Vogelwild! Bulgarische Höhlenkunst der Bronzezeit und die dionysischen Kulte der Antike
Magura-cave : Im flackernden Schein der Fackeln und beim rythmischen Klopfen der Trommeln zieht die Schar der Tänzer an uns vorbei. An den Höhlenwänden riesige Schatten der Tänzer, dunkle Projektionen tiergestaltiger Götter. In den Krümmungen der Höhlenwand scheinen sie im tiefen Schatten der Höhle zu verschwinden und tauchen plötzlich auf weiter entfernten Stellen der Wände als riesenhaft dunkle Monster wieder auf. Sie tanzen im Schatten des flackernden Lichtes.
Die kleine Diodenfunsel, die ich mir beim Begehen der Magurahöhle im äußersten Nordwesten in die Tasche gesteckt habe, glimmt gleichmässig müde vor sich hin und zeigt mir den ganzen Zauber eines prähistorischen Maskenzuges. Fast wie eine simple Kinderzeichnung ziehen im Gänsemarsch bewegte Strichmännchen zweifelsohne im tiergestaltigen Maskenkostüm an mir vorbei. Tief unten an der Wand im flachen abgelegenen Gang des Höhlensystems geben sie mir Möglichkeit, mir über frühe Maskenkulte, Schamanismus und Jagdzauber Gedanken zu machen.
Wir waren angereist von den archäologischen Fundplätzen der Donaukultur in Serbien und ohne Schwierigkeiten im Mietwagen aber etwas Zeitaufwand für die Grenzformalitäten die 30 km nach Bulgarien hinein gekommen und jetzt das: Am Eingang der Höhle hörten wir, dass wegen Brand am Beleuchtungskabel der wichtigste Teil der Höhle mit den Malereien in Zukunft für immer gesperrt sei . Aller Aufwand und jede Vorfreude auf dieses steinzeitliche Geschichtsdokument zerplatzt wie eine Seifenblase. Alles Lamentieren und auch der freundliche Versuch einer Bestechung (vielleicht gezielte Ausrede, die Sache mit dem Kabelbrand?) halfen nichts – fast wären wir dann aus Protest wieder gegangen. Doch, wir durften die Höhle allein erkunden … gab uns das eine Chance? Wirklich Glück gehabt: weil das brennende Kabel im abgelegen Teil der Höhle die Beleuchtung ja ausser Kraft gesetzt hatte, hatte man auch versäumt, eine schmale Sperrtür hinten im Dunkel ab zu sperren und so konnten wir uns im Schein der Funsel bis zu den Malereien vorwärts tasten. Herrlich!, Das hat sich gelohnt, auch wenn die Fotos nicht ganz so ausgeleuchtet sind! Die letzten Bilder aus einer Höhle, deren spezieller Zauber in Zukunft verschlossen bleiben wird.
Darstellungen von Verkleidungen und Maskierung in Höhlen sind selten. Bekannt sind vor Allem die Darstellung eines Tänzers mit Hirschgeweih und eines Vogelmenschen. Hirschschädelmasken kennt man aus steinzeitlichen Funden in Thüringen und Cornwall. Nachbauten gibt es im Maskenmuseum Diedorf zu sehen. Vermutet wird eine Verwendung für den Jagdzauber, bei dem das Tier im Ritual vor der Jagd um Verzeihung und Selbstopfer für eine hungernde Gruppe gebeten wird. Auch ein Opfer für die Fruchtbarkeit der Felder und der Erneuerung der Natur kommt zur Diskussion. Matriarchale Feldbau treibende Gruppen der Donaukulturen scheinen sich allerdings allmählich durch den Einfluß der indoeuropäischen Eroberer aus den Steppen Russlands (Ab 2000 vor Chr.) von den religiösen Ursprüngen mit den Muttergottheiten des fruchtbaren Halbmondes in Syrien, Irak und der Türkei weg entwickelt zu haben. Die im geheimen Ritus als große Mutter (Astarte, Ischtar, Isis, Demeter) auf tretende Frau aus der von erfahrenen Frauen gebildeten Dorfregierung sucht sich einen jungen männlichen Liebhaber für die mythische Hochzeit, der danach ermordet und der Natur als Opfer gegeben wird. Wiedergeboren wird er als starkes männliches Tier, wie Hirsch, Eber, Bär und Wolf, Wunschvorstellung der patriarchalen Strukturen, das gejagt und wieder für die Fruchtbarkeit der Natur sein Leben geben muss. Alte Mythen sind das freilich, die langsam an den Götterhimmel der Indoeuropäer angepasst und umfabuliert werden. Der als Opfer zerstückelte und geschundene Mann, wie Osiris und Dionysos ,Orpheus und ansatzweise sogar Christus wird wieder zusammengesetzt und in der Anderswelt oder Unterwelt wiedergeboren. Tierische Masken von starken Leittieren sind später Zeichen des griechischen Dionysos und etruskischen Perse (Persona). Im Tierischen wird der Verstorbene wieder lebendig. Satyr und Faun sind Vorformen des Perchtenbrauchtums. Vögel sind die Boten der Götter und bringen seit der persischen Mitrasreligion, so wie heute noch bei den Parsen, die für die fliegenden Aasfresser schnabelgerecht zerstückelten Toten, ins Jenseits. Vogelgestaltige Tänzer treten in vielen südeuropäischen Maskenbräuchen auf (die Comedia dell Arte in Venedig, die Kukeri von Pernik in Bulgarien, der See(l)vogel in Oberösterreich und Niederbayern etc.) und sind natürlich, wie auch z.B. die Vogelmenschen der Osterinsel zeigen, weltweit verbreitet.