunde und Bekannte tot in der Flut vorübergesaust seien. Er musste beobachten, wie die drei ihm gegenüber liegenden Fertighäusern mitsamt den Bewohnern weggerissen wurden. Welch Glück, dass in der nächsten Ortschaft ein Massivhaus die furchtbare Fahrt stoppte, und sich die Verzweifelten auf das Dach retten konnten. Ein kleines Kind fiel dabei in die Flut und konnte von einem beherzten Mann gerettet werden. Überhaupt seien alle Fertighäuser ohne Keller ein Opfer der Flut geworden.
Viele Menschen haben nach wie vor keine Heizung, keine Küche
Vor allem Unversicherte müssten mit unzureichender finanzieller Unterstützung zurechtkommen. Das Versprechen der Politik, es würde unbürokratisch geholfen, lässt sich vor Ort so nicht feststellen. Viele Menschen haben nach wie vor keine Heizung, keine Küche, behelfen sich notdürftig mit Kochfeldern; WC-Türen sind Mangelware. Duschmöglichkeiten und das zunächst dichte Netz von Verpflegungszelten wurden schrittweise abgebaut. Gerade in diesen Zelten trafen sich die Leute und gaben sich Halt und fühlten sich nicht allein. Dass es Selbstmorde aus Verzweiflung gab, wird nicht bestritten. Aber den Gesprächen nach zu urteilen, dürfte die tatsächliche Selbstmordrate wesentlich höher sein, als offiziell angegeben und übersteigt mittlerweile die Todeszahl der Flutnacht.
Die Dankbarkeit der Menschen im Ahrtal ist unbeschreiblich
So war es für Sandra wichtig, zunächst einmal die Menschen zu besuchen, bei denen sie bereits vorher im Arbeitseinsatz war. Und die Bayern hatten zusätzlich noch einiges im Gepäck, z. B. Apfelbäumchen und weitere Pflanzen zum Einsetzen, gespendet von der Friedberger Firma Baumschule Ketzer, oder Putz, den Franz- Xaver Schletter auf eigene Kosten mitbrachte, um ihn bei unversicherten Familien zu verarbeiten.
Helfen kann eigentlich jeder, so Sandra. Allein schon damit, im Ahrtal Urlaub zu machen, Camping- oder Wanderurlaub zum Beispiel. „Die Weinberge sind wunderschön, der Wein sehr lecker", schwärmt Sandra Dempfle. Die Gastronomie, die es wieder gibt, könnte aufblühen. Das würde wieder Leben und Lebensfreude ins Ahrtal bringen und Geld, das so dringend zum Aufbau benötigt wird.
Die ehrenamtlichen Helfer im Tal würden sich aber auch über jeden freuen, der sie bei ihrer Arbeit, die sie bei unversicherten Familien leisten, unterstützen würde. Die Dankbarkeit der Menschen im Ahrtal ist unbeschreiblich.