GIFT - oder: Als der Hardrock in Friedberg wohnte
Bei jeder Fahrt hinauf auf den für Halbmarathon-Teilnehmer berüchtigten Friedberger Berg werden Erinnerungen wach. An die Zeit in den 70er Jahren als im oben stehenden weißen Haus neben der historischen Stadtmauer eine der bekanntesten Hardrock-Bands Deutschlands wohnte. Noch heute sehe ich immer den Schriftzug „Gift Music House“ der Band vor Augen und erinnere mich an die Zeit, in welcher mein Faible für diese Musikrichtung entstand. Nach all diesen Jahren ist es mir gelungen, die Musiker der Band GIFT zu einem kurzen Besuch nach Friedberg einzuladen. Zu dem Haus in dem sie in den 70er Jahren wohnten, lebten und ihre Ideen zu noch heute ungemein authentischer Musik entwickelten und umsetzten.
Mit der Unterstützung von Gift-Gründungsmitglied Helmuth Treichel ist es gelungen, die ehemaligen Gift-Musiker zu einer Retrospektive einzuladen zum ehemaligen „Gift Music House“ am Friedberger Berg 13. Helmuth Treichel, Dieter Atterer, Uwe Patzke, Rainer Baur und Dieter Frei war die Freude ins Gesicht geschrieben, sich nach langen Jahren wieder zu treffen. Die jetzigen Hausbewohner luden die Musiker ein, nochmal auf dem großen Balkon des Hauses im Obergeschoß einen Blick in das Friedberger Umland zu werfen. Schnell wurden Erinnerungen an damals wach und so manches Erlebnis passierte in regen Gesprächen noch einmal Revue. Das Geschichtsbuch der Band hat mir Helmuth Treichel treffend zusammen gefasst:
„Mit ihren beiden bei der Schallplattenfirma Telefunken beziehungsweise Teldec erschienenen Langspielplatten und ihren bundesweiten Tourneen weist sich die Gruppe Gift als eine der erfolgreichsten Augsburger Rock -Formationen aus. Ihre musikalische Ausrichtung tendierte zu kompromisslosem Hard Rock, der durch jazzige Passagen und stark melodische Soli bereichert wurde.
1971 spielten die Musiker noch unter dem Namen "Phallus Dei" in den Münchner Union Studios acht Stücke für eine Langspielplatte ein. Bei Erscheinen der Produktion im November 1972 firmierte die Band dann bereits unter dem Namen Gift. "Gift ist kurz, einprägsam und hat sowohl in der deutschen als auch in der englischen Sprache eine Bedeutung" (Uwe Patzke). 1973 nahm Gitarrist und Sänger Dieter Atterer den Platz von Helmuth Treichel ein und steuerte für das Nachfolge-Album "Blue Apple" neue Impulse bei. Es "entstand eine der ausgewogensten Deutsch-Rock-LPs überhaupt" (Pressetext). Gift tourte durch ganz Deutschland. Im Mai 1973 spielte Gift auf dem "German Rock Super-Concert" mit den Spitzen-Combos Atlantis, Amon Düül, Birth Control, Karthago und Kin Ping Meh in der Frankfurter Festhalle vor 6000 Besuchern.
Die Musikzeitschrift Bravo berichtete über dieses erste Deutsch-Rock-Spektakel: "Dann kommt Gift. Die fünf Augsburger heizen ein mit Rock, benutzen auch ein Mellotron. Sie sind die ersten, die eine Zugabe geben. Die Gift-Musiker lebten jahrelang im sogenannten "Gift-House", einem romantischen Turm an der Friedberger Stadtmauer. Vorbeiziehende Musiker waren dort stets willkommen. Auch die später weltweit bekannten Scorpions nächtigten bei ihren Kollegen von Gift. 1974 warf die Gruppe das Handtuch: Es waren hauptsächlich finanzielle Gründe, welche die Profi-Musiker zur Aufgabe zwangen. Rainer Bauer stellte bedauernd fest: "Gerade zu dem Zeitpunkt, als wir uns auflösten, erhielten wir das Angebot, zusammen mit UFO deren Deutschland-Tournee zu bestreiten. Das hätte uns den Durchbruch bringen können."
Die schwäbische Hard-Rock-Band Gift bestand zwischen 1971 und 1974. Sie entstand aus "Phallus Dei". Durch einen Tipp von Friedewald Strunz an den Münchener Plattenproduzenten O. B. H. Hartmann kam ein Produktionsvertrag mit Telefunken/Decca (Warnerbrothers-East-West) zustande. Teldec aber akzeptierte den Bandnamen "Phallus Dei" nicht. So entstand der Name "Gift" für die Band. Die erste Scheibe nahm Gift 1972 in den Union Studios in München auf. Es folgte 1974 die zweite LP namens "Blue Apple" - aufgenommen in den Teldec Studios in Hamburg. Aufgrund der anhaltenden Nachfrage veröffentlichten einige der Labels im Laufe der Jahre gelegentlich kleine Ausgaben der ersten beiden Produktionen. Bei einem vielbeachteten Live-TV-Auftritt bei Pro7 im Jahr 2014 kehrten alle Bandmitglieder nach einer 40-jährigen Pause zurück und veröffentlichten 2014 die Single "Shitsorm". Zwei der Gründungsmitglieder der legendären deutschen Rockgruppe GIFT (Rainer Baur und Helmuth Treichel) nahmen 1997 zusammen mit einigen Gastmusikern neue Songs auf, die nach 20 Jahren als "Dragon’s Nest" 2017 veröffentlicht wurden. Die beiden Songs HAPPY und DRAGONS NEST unterscheiden sich vom originalen GIFT eigenen Hard Rock Sound, der im Zeitgeist der 90er Jahre aufgenommen wurde.
Text: Franz Scherer in Zusammenarbeit mit Helmuth Treichel
Bilder: FSeventfoto und Gift
Information:
Gift bei Youtube:
GIFT - Got to find a way (Studio-Version 1974)
ausführliche story von Rainer:
Die GIFT – Story
1968 beschlossen Helmuth Treichel (Gesang) und Rainer Baur (Gitarre) eine Band zu gründen: A Deeper Blue. Sie spielten Songs u.a. von Ten Years After, Cream und John Mayall`s Bluesbreakers. Nach Umbesetzungen hießen sie Phallus Dei. Die Musik wurde härter. Grand Funk Railroad, Taste und Black Sabbath gaben Orientierung. Schnell wurde die Band in ihrer Heimatstadt Augsburg zur beliebtesten Band. Sie hatten bereits als 14-15 Jährige zahlreiche Auftritte in den amerikanischen Kasernen in ganz Bayern ( EM Clubs – NCO Clubs und AYA ) hinter sich.
Der Vermittler dieser Gigs stellte den Kontakt zum Münchener Produzenten O.B. Hartmann her. Nach einer kurzen Audition wurde ein Produktionsvertrag unterzeichnet. Von nun an hieß es täglich proben und eigene Titel schreiben. Hierzu holten die beiden sich Mandy Lange ( drums) und Uwe Patzke ( bass) ins Boot. Die 4 Jungs mieteten ein Haus im nahegelegenen Friedberg , wohnten zusammen und konnten ungestört, wann immer sie wollten, arbeiten.
Nach ca. 3 Monaten Vorbereitungszeit buchte Produzent Hartmann das Union Studio München, um die Songs einzuspielen. Toningenieur war Reinhold Mack, der später alles für Queen „regelte“.
Relativ schnell fand Produzent Hartmann in der Hamburger Plattenfirma Telefunken-Decca einen interessierten Partner, um die 1. LP zu veröffentlichen. Allerdings akzeptierte Teldec den Namen „PhallusDei „ nicht. Der Bandname, der bisher immer für sehr viel Publicity sorgte.
Die Jungs einigten sich auf GIFT, weil dieser Name sowohl im Deutschen, als auch im Englischen eine Bedeutung hatte. Roswitha, Ehefrau von Uwe Patzke, entwarf das sehr gelungene Plattencover, das auch von Teldec akzeptiert wurde.
Das Haus, in dem die Band lebte, wurde mit dem angepassten Schriftzug „ GIFT Music House „ versehen.
Befreundete Bands, wie z.B. die Scorpions, nutzten oft die Gelegenheit dort zu übernachten, wenn sie in Bayern gastierten.
Hierzu eine kleine Geschichte:
Helmuth und Rainer spazierten in der Stadtmitte Augsburg, als der Bandbus der Scorpions anhielt, um sie zu fragen, wo man hier spielen könne. Ihre langen Haare waren eindeutiges Indiz dafür, dass die beiden sich in der Szene auskennen sollten. Wie der Zufall es wollte, erschienen die ersten LPs der Zufallsbekanntschaft zur selben Zeit ( Lonesome Crow – GIFT ) Schnell wurde ein Gig im „ Big Apple“ gefunden und eine Bandfreundschaft geschlossen.
Nach einem weiteren Jahr Tingeln, fast ausschließlich in „Ami Clubs“ ohne Management, gab`s grünes Licht für die 2. LP. Dieter Atterer ( Gesang und Gitarre ) und Dieter Frei (Orgel) verstärkten die Band. Ein kurzes Intermezzo mit Nick Woodland verlief eher fruchtlos.
Rainer war ein großer Fan von „Wishbone Ash“. Deshalb wurden auf der 1. LP in mehreren takes 2. und 3. Stimmen auf der Leadgitarre eingespielt.
Ein 2. Gitarrist musste unbedingt her. In besagtem Club „ Big Apple“ in Augsburg gastierten schon damals Bands, wie Uriah Heep, Nektar, Hardin & York u.v.a. Auch die Band „ Message“ mit Horst Stachelhaus am Bass, einem Briten, einem US Amerikaner und einem Schotten. Sie begeisterten Rainer und Helmuth mit Ihren zweistimmigen Gitarren dermaßen, dass sie die Band nach dem Konzert fragten, ob sie einen weiteren Gitarristen von diesem Kaliber kennen würden. Und ja, sie kannten Nick. Er spielte zu dieser Zeit bei einer ziemlich langweiligen Tanzband in Bad Wurzach ( Allgäu ). Rainer, Helmuth und Mandy, samt Freundinnen, fuhren übers Wochenende nach Bad Wurzach, um Nick kennen zu lernen und um ihn abzuwerben. Sein Aussehen, das Englische und sein Gitarrenspiel begeisterten .
Es war Nick anzumerken, dass der Musikstil nicht unbedingt seinen Vorstellungen entsprach, aber er war froh, dass jemand ihn aus diesem „ Kaff“ herausholte.
Bis zur Anmietung des„GIFT Music House“ wohnte er noch bei den Eltern von Rainer Baur.
Jeder der Bandmitglieder hatte sein eigenes Zimmer. Es gab einen Proberaum und eine gemeinsame Küche. Nicht zu vergessen, eine sehr große Terrasse mit einem gigantischen Ausblick auf Augsburg.
Da Uwe und Mandy regelmäßig ihrem Beruf nachgehen mussten, waren es auch sie, die bei gelegentlichen finanziellen Engpässen einspringen mussten. Es kam auch vor, dass vom Rest der Band verlangt wurde, Gelegenheitsjobs anzunehmen, um die Band am Leben zu halten. Nick meinte, er sei Musikprofi und kein Tagelöhner; und so kam es zu immer mehr Querelen. Letztendlich beschloss er noch vor der Aufnahme der 2. LP auszusteigen und wieder zu seinen Eltern nach München zu ziehen. Er lernte fleißig, vom Blatt zu spielen und etablierte sich in Münchens Studios.
Kurioserweise ist Nick auf dem Plattencover der 1. LP in einer Zeichnung abgebildet, obwohl er zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht dabei war. Vor der Aufnahme der 2. LP „Blue Apple“ war er bereits ausgestiegen und zu Subjecct Esq. bzw. Sahara gewechselt.
Blue Apple wurde in den Teldec Studios in Hamburg aufgenommen mit Thomas Kuckuck an den Aufnahmereglern. Die Musik hat sich deutlich verändert und selbst Deutschlands „Maß – aller- Dinge Musikzeitschrift“ SOUNDS lobte das Album als hart und abwechslungsreich rockend. Es folgten einige gute Jobs in der Republik, jedoch für`s Überleben einer Profi Band viel zu wenige. Patzke und Lange mussten immer ihrem Hauptberuf nachgehen. Hier war die Plattenfirma eindeutig zu nachlässig. Da kam keine Unterstützung durch ein professionelles Management, obwohl die LPs weltweit vertrieben wurden.
Musikalisches Highlight war mit Sicherheit das „German Rock Super Concert“ in der Festhalle Frankfurt, wo GIFT die erste Band war, von der Zugabe gefordert wurde und die Bravo eine halbe Seite dazu schrieb und auch das von der Band benutzte Mellotron (!) erwähnte.
Wie dicht Freude und Frust im Musikerleben beieinanderliegen, dokumentiert sich in den Umständen unseres Auftritts beim Rockfestival Schönsee 1973: Ich höre im Radio eine Ankündigung über ein open air in Schönsee ( zwischen Weiden und Cham an der tschechischen Grenze ) und wundere mich, dass wir nicht dabei sind. Teilnehmer u.A. Kraan und Wind, alles Bands, deren Debutalben eben erschienen sind. Ich rufe beim Sender an und erkundige mich nach dem Veranstalter. Dieser sagt mir, dass wir gerne kommen können. Die Reisespesen werden vergütet. Kurz entschlossen trommle ich die Band zusammen und wir machen uns auf den Weg. Es ist ein heißer Sommertag.
Angekommen auf dem Festivalgelände - wir sehen das Paradies für junge Rockmusiker ! Hübsche Mädchen, soweit das Auge reicht, nackt ! Wir kommen auch gleich am 1. Tag zum Einsatz.
Bier gibt es reichlich und so kommt es, dass Uwe auf der Bühne vom Hitzschlag getroffen nach vorne kippt und mit dem Kopf auf der Bühne aufschlägt.
Helmuth und ich finden ein Nachtquartier im Zelt gleich mehrerer Schönheiten, während Uwe die Nacht im Rotkreuz - Zelt verbringen muss. Das eingezäunte Revier ist umringt von Schaulustigen mit Feldstecher! Nur mit Spesen und so konnte die Band auf Dauer nicht existieren.
Um die Band am Leben zu erhalten, schlug Rainer Baur vor, zweigleisig zu fahren und nebenher kommerzielle Jobs, als Variety Band mit Coversongs zu agieren. Uwe Patzke war dagegen. So wurde ein Bassist für dieses Projekt gesucht. Der hieß Albert Wieler. Als die Band sich in dieser Konstellation schon mit dem Namen Music Circus etablierte, kam Produzent Hartmann mit einem Auftritt im Bayerischen Fernsehen. GIFT trat hier deshalb mit Albert Wieler am Bass auf, weil es GIFT eigentlich gar nicht mehr gab. Es war zu diesem Zeitpunkt zwar noch im Gespräch, als GIFT eine Tour als Vorband von „UFO“ zu bestreiten; das Angebot kam jedoch zu spät, weil Music Circus bereits voll im Geschäft war und GIFT nicht mehr existierte.
40 Jahre später bewarb sich Rainer Baur im Namen von GIFT für eine Fernsehshow Pro 7 „ Millionärswahl“ unter dem Motto: Nach einer kurzen Pause von 40 Jahren starten wir wieder durch.
Der ursprüngliche GIFT Singletitel von 1974 „ got to find a way“ , (b/w blue apple), wurde zeitgemäß neu aufgenommen und in der Sendung präsentiert.
Ein fataler Fehler seitens des Senders in der Abstimmungsmodalität führte zu einem shitstorm in den sozialen medien gegen die Band und den Sender. 2 weitere geplante Live Sendungen mussten kurzerhand abgesagt werden. Die Blätter in ganz Deutschland berichteten darüber.
Rainer nahm diesen Eklat zum Anlass darüber einen neuen Song ( shitstorm) zu schreiben und aufzunehmen. – Dies war der letzte Akt von GIFT -----------------------------------------------------------
Dank „youtube“ und „facebook“ wissen wir, dass es GIFT Fans und Fanclubs auf der ganzen Welt
( Mexico, Brasilien, Australien, Ungarn und Russland…) gibt.
Die „Akademia“ in Los Angeles kürte den Auftritt mit einem award – best live performance video-
in einer Gala am 21.4.2016 in Hollywood
Keiner von uns weiß, wie viele Tonträger jemals verkauft wurden.
Rainer Baur, Mai 2016
PS: Grischa Batanoff, Komponist und Mitautor einiger Titel war ebenso wenig russischer Herkunft wie „Edelrusse“ und Zeitgenosse Iwan Rebroff, sondern das Pseudonym von Produzent O.B. Hartmann, der unter dem Namen „Grischa Batanoff Orchester“ auch selbst musizierte.