Die Romantik rauchender Schlote
Es ist einer dieser wenigen hellen Dezembertage im Rheinischen Revier: die Wintersonne steht tief am Himmel. Ein kurzer Blick im Internet: Sonnenuntergang um 16:27 Uhr - die Fahrzeit von Nähe Düren bis kurz vor Jülich an den Rand des Tagesbaus Inden beträgt etwa 25 Minuten, passt! Umgehungsstraße, Traktorgespann mit Weißkohl, Kreisverkehr, Ampel – angekommen, da wo einmal die Straße in den Ort Pier abzweigte, und jetzt das tiefe Loch des Tagesbaus in der Landschaft klafft. Die Sonne steht tief über der Kulisse aus Tagebau und dem Kraftwerk in Weisweiler, dessen Wolken bei winterlichen Temperaturen sehr plastisch in den Himmel steigen. Nach einem kurzen Standortwechsel und dem Einlegen des Films in die zweite Kamera dann das erste Bild des Tages: dramatisch verschwindet die untergehende Sonne hinter dem Pilz aus Wasserdampf des Kraftwerkes. Erstes Motiv im Kasten. Auf der Suche nach dem Großgerät fallen zwei Absetzer ins Auge – kurzer Standortwechsel, dann zack! Ein weiteres Motiv umgesetzt. Die Sonne ist untergegangen, gemütlich geht es auf die Fahrt nach Hause. Film entwickeln und Bilder bearbeiten.
Diese Kurzprotokoll eines Fotoexkurses steht exemplarisch für mehrere fotografische Vorhaben mit Industriemotiven und ist ein Teil einer dokumentarischen Idee, ja vielleicht so gar einer Art Passion.
Kein Sonnenuntergang am Meer
Ein Sonnenuntergang am Meer ist sicherlich eine reizvolle, romantische Sache, aber einen Sonnenuntergang umrahmt von einem Kraftwerk und einem Tagebau? Im Zentrum steht schnell die Fragestellung, ob die Kombination aus einem, überspitzt gesagt, kitschigen Postkarten-Sonnenuntergang und einer hässlichen Industriekulisse eine ähnliche Wirkung erzielt, wie das klischeehafte Urlaubsfoto aus dem Mittelmeerraum oder die zahlreichen stimmungsvollen Landschaftsfotografien aus der Eifel, die man auf Heimatkalendern findet.
Ist die Abbildung solcher Motive nicht ein Widerspruch in sich – die Natur, und wie sie im gleichen Moment verschmutzt und zerstört wird? Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler beispielsweise gehört zu den Kraftwerken mit den höchsten schädlichen Emissionen in Deutschland. Das Ende des Kraftwerkes ist beschlossen. Der dazugehörige Tagebau verschlingt ganze Dörfer, vernichtet Natur, Kultur und Erinnerungen, trotz Renaturierung und Umsiedlung bleiben Narben in der Landschaft und in der Gesellschaft zurück. Oder was ist beispielsweise an den Hochofenkulissen in Duisburg oder der Kokerei im Ruhrgebiet, die seit weit über hundert Jahren die Fassaden der Häuser der naheliegenden Wohnhäuser schwärzen, so faszinierend? Muss man diese negativen Eigenschaften auch noch durch die Dokumentation auf Fotos verewigen?
Faszination Technik kontra Umweltgewissen
Bei der Auswahl der Motive gibt es, neben persönlichem Interesse, auch immer eine Art Faszination für die Technik oder die ingenieurtechnische Leistung. Egal ob Förderturm, Kraftwerk oder Hochofen. Es sind riesige Gebilde aus Eisen und Stahl, die Dinge produzieren oder Teil eines industriellen Prozesses sind. Gleichzeitig sind es aber auch Orte, an denen Menschen arbeiten. Der riesige Braunkohlenbagger versetzt sprichwörtlich Berge, bedient wird er aber durch nur eine Person im Fahrstand. Ein Hochofen ist ein riesiges technisches Meisterwerk, welches aber zunächst einmal „nur“ Roheisen produziert, dass unverarbeitet wenig nutzbar ist. Der Hochofen ist der fundamentale Teil einer sehr komplexen Prozesskette, an dessen Ende zum Beispiel eine Bramme oder ein Strang aus Stahl steht.
Das Spiel mit den Motiven ist immer auch eine Beschäftigung mit der Realität. Der Strom kommt eben nicht aus der Steckdose, das Blech für das Auto oder den Küchenherd eben nicht nur aus dem Laden. Alle diese Dinge müssen hergestellt werden. Auch wenn der Strukturwandel in vollem Gange ist, es modernere Techniken geben wird, dokumentieren diese Bilder auch den Stand der Dinge. Das zukünftige Verschwinden beispielsweise der Tagebau und Kraftwerke ist eben auch eine Veränderung. War die Fotografie von Industrieanlagen in der Vergangenheit maßgeblich auch oft eine Dokumentation von Leistungsfähigkeit und Fortschritt, so können diese „romantischen“ Motive genauso diesem Aspekt gerecht werden: die Langzeitdokumentation einer sich verändernden Industriekultur und die Anregung zu einer Diskussion über eben diese.
Das Bild des Dezembertages wurde in einem Foto-Portal im Internet veröffentlicht und bekam guten Zuspruch. Unter diesen Kommentaren fand sich auch die Anmerkung, ob es nicht ein „klimafreundlicheres“ Motiv gegeben hätte. Sicherlich hätte es das. Einen knorrigen alten Eiche mit Wegekreuz in der Jülicher Börde kann man auch gegen einen Sonnenuntergang stellen, aber da wären wir ja wieder beim für Jedermann kompatiblen Standard – mit eindeutig viel weniger Bildaussage und Diskussionspotenzial. Die Eingangsfrage bleibt leider offen. Es liegt zum aller größten Teil im Auge des Betrachters und an der individuellen Sichtweise, welche Reaktionen der Sonnenuntergang am Kohlekraftwerk auslösen kann.
Linktipp:
'Unterwegs im Ruhrgebiet'
'Unterwegs im Rheinischen Braunkohlerevier'