Keine Angst vor fremden Religionen:
Nadelpuppe – schwarze oder weiße Magie
Die Gesichtszüge des 6-jährigen waren voll der Anspannung, verbissen, aber zielgerichtet entschlossen, als er versuchte, mit seiner hölzernen Spielzeugzange den Nagel direkt ins Herz von Ken zu treiben. Ken, der Lieblingsfreund von Barbie war zugleich einer der wichtigsten Akteure seiner kleinen Schwester. Das Bewusstsein, etwas Unerlaubtes zu tun, gleichwie auch der Wiederstand der Materie verschafften ihm Riesenkräfte. Wie, um seine Kräfte zu steigern, hielt er eisern bei dieser Anstrengung die Luft an, bis ihm ganz schwindelig wurde. Obwohl sich sein Kopf rötete, sich seine Backen immer mehr aufblähten und seine Fingerknöchel bei der Umklammerung ganz weiß wurden, gab er nicht nach, bis sich der Nagel mit einem kaum hörbaren Geräusch durch Kleidung und Plastikkörper der Figur bohrten. Geschafft!
Fast hatte es ja so geklungen, als hätte Ken sein arrogantes Leben jetzt ganz allein mit einem wehleidigen Klagen beendet. Er, der sonst ja immer im Mittelpunkt des Interesses seiner kleinen Schwester und ihrer Freundinnen stand, war eine feige Meme. Wie um auf diesen letzten Seufzer zu antworten, sich aus dem alten zwanghaften Auge um Auge, Zahn um Zahn heraus zu winden, sagte der Junge leise, immer noch außer Atem und stoßweise:“ Du warst ja selber schuld, Onkel Georg“. “Warum musstest Du uns auch alle zu Deinem langweiligen Geburtstag einladen, so dass Mama und Papa nicht mit uns zum Erlebnispark fahren konnten. Und so musste Ken, der freilich auch einiges auf dem Kerbholz hatte, stellvertretend für Onkel Georg zum Ziel des relativ sauberen Nagels aus Papas Werkzeugkiste werden.
Das lässt uns ganz gewaltig schaudern, da wir ja wissen, dass hier in Gedanken gerade quasi ein zielgerichteter Mord passiert ist.
Nadelpuppen, das muss schwarze afrikanische Magie sein!
Schnell kommt da der Begriff von Voodoo und die Angst vor unbekannten gefährlichen kultischen Praktiken.
Voll daneben!!
In den Zeiten der christlichen(!?) Inquisition wurden den Delinquenten, denen man ein Geständnis abpressen wollte, üblicherweise die Marterwerkzeuge zunächst einmal gezeigt und erklärt. Eine weniger drastische Methode, die aber erfahrungsgemäß trotzdem psychologisch stark wirksam war und das Geständnis vorbereitete, war das Platzieren von Nadeln in einer aus Kleideresten bereits Hingerichteter hergestellten Puppe.
Aus Belgien und Lothringen sind in einigen Museen solche Puppen bekannt, aus einer Zeit vor dem intensiveren kulturellen Kontakt mit dem schwarzen Kontinent.
Manches, ganz Weniges auf dem schwarzen Kontinent hat sich als Nachahmung erfolgreicher Strategien der damaligen Kolonialmächte ergeben. Schade, dass wir auf der anderen Seite erst in letzter Zeit gewillt sind, auch von den Naturvölkern oder von Afrika zu lernen (z. B. bei der medizinischen Wirkung der Dschungelpflanzen etc.)
Beim Kontakt mit den Kriegsschiffen und Feuerwaffen der Eroberer wurde den Afrikanern vorgespielt, dass die Überlegenheit der Waffen auf der Überlegenheit des Glaubens und der Kultur beruhen würde.
Der Heilige Sebastian der von den Missionaren als wichtiger Heiliger und Fürsprecher in den entbehrungsreichen fremden Ländern auch im belgischen Kongo gerne mitgeführt wurde, wurde so ungewollt Vorbild für eine typisch afrikanische Kultfigur.
Die im Kongo an der Küste seit dem 18. Jhdt häufig angebeteten und für Heilungs- und Stärkungszeremonien Nagelfetische scheinen von den pfeilgespickten Sebastiansfiguren beeinflusst worden zu sein.
Die Skulpturen der Vili, Woyo und vor allem der Bakongo weisen eine ganze Reihe von in den Körper hinein getriebenen unregelmässigen Eisenstücken und Nägeln auf. Zusätzlich werden in an gebundenen Päckchen, Ziegenhörnern und Höhlungen am Nabel und auf dem Scheitel der Figur magische Substanzen an gefügt, die der Figur Kraft geben sollten. Wird die Hilfe des Fetisch benötigt, dann wird ein weiteres Eisenstück in den Körper getrieben. Fast vergleichbar mit einer Batterie, die angezapft wird.
Gerade vor diesen Kongofetischen und dem damit so überzeugt ausgeübten „heidnischen“ Verhalten erschraken nun aber die Missionare und Kolonialbeamten auf der anderen Seite ganz besonders. Sehr viele der benutzten alten Fetische wurden natürlich verbrannt und werden wegen großem Interesse im Kunstmarkt, auf satanischen oder postchristlichen Messen zu Hunderten in den Schnitzerfabriken in Kinshasa u.a. neu und nachträglich nachgemacht und gefälscht. Vor solchen Fetischen braucht man heute wirklich keine Angst zu haben.
Eine ähnliche Übernahme von Brauchtum der Kolonialmächte gibt es unter anderem auch bei dem Kult der Mammi wata (water), der Göttin aus dem Wasser, die heutzutage in mehreren Tempeln in Togo und Westbenin zusammen mit ihren Kulttieren den Pythons angebetet wird.
Am Bug der an Kanonen oder geladenen Waren reichen englischen Schiffen war üblicherweise meist eine barbusige Wassernymphe geschnitzt. In der Hoffnung vom Reichtum und der Macht der vermeintlichen Göttin ein wenig ab zu bekommen, wurde durch Gebete und Opfer versucht, den jetzt im Kleinen nachgeschnitzten Holzfiguren solche Belohnung ab zu verlangen.
Natürlich stammten viele der nach Übersee z. B. die Karibik verschleppten „ Negersklaven“ vor Allem aus den Ländern der Gold-, Elfenbein- und Sklavenküste ( Benin und Nigeria) und brachten viele Ihrer Kulte wie den Gelede, Egungun- und Voodookult oder die Mamiwata-verehrung dorthin. Da sie Ihren Glaubensvorstellungen und Kulten dort aber nicht offen nachkommen durften, wurden die Kulte im Verborgen zu Geheimkulten und mischten sich andererseits wieder mit Elementen des Christentums. Der sich aus Unkenntnis abgeleiteten Angst der weisen hierin nicht weiter geschulten christlichen Bevölkerung entspringen heute die Thematiken moderner Horrorfilme.
In unserer Ausstellung: Figurenpaare fremder Völker werden viele afrikanische Religionen mit Text und Objekt berührt und zu erklären versucht.
Haus der Kulturen Diedorf, Lindenstr. 1 an der Bundesstrasse 300. T. 08238/60245 oder über die Gemeinde Diedorf: 08238300426