Krampus, Ruprecht, Wüschtklaus: oder der Gott aus den wilden Wäldern der Balkanhalbinsel
Von draus vom Walde komm´ ich her, ich kann Euch sagen es weihnachtet sehr, reimt Sankt Nikolaus, wenn er auch heute noch die Kinder in den Stuben besucht und neben den althergebrachten Gaben an eiweiß- und vitaminreicher Nahrung, die in früheren Zeiten das winterliche Einerlei aus Hafergrütze oder Gerstenbrei, das auch nicht allen Familien zum Überleben ausreichend zur Verfügung stand, ergänzte. Klöpfeln gehen, dh. an den Türen der reicheren Bauern betteln müssen, gehörte bei vielen winterlichen Festtagen zum Alltag der Tagelöhner.
Christianisiert und gezähmt im Gefolge des Heiligen Mannes kamen je nach ländlicher Gegend unterschiedliche „Wüstlinge“, die den Kindern Angst machen sollten und sie zu braven Untertanen erziehen sollten. Allen Unholden ist gemeinsam, dass sie sich aus uralten vorchristlichen Gottheiten ableiten lassen, deren Kulte vom Christentum seit dem 3. Jhdt. nach Christus mit aller Macht der Obrigkeit nach kirchlichem Edikt (Gregor der Große)ausgerottet werden sollten.
Dabei wurden die alten Feiertage, besonders die Winter- und Sommersonnenwenden und Äquinoktien bewusst mit den wichtigsten christlichen Feiertagen belegt. So rutschte das Datum der Weihnachtsfeier z.B. vom 6. Januar der orthodoxen Zählung auf den 24. Dezember, an dem sich die alten Kulttage der Götter Mithras, Apoll und Dionysos und anderer befanden. Alte Kultstätten wurden mit Kirchen überbaut, Kultstatuen zerschlagen und die alten Götter/Göttinen durch passende Heiligenfiguren ersetzt. Der Kult der Magna mater wurde so zum Beispiel zur Marienverehrung umgestaltet.
Einige alte Gottheiten, die durch Ihr laszives erotisches Äußeres auf alten Darstellungen besonders auffielen, fiel die Un-ehre zu, den bis zum 6. Jhdt. in keinerlei Bildform existierenden Teufel der drei monotheistischen Religionen ins Bild zu setzen. So wurde aus dem Gefolge des Fruchtbarkeits- und Exstase-gottes Dionysos, den Satyrn, das man mit Ziegenhörnern , Bocksbeinen und (oh Schreck) erigiertem Phallus auf griechischen Vasenscherben ausgegraben hatte, der Teufel. Dionysos, Pan und die Satyrn und römischen Faune scheinen damit nun direkte Vorfahren der Gestalten beim Krampuslauf und für die gezähmten Begleiter des Nikolaus zu sein.
Nun gab es aber im kalten Österreich-Ungarn keinen Dionysoskult und erst recht keine Satyrspiele. Die armen „Nackerden“ hätten sich ja schrecklich erkältet. Mir stellte sich die Frage: Wo war das berühmte „ Missing Link“? Wo gab es die lokale Verbindung von Griechenland bis weit hoch zum Österreichischen Krampus oder gar zum Knecht Ruprecht der deutschen Weihnachtsbräuche. Mit den Perchtenläufen hat der „Rauhe (behaarte) Gesell nämlich trotz ähnlicher Buchstabenfolge nichts zu schaffen.
Nun habe ich diese Verbindung gefunden. Ein auf dem Balkan bis ins 6. Jhdt. weit verbreiteter Kult, der ursprünglich illyrisches Brauchtum, von den Römern aber vor allem im Westen, in ganz Dalmatien, Pannonien bis in den Osten Dakiens auf einfachen Altären im Freien weitverbreitet kultiviert wurde , ist der Kult des Silvanus. Der Gott aus dem Wald (lat. Silva), ein Vegetationsgott des jahreszeitlichen Wechsels, gleicht mit vielen Merkmalen den Satyrn und wurde wohl wie der Kult des Dionysos im gemeinsamen Begehen und Besingen der Natur (Komos-odos = Gesang beim Laufen--Komödie) mit Tiermasken in Bockskostümen (Tragos-odos = Gesang der Ziegenböcke – Tragödie) ausgeübt. Nymphen und die Göttin der Jagd (bei den Römern Diana) begleiten auf den primitiv einfachen Darstellungen des eher bilderfeindlichen Frühchristentums meist den Gott Silvan.
Gibt es eine Verbindung von Silvan zu Krampus, so freilich noch mehr zu den Wüschtkläusen und wilden Klausen in der Schweiz und im Allgäu. Ihre oft noch einfachen Fellmasken mit Gehörn bilden ja die Brücke bis weit zurück in die Steinzeit. Wie andernorts von mir beschrieben waren im Neolithikum Männer- (Viehhüten und Jagd) wie Frauengruppen (Dorforganisation und Ackerbau) aufgabenmäßig und damit wohl auch in Hinsicht des überwiegenden örtlichen Aufenthaltes meist getrennt. Wie auch Maria Giambutas vermutet , kamen die Männer mit Tiermasken aus Fell nur zu festlichen Anlässen ins matriarchale Dorf.... und schon sehen wir die Klausen in unserer Vorstellung vor uns erscheinen(!) .Auch die Schamanen der Alt- und Mittelsteinzeit trugen Tiergehörn gejagter Tiere, wie Funde durchbohrter und mit Riemen getragener Hirschschädelkalotten (mesolithisch: Star Carr, Berlin-Biensdorf etc.) beweisen .
Sicher lassen sich auch noch weitere Figuren der europäischen Maskenbräuche wohl auf Silvan, den Gott aus dem Walde zurück führen: Der tierisch behaarte: „Wilde Mann“, der bei vielen Fastnachtsumzügen z.B. in Tirol und im Allgäu gezähmt die schwierigsten Hilfsarbeiten (z.B. Ziehen des Baumstamms bei Fisser Blochziehen) zu erledigen hat. Auch der „Greenman“ ein von Blattwerk umranktes Gesichtsrelief, ein „Mascaron“ des Manierismus, der engl.-irischen Gotik und der Neo-renaissance im 19. Jhdt. kann hier neu interpretiert werden.
Schließlich finden sicher auch all die vielen Bilddeutungen von Heiligen und Eremiten mit überdurchschnittlich viel unbeschnittenem Haarwuchs wie Johannes der Täufer, der heilige Onondarius und all die Eremiten, deren Darstellung vom Leben in der Einsamkeit, eben auch der Wälder hier bildhaft geprägt sein sollte.
Für einen wahren Christenmenschen des Mittelalters, dem das Dorf und die umgebenden beackerten Felder (Land-schafft) Heimat und Sicherheit war, mag der Wald mit all seinen Gefahren durch wilde Tiere und Gesetzlose ohnedies nur bedrohlich gewesen sein (Land-(e)scape). Silvanus, der Gott der sich in fast moderner Ausrichtung besorgt um Natur und Umwelt kümmerte, hatte da freilich keine Chance.