Mörder!! eine Zoologie des Essens
1. Verhandlungstag im Prozess gegen den „Animaleater“
Das geheime Geständnis:
Ein Mann verschwindet hinter den Vorhängen des Beichtstocks: Vater, ich habe getötet, sprecht mich von Sünde frei! Sohn, die himmlische Verzeihung braucht echte und reife Reue. Vater, ich empfinde aber diese Reue nicht und werde es wieder tun: Ich esse auch diejenigen, die ich getötet habe oder deren Tötung ich mit sehnlicher Erwartung in Auftrag gegeben habe. Vater ich esse Tiere! Sohn, ich brauche dir nicht zu vergeben, denn du hast nicht gesündigt. Auch ich esse Tiere, denn wie es heißt im alten Testament, das für uns Christen noch immer ebenso gültig ist, wie für alle Juden und Mohammedaner: Machet Euch die Erde untertan – und das umfasst ebenso die Tierhaltung, wie die Schlachtung und den Verzehr des Fleisches.
2. Verhandlungstag.
Verhör des Angeklagten.
Ich habe von ihnen gegessen.
Und, wenn ich auch nur daran denke, kommt mir wieder dieser angenehme verlockende Geruch nach gebratenem Fleisch in die Nase.
Ich sehe sie vor mir liegen, diese knusprigen Hähnchenbeine, diese herrlichen Rostbratwürstchen.
Panierte Schnitzel mit Zitronenscheibe und Kartoffelsalat.
Euer Ehren, schützt mich denn niemand vor mir selber – denn ich muss es wieder tun.
3. Verhandlungstag.
Die Vorgeschichte des Falls.
3.1.
10 Jahre. Ich war Einzelkind und wuchs in gut behütetem Elternhaus auf. Die Fliege hatte mir sicher nichts getan. Hausarrest – zum Langeweilen auf mich selbst beschränkt. Ich fühlte mich von den Eltern ungerecht behandelt. Ich riss der Fliege die Flügel aus. Mein Vater stellte mich zur Rede. Da war ich über mein Tun plötzlich entsetzt und verzweifelt. Ich musste sie töten.
3.2.
Die Kröte, die ich mit 14 Jahren im Garten fand, sah furchtbar aus. Wie bei einem spätgotischen Grabrelief kamen mitten aus einem Auge, kamen mitten aus Ihrem Kopf, bei lebendigem Leib Maden heraus. Fliegen hatten wohl ihre Eier in eine Wunde gelegt. Immer wieder versuchte die Kröte verzweifelt mit ihren Vorderbeinen diese tödlich lästigen Parasiten weg zu streifen. Ich rannte davon. Mit schreien versuchte ich mir dieses Bild aus dem Gedächtnis zu löschen. Vergebens – ich musste etwas tun.
Mit einem großen schweren Ziegelstein, den ich genau mit einer Kante auf die Kröte fallen lies, tat ich es dann.
3.3
Nach dem Abitur in den wilden Sechzigerjahren ging es natürlich erst mal mit der Freundin zusammen südwärts.
St. Marie de la mer, an der Küste der Provence gelegen und für seine Population an Hippis im Sommer bekannt, war für uns behütet aufgewachsene und wohl erzogene Möchtegern-blumenkinder und Wirtschaftswunder-revolutionäre absolutes Muss. Wie wir gehört hatten, war es auch ein bekannter Wallfahrtsort für Sinti und Roma. Für uns waren diese allgemein abschätzig als Zigeuner bezeichneten freien Menschen Sinnbilder des absolut reinen Verzichts auf kapitalistische Wertanhäufungen und festverwurzeltes Spießertum. Dort wollten wir mit fast keinem Geld unter Gleichgesinnten ein paar Tage oder Wochen verbringen. Fasziniert sahen wir dunkelhäutige Frauen in voller malerisch bunter Kleidung im Meer stehen. Sie schienen etwas aus dem Meer zu pflücken und dann mit dem Messer ihre Beute in den Mund zu schieben. Mehr neugierig als hungrig gingen wir zu ihnen ins Wasser. Muscheln! Miesmuscheln – das kannten wir damals natürlich nicht.( Für mich war es einige Jahre früher mit 15 Jahren schon ein besonderes Erlebnis gewesen, bei einem Freund eine Dose Heringe in Tomatensoße essen zu dürfen. Meine Mutter kannte nur bodenständige Nachkriegsküche mit viel gekochtem Gemüse und Sonntags Siedfleisch).
Die Frauen zeigten uns, wie man die Schalen öffnet und mit ein paar Tropfen Zitronensaft die Muscheltiere abtötet, um sie dann zu essen. Selbstversorger, ohne für Geld arbeiten zu müssen! Wie nahe waren wir diesem Traum!
Und zur Nachspeise Trauben vom Feld oder ein paar von diesen grünen herrlichen Früchten dort an den Bäumen! Zutritt zu Ersteren wehrten uns Zäune, zu Zweiteren die bald folgende Erfahrung, dass unreife Feigen nicht nur für Magenzwicken sorgen.
3.4.
Bald nach diesem Erlebnis wieder zu Hause in angemietetem Bauernhaus in Reutern versuchten wir uns mit Gelegenheitsarbeiten bei den Bauern im Umkreis unserer Landkommune am Leben zu halten. Grenzenloser Ekel bei der Wartung der Laufbänder von Hähnchenmastanlagen mit teilweise verendeten oder halb verendeten Tieren. Immer wieder mal musste ich diese Tiere von Hand mit einer Axt töten. Die mütterlichen Besitzerinnen der Anlage in Adelsried versorgten uns mittags als stolze Köchinnnen wochenlang während der Arbeiten immer wieder mit jedweder Form von sicher köstlich zu bereitetem Hähnchenfleisch. Noch lange Zeit danach konnte ich kein Hähnchen mehr riechen.
An einem Spätnachmittag brachte mir eine der Damen ein junges Kätzchen, welches wohl unter ein Auto gekommen war und sich nicht mehr rühren konnte. Kläglich miauend und doch kaum hörbar öffnete es zum wiederholten Mal seine kleine Schnauze. Der Tierarzt habe zur Zeit Urlaub und überhaupt, ob ich es denn nicht erlösen könnte. Bitte aber nicht hier auf dem Hof, wo man womöglich das Tier noch schreien hören würde. Ich nahm es mit in unseren Kommunardenhof und vollbrachte mein blutiges Werk mit der Axt. Entsetzt vernahmen einige meiner friedliebenden Freundinnen und kriegsdienstverweigernden Freunde von dieser Gräueltat. Du bist ein Mörder! Damit trug ich das Kains-mal. Ich war für immer gezeichnet.
3.5.
Der Traum von besitzlosen Selbstversorgern aus der Natur, der bei den Roma zum Keimen gebracht war, war bei mir aber immer noch nicht zerplatzt. Während wir auf Reisen in andere Länder sonst zur Verpflegung unserer Kommunardenmägen meist Unmengen an Spagettipacketen und Tomatenmarkdosen mit geschleift hatten, hatte sich der Traum bei mir schon genau manifestiert. Ich wollte meine „Familie“ stolz durch Fischerei aus dem Meer versorgen und hatte eigens dafür einige Angelhaken mit ins Gepäck genommen. Wie dumm nur, dass es auf den steinigen Inseln Santorin und der Pelepones keine Würmer gab, die man hätte an den Haken spießen können. Geöffnete Seeigel waren zwar bei kleinen Fischen genauso beliebt, liesen sich als glibbrige Masse aber nicht an die Schnur hängen. So war am Abend nur eine klitzekleine Sardine und ein paar herauf getauchte klägliche Wasserschnecken im Jagdbeutel zu finden. Schallende Häme war mein Dank bei den Freunden, die sich an ihre Spagetti mit Tomatensosse heran machten. Trotz Protesten lieh ich mir die Pfanne aus, um meiner Sardine in köstlich brutzelndem Öl und mit knurrendem Magen einen mindestens gleich guten Duft zu entlocken. Nachdem sich das dumme Vieh in lauter nicht mehr auf findbare Kleinteile auf gelöst hatte , die mühsam gekochten Schneckenschalen sich selbst durch beständig hartes Klopfen mit einem Stein nicht öffnen ließen, war ich zutiefst frustriert . Wie schön doch nur, dass meine Freunde mir doch noch ein paar Nudeln gelassen hatten!
Jagderfolg brachte der nächste Tag: Stolz präsentierte ich den kleinen Polypen, den Polpo, schon zur Mittagszeit. Ungut nur, dass ich vor dem Kochen vergessen hatte, ihn wiederholt kräftig gegen einen Stein zu schmettern, um die Muskelspannung zu lösen. Selbst nach dem Gebrauch einer ganzen Gaskartusche konnte man diesen kulinarischen Leckerbissen weder schneiden noch gar mit den Zähnen irgend wie so zerkleinern, dass man ihn auch hätte schlucken können. Seither schaue ich lieber in die Kochtöpfe anderer Zeitgenossen und bin seit dem meinerseits damals noch sehr erstaunten Blickwechsel mit einem Widderkopf im Anschluss der Reise im Norden der Türkei auch immer bestens damit gefahren. Auch andere kochen und braten stets nur immer das, was Ihnen auch selber schmeckt. Wäre da nicht unsere Abscheu vor Unbekanntem, könnten wir uns mit Hochgenuss durch die Küchen der Welt futtern.
4.Verhandlungstag.
Das Geständnis
Wie unsere Vorfahren, die Ratten, und unsere näheren Verwandten, die Schweine, bin ich Allesfresser.
Bitte Vorsicht: Ich bin Wiederholungstäter!
Ich scheue mich auch unter Bedenkens religiöser oder kultureller Vorgaben nicht unreine Tiere, oder ekelhafte Tiere dann zu essen, wenn sie köstlich zubereitet herrlich schmecken. Leider kommt das gerade in Asien reisend viel zu oft vor. Also nehmen Sie Sich und Ihre lieben Hausbewohner vor mir in Acht. Da sitzt doch vor Ihrem Canapee dieser kleine süße Hund mit diesen treudoofen gutmütigen Augen, da schlummert schnurrend und nichtsahnend Ihre schmusige Katze. Hilfe! Bitte sperren Sie mich weg! Es hat mich in Besitz genommen! Ich esse auch Tiere!
5. und 6. Verhandlungstag:
Beweissicherung
.
1992 - verjährt:
_ Vor 20 Jahren habe ich meinen ersten Hund gegessen und es war herrlich.
Zu meiner Entlastung: Es war kein ganzer Hund, nur eine Art Hundegulasch in dunkelbrauner verführerisch duftender scharfer Sosse, wunderbar zubereitet in kleinen Schälchen zusammen mit weiteren Kostproben wie auch Wasserbüffel- und Schweinefleisch und vielen unbekannten Gemüsesorten bei den Toraja auf Sulawesi im Inselstaat Indonesien.
Die Fleischkonsistenz war relativ faserig, eher zäh, sicher lange geköchelt, aber die vielen Gewürze sorgten für himmlischen Genuss. Ich weiß vor lauter Gewürzen aber jetzt gar nicht mehr, wie jetzt eigentlich der Hund geschmeckt hat.
Das ist dann tatsächlich immer ein Vor- und zugleich Nachteil an südostasiatischer Küche. Man kann jede Art Fleisch gut gewürzt genussvoll verzehren, der Eigengeschmack geht aber etwas verloren.
1993-verjährt:
_ Kennen sie westafrikanische Buschratte (Aguti), ein Nagetier,
schmeckt afrikanisch, dh. ohne viele Gewürze außer mit etwas Piri-piri(Piment) eingerieben und gebraten deutlich nach Kaninchen. Ebensolches bekam ich in der Elfenbeinküste vorgesetzt, als ich gaudihalber nach Affenfleisch verlangte.
Das soll man nicht wegen möglicher Ansteckungsgefahr durch gefährliche Humanviren vom Affen auf den Menschen. Manche sagen, nicht nur die unheilbaren hämoragischen Fieber, sondern unter Umständen auch Aids wurden ursprünglich auf diesem Weg übertragen.
Da und nur da vergeht natürlich auch mir schon etwas der Appetit.
Weitere Punkte der Anklage:
_Natürlich kennen Sie Schweinefleisch. Bei mir gilt: Was ich schon kenne, muss ich nicht immer unbedingt wieder haben.
Von Schweinefleisch aus dem Erdofen, wie es bei den Papua im Norden von Neuguinea an den Murik Lakes zubereitet wird, sollte man abraten. Heiße Steine werden aus dem Feuer genommen, in eine Erdgrube gelegt und mit Fleisch, Sago- und Bananenblättern bedeckt. Obendrauf sorgt eine Erdschicht für gleichmäßige Isolierung während des stundenlangen Kochens. Da aber die Leute den herrlichen Geruch mit knurrendem Magen nicht lange aushalten, wird die Grube oft schon verfrüht wieder geöffnet. Das Fleisch wildlebender Schweine enthält oft Trichinen, die nur bei höheren Temperaturen und längerer Kochzeit ab getötet werden.
Das Verbot beim Genuss von Schweinefleisch war früher sehr sinnvoll. Das Singsing der Inselbewohner war beeindruckend, der fade Sago und die ungewürzt gekochten Blätter muss ich nicht unbedingt noch einmal essen. Weit interessanter die Nachspeise etwas weiter unten zur Sepikmündung zu:
Florfliegenkuchen kitzelt die Sinne. Die zarten Flügelchen der Unmengen an Florfliegen, die zu einer eiweißreichen Schicht über Sago-pampe kitzeln beim Essen tatsächlich gehörig am Gaumen, bevor sie die Kehle hinunterrutschen. Wie immer auf den melanesischen Inseln, ist das Ganze meist nicht einmal gesalzen, geschweige denn gewürzt.
Essen in der Südsee sollte man deshalb wohl eher nur auf die Unmengen herrlich exotischer Früchte beschränken, von denen die Stinkfrucht wohl die ungewöhnlichste Erfahrung bereitet: Beim Genuss der an einen Coktail der allersüßesten Urwaldfrüchte erinnernden Götterspeise sollte man sich stets frühzeitig die Nase zu halten, damit man den absolut ab weisenden Gestank nach verfaulenden Kadavern nicht doch noch irgendwo am Rande mit nehmen muß. Lassen wir hier aber nach dieser einzigen Ausnahme auch all die exotischen Knollen und Vegetabilia unerwähnt, die unter asiatischer Anleitung zu dauerhaft schmackhafter Verführung bestimmt sind, damit unsere Zoologie des Essens nicht noch durch eine Botanik ergänzt werden muß . Zurück also zur papua-neuguinesischen Tierwelt:
Mit großen Köchern aus fein geflochtenen Urwaldfasern werden an ein paar wenigen Tagen im Jahr hierfür die Unmengen an hochzeitswütig ausschwärmenden Eintagsfliegen von der Wasseroberfläche ab gefischt.
Wird man in Neuguinea von bereits Erwähntem nicht satt, was in Hinsicht der dort bei einem Singsing (Fest) bereits in Erwartung schmalerer Küche verzehrten Unmengen geschmackloser Sago,-, Brotfrucht,- Yams,- und Süsskartoffelpampe nahezu unmöglich erscheint, wird einem flugs Flughund oder Opposum in vita angeboten. Dieses Angebot kann man in Hinsicht auf die riesigen unschuldigen dunklen Augen und den mangels Gewürz zu erwartenden faden Geschmack bei zähfaseriger Konsistenz beider Geschöpfe Gottes gerne ablehnen.
Ob ich im asiatischen Raum ebenso dem Tierschutz verhaftet bleiben könnte, weiß ich allerdings nicht.
Krokodil vom Nil bekommt man so gut wie nie angeboten, dagegen sehr wohl die jüngeren Artgenossen des Leistenkrokodils, welches in Nordaustralien in großen Farmen nur wegen seiner Haut gezüchtet wird. Als eine Art Zwiebelrostbraten lassen sich die zähen, in Spur bitteren aber durchwegs faden Fleischstückchen zwar essen, sind in Kroko-burgern mit viel Senf oder Ketchup aber weit besser aufgehoben. Im spassorientierten Land kann man bei Bestellung einer Portion Krokodilsfleisch auch gleich noch ein Gratisfoto von sich selbst ausgedruckt bekommen: „Man eating maneater“ ist dann drauf zu lesen.
Mit dem Geschmack von kleineren Waranen, die von den Aborigines oft aus ihren Sandhöhlen herausgezogen und mitten in der Asche der Lagerfeuer geschmort werden, wird man im Bereich der Reptilien auch um keine neue Erfahrung reicher, außer man hat noch nie Asche probiert.
_Ähnlich erging es mir dort in Nordaustralien auch beim Genuss der legendären Wickedy scrumps, der dicken und fetten Maden des Papierbaumkäfers. Diese legendäre Kost, die man beim mehrtägigen Besuch von Stämmen der Aborigines natürlich unbedingt probieren sollte, „sollte“ angenehm mit nussigem Nachgeschmack nach Ei schmecken. „Sollte“, wenn man bereit ist, die Tierchen roh bei lebendigem Leib zwishen den Zähnen zu zerquetschen. Leider konnte ich mich dazu nicht durch ringen und zog es vor die gegrillte und schon getötete Variante zu mir zu nehmen. Der Geschmack nach Asche und altem Kaffee war überwiegend, da man mir die Kerlchen nach erfolgter Hinrichtung im glühenden Feuer in meiner Manjaluk-kaffeetasse, notwendiges Survivingsouvenir der Manjaluk-tours serviert hatte.
_ Durchaus interessant mitten im „Holt-mich-hier-raus-Dschungel“ die Zubereitung fetttriefender Känguruschwänze, die aus nichts anderem wie Fett und Knochen zu bestehen scheinen. Wirklich köstlich der Genuss vom Baum gepflückter Ameisennester, die man zwischen den Händen und über den Mund gehalten etwas drückt, um in der Hitze ein erfrischendes Maulvoll Zitronenwasser zu erhalten. In Hinsicht auf die Kolateralschäden an Hunderten unschuldiger nicht stechender Ameisen, glaube ich sicher, trotzdem das nächste Mal lieber besser die importierte Spritedose gewählt zu haben. Weniger breit vernichtend, aber immer noch unverhältnismässig eigensüchtig der himmlische Genuss der unterirdisch lebenden Honigameisen, deren Hinterleib beim Essen des ganzen Tierchens einen süßen gespeicherten Saft abgibt. Gerade diese beiden Insektenarten sind meiner Meinung nach die absolute Spitze australischer Urküche.
_Oh die Insekten ohnedies, lieber aber immer fein südostasiatisch in würzigem Öl frittiert. Wobei schon auch die mexikanischen Heuschrecken mit Chiliöl verfeinert gegrillt oder frittiert und mit bitterer schwarzer Schokoladesoße (Mule) serviert mir manchmal schon noch im Traum erscheinen. Aber gar erst diese ganzen ehemals kribbelnden und krabbelnden Umweltkünstler, die man überall auf asiatischen Märkten zum schnellen Imbiss aus dem heissen und scharfen Öl zieht und angeboten bekommt, welch nahrhafte Eiweissbombe! Nun Kakerlaken kann ich wegen ihres heftigen Geruches, der an Maggi erinnert, nicht ausstehen. Ich mag ja auch kein Maggi, welches die kluge Hausfrau der Radiowerbung in den zwanziger Jahren in Reminiszenz an ehemals deutsche Kolonien in Afrika ähnlich verheissungsvoll lobte wie altbewährtes Palmin-Palmenöl.
Aber all die anderen netten nahrhaften Krabbler: Grillen und Köcherfliegenlarven. Nichts Besseres gibt es für den kleinen Hunger! Und selbst am schmutzigsten Wegesrand gekauft absolut verträglich, weil siedend heiß abgetötet auch jedweder Krankheitskeim unschädlich gemacht wurde.
Kostenlos für alle Mitarbeiterinnen der Seidenproduktion gibt es als Pausensnack auch die schmackhaft frittierten aus dem Gewölle gelösten Puppen der Seidenraupe. Auch für mich immer ein angenehmer Snack in der Jackentasche, der für meine Schüler in Deutschland dann oft zur willig gesuchten Mutprobe wird. „Schmeckt lecker nach cruspy Chips“ versuchen sie sich gegenseitig zu ermuntern.
Vogelspinnen sind recht giftig - weiß man. In Kambodja und anderen südostasiatischen Staaten weiß man auch, dass durch das Frittieren das Gift in seine Grundbestandteile zerlegt und somit harmlos ist. Allerdings schmecken Vogelspinnen, die von den Einheimischen als große Delikatesse an gesehen werden und mit Haut und hier wörtlich: Haaren verspeist werden auch ohne ihre gifthaltigen Klauen ganz lecker. Zunächst stellte ich mir eben solches kratzende Gefühl m Gaumen vor, welches man ja auch beim Genuss von Okra-schoten kennt und wagte mich nur an die beim Hineinbeißen in kleine würzig trockene Brösel zerfallende Beine des Tieres, wie man das ja evtl. auch von den anderen frittierten Insekten oder den langfrittierten dünnen Resten von Pommes frites kennt. Beim aufgequollen fetten Hinterleib und Brustkorb fiel es mir schon erheblich schwerer, mich auf ein positives Gaumenerlebnis einzustellen. Das erwartete Kratzen und das matschige Innenleben irritierten mich. Da die Häarchen kaum im Mund ebenso zerfielen wie die Beine vorher und das Innere wirklich an ein gut gewürztes Frühstücksei erinnerte war die frittierte Dame schnell ein Teil meiner Nahrungskette geworden. Es hatte wirklich lecker geschmeckt.
_Essen Sie Schwalbennestersuppe nie hier im Spezialitätenrestaurant: Es schmeckt im Ansatz ein wenig nach Salz und einem Hauch von Zitronengras, soweit der Chefkoch das absolute Klar des heissen Wassers durch 2 Spreisel Gras zu beleben versucht hat. Essen Sie Schwalbennestersuppe bei den Pflückern in Borneo, die in absolutem Höhlendunkel in schwindelnder Höhe auf schwankenden Bambusstangen nach den Nestern greifen. Hier ist die Suppe trotz Zugabe einer eher reichlichen Menge getrockneten farblosen Mauerseglerspeichels einerseits ein wenig klebrig, andererseits ohne Zwischenhändler wesentlich billiger. Möglicherweise schwimmen jetzt statt 2 immerhin 3 Strohstückchen im klaren Wasser, weil die Pflücker das Nest nicht bis zum letzten Körnchen von Beimischungen gereinigt haben. Wegen aus bleibendem Aha-effekt ist es sicher sinnvoll der Delikatessreise noch eine Informationsreise durch die neue gleichförmige Landschaft Borneos zu unternehmen( Motto der deutschen Subventionen: Palmölproduktion statt Primärurwald)
_Schlange schmeckt gebraten am besten. Üblicherweise bekommt man in Südostasien Speikobra. Die werden soweit nicht für Tempel oder zur Gewinnung von Schlangebissserum gebraucht, meist gleich in Stücken in die Suppe gegeben. Es ist ohnedies nicht viel dran und das wenige gibt dann einen guten Fleischgeschmack. Gebraten schauen die Stücke aus wie Nürnberger Rossbratwurst und essen sich wie das Stückchen Gurgel am oberen Ende des Brathähnchens. Das heisst man muß mit den Zähnen abfieseln und wird davon nicht satt. Gut in Würze gelegt, schmeckt es aber mindestens so gut wie Spearribs. Den Kopf mit den Giftzähnen wird man auf dem Teller nicht vorfinden. Mir wurde gesagt, daß man das restliche Gift manchmal als Liebesmittel einsetzt oder damit dezent manche Speisen nach würzt.
_Am giftigsten ist der Rotfeuerfisch. Gerne in hauchdünnen Scheiben in Japan serviert wird auch das Fleisch der Kofferfischarten. Das darin enthaltene Gift lähmt vorübergehend prickelnd die Geschmacksnerven. Wie es scheint, kann man danach mit abscheulich schmeckendem Reisschnaps KO-Trinken in den Karaokebars veranstalten oder wiederlich schmenkendes Walfett nippeln.
_Haifischsteaks auf Grill geröstet sind allerfeinst, wenn man Ihnen die raue zahnbewehrte Haut vorher ab zieht und richtig würzt. Haifischflossen werden den urweltlichen Fischen bei lebendigem Leib ab geschnitten, und der eigentlich wohlschmeckende nahrhafte Rumpf wegen Mangel an Nachfrage wieder bewegungsunfähig und weiter leidend ins Meer zurück geworfen. Haifischflossen sieht man auf chinesischen Märkten in getrockneter Form in jeder Größe und zu Massen in große Plastiksäcke ab gepackt, in unvorstellbaren Mengen herum liegen. Geschmacklose raue Haut und dürre Gräten ohne Nährwert.
_ Wenn ich mich an meine Kindheit nach dem 2. Weltkrieg erinnere, denke ich mit Grausen an jene ölig stinkende Flüssigkeit, die man im Winter als Folge des Mangels an anderen Vitaminen in Menge eines ganzen Esslöffels in sich hineinlaufen lassen musste: Lecithin waren die drohenden Worte des Menetekels, das sich da quer über die Medizinflasche erstreckte. Selbst das Zuhalten der Nase half nichts, wie die Flüssigkeit noch Stunden später im Magen blubberte und durch die ganze Speiseröhre hinauf geruchlich mit einem sprach. Walfett ist eine der Lieblingsspeisen der Japaner. Nicht nur ,dass mit dem Walfang diese grossartig klugen Tiere langsam für immer verschwinden, ich kann in keinster Weise das wohlige Gefühl im Mund nach voll ziehen, wenn dieser ranzige Geschmack auf meine Zunge kommt.
_ Manches isst man wirklich nur einmal und ist für immer vor weiteren Geschmackversuchen geheilt. An Manchem hat man sich irgendwann übergessen und möchte gerne einen weiten Bogen darum machen. So geht es mir schon seit Jahren mit der italienischen Standartküche, wie Sie in den meisten der deutschen italienisch geführten Restaurants angeboten wird. Warum gibt es nicht mehr Thailänder, Vietnamesen, Chinesen, Inder, Griechen und Kroaten. Kaum machen sie auf, müssen sie schon wieder schliessen, weil unsere Zeitgenossen zum Italiener mit diesem fettig-süss-sauren Einheitsgeschmack strömen, den wir seit unserer milchnippelnden Kindheit als angenehm empfinden.
_Straussenfleisch ist mitlerweile in und wird gerne wegen seines cholesterinarmen aber würzigen Geschmackes gegessen.
_Pferdefleisch schmeckt gut in der Wurst, als Pferdesteak hat es wohl wegen einem erhöhten Stressgefühl des Tieres beim Schlachten einen für meinen Geschmack zu großen Säuregehalt. Oft angeboten bekommt man es dennoch in der französischen Schweiz und im französischen Jura.
_Bärenfleisch ist eine Delikatesse in Rumänien, Bulgarien und
man bekommt es auch zu fairem Preis unter 20 Euro in einem Restaurant in Skolnica in Kroatien gleich nördlich von Rijeka, wenn Sie zu einer der schönen kroatrischen Inselstrände unterwegs sind. Dort treten auch die Halubanski Zvonkari auf, eine mit wilden Tierköpfen und Bärenmasken verkleidete Truppe.
_Kaninchen kennen Sie aus südfranzösischer aber auch italienischer Küche: absolutes geschmackliches Hightlight ,solange der Hase nicht Opfer eines Autofahrers war und die spitzen Knochen den Geschmack schmälern. Denkt man an die großen Augen und das meist friedliche Wesen dieser Kinderlieblinge unter den Haustieren, so wird einem der Raubtierinstinkt andererseits gehörig aus gebremst. _Noch schlimmer ergeht es einem bei der Bestellung von Meerschweinchen in Peru und anderen Teilen Südamerikas. Obwohl dieses dort in fast jedem Bauernhaus wie bei uns die Hühner gerade zum Schlachten heran gezogen wird, stellt man sich lebhaft vor, wie so ein armes Tierchen mit herz zerreissendem ängstlichen Quicken für einen einzelnen allemal schon fettleibigen Mitteleuropäer nur zur Gaumenfreude eines einzigen Mittagsessen sein trauriges Leben verhauchen muss. Ich hatte mir hierbei geschworen, es bei einem Auftragsmord zu belassen und mich in Zukunft eher wieder mit gemeinschaftlich begangenen Verbrechen meiner nicht zu sättigenden Fleischeslust zu besinnen. Ich habe es ohne weiteres Meerschwein aus gehalten.
_ Krabben-cocktail (als Partyknüller): Welch unheimliche Wortkombination!
Wird hierbei an den fröhlichen Festcharakter erinnert, den seine Geniesser gerade im Hintergrund vollziehen, während an die 20 bis 30 dieser Tierchen, nackend geschändet in ein Glas gestopft werden. Krebsfleisch ist durchaus geniesbar, etwas langweilig und infolge des Cholesteringehaltes eher nur in kleineren Mengen empfehlenswert.
_Flusskrebse sind größer und werden vor allem auch in den Vereinigten Staaten in der weiteren Umgebung von New Orleans gerne gegessen, geschmacklich getoppt durch feurige französisch-indianische Cahunsosse . 4 bis 6 Leben für ein Abendessen?
_Oder gar die Ochsenfrösche, deren Schenkel dort am Mississippi gegessen werden, nachdem sie den Tieren bei lebendigem Leib heraus gerissen werden, schmecken auch nur so lange so fein, wie man von der ruchlosen Mordtat zuvor nichts weiß oder zu wissen glaubt.
7. Verhandlungstag:
Schluss- Plädoyer des Angeklagten
Werter Herr Richter!
Hiermit gelobe ich vor Gericht feierlich, dass ich nicht alle Morde wissentlich und in voller Absicht aus geführt habe. Manches war wohl gedankenlos oder nur aus reiner Neugier einfach so passiert. Bei vielen überkommt mich im nach hinein die Reue , weil der erhoffte Gaumenkitzel und die somit mögliche Lustbefriedigung nicht wirklich eintraten.
Dennoch muss ich sagen. Es ist aussichtslos, auf Besserung zu hoffen. Ich werde es wieder und wieder tun. Ich bin kein Buddhist für den das Töten von Tieren eine unverzeihliche Sünde, ein unverständliches Tun wäre. Aufgezogen in westlicher Zivilisation sehe ich herunter auf meine Brüder und Schwestern die Tiere und morde weiter und ohne Ächtung durch meine Gesellschaftsform, die mir nur in wenigem hinterher steht. Und gibt es auch genug Pflanzen, deren würzig abwechslungsreichen Zubereitung allen asiatischen Stämmen zu Kenntnis ist, so wird es mir hier unter meinem Stamm niemals möglich sein, mich ohne Morden von eben diesen Pflanzen zu ernähren, weil wir sie hier nur unter Zugabe von Salz stets zu einem geschmacklosen Brei verkochen oder unter Zugabe von Unmengen an sauer gewordenem Wein , dem Essig, zu einer Magenhaut reizenden Substanz verändern müssen. Herr Richter, seid gnädig, tötet mich gleich oder verbannt mich aus diesem Lande bei Todesstrafe auf dass ich meine armseelige Existenz fern der Heimat beenden muss!
> "ich glaube, ich schaff meinen Hunger ab"
Ja, wenn man konsequent gut sein will, muss man sich wohl verhungern lassen ;)
Aber damit würde man ja auch wieder ein Lebewesen töten... ts, ts, ts, welche Dilemma ;)