Totenvögel – Seelenfänger - Kindermacher
Sie sind wieder da:
die großen Weißgefiederten, die gebückt zwar, aber dennoch erhaben, mehr als bedächtig langsam und doch scheinbar zielstrebig durch den abendlichen Nebel in den Schmutterwiesen schreiten. Graue Reiher sind auch unter Ihnen, erstarrt mitten in der Bewegung wie bei einer Momentaufnahme, einem Schnappschuss, auf einem Bein verharrend. Wie urzeitliche Relikte auf einem alten Schwarzweissfoto aus einer fernen Zeit weit vor unserer Bilderflut.
Es muss wohl schon hundert Jahre oder mehr her gewesen sein, da war die schweigsame Schar noch ergänzt durch die Schwarzgewandeten, Schwarzstörche vielleicht, vielleicht sogar dem heute fast ausgestorbenen Waldrapp mit seinem schwarz-buntschillerndem Gefieder. Störche und Reiher sind uns freilich treu geblieben, manchmal bleiben sie sogar in den jetzt durch den Klimawandel aufgeheizten Wintern hier ganz bei uns.
Lange Zeiten haben diese stillen Vögel unser Leben begleitet und haben sich in alten Erzählungen, Redewendungen, Mythen und Erzählungen gehalten. Mythen, die den Jahreswechsel, den Wechsel der Generationen und der Wiedergeburt von Mensch, Tier und Natur für unsere Vorfahren erklären sollten, entfremden sich jetzt durch den Klimawandel weit von der Wirklichkeit.
Da schenkt man dem jungvermählten Paar , vielleicht sich an alten Brauch erinnernd, für den Garten einen aus Spanholz ausgesägten und bemalten Storch mit einer Kinderwiege. Freilich mag man augenzwinkernd noch immer gern den Kindern erzählen, dass der Storch die kleinen Babies bringt.
Mädchen, die der Storch in die Wade gezwickt hat, entstammen heute freilich zurück liegenden patriarchalen Jahrhunderten, in denen Eva noch aus der Rippe Adams geschnitzt, Aphrodite aus dem Schenkel Zeus geboren wurde. Christentum und andere Vaterreligionen haben natürlich das ihre getan, um die alten naturbeobachtenden, naturverbundenen und naturbejahenden Erzählungen und Mythen aus zu dünnen.
Manche der Ursprungsmythen lassen sich jedoch aus alten Bräuchen rekonstruieren:
Vögel, besonders die großen unter ihnen spielen dabei eine wichtige Rolle.
In vielen Abbildungen in Steinzeithäusern, zum Beispiel in Catal Hüyük nicht weit von Antalya in der Türkei entfernt, zeigen uns Geier und zerstückelte Menschen, dass bei den ersten Siedlern, Bestattungen durch Verfüttern an die Aasfresser üblich waren, wohl auch um Krankheiten aus anderen zu nahen Begräbnisstätten von den Lebenden fern zu halten. Der Boden war heilig und nur für das sich immer wieder erneuernde Geschenk der keimenden Saat reserviert. Vögel werden aber auch als Boten und Überbringer der Toten zu den Göttern, zur Göttin, Herrin und Mutter Natur, wahrgenommen, die man auch in der neolithischen Türkei verehrte.
Die langnasigen Maske des Pestdoktors aus Venedig ist deutlich in der Form einer weisen oder schwarzen Vogelmaske aus Leder. Die Form lässt sich einmal aus dem Herstellungsprozess aus einem feuchten flachen Lederstück, zum anderen aus der Tatsache erklären, dass die Pestdoktoren tunlichst natürlich durch ein so langes Ding auf der Nase dem Kranken bei der Visite nicht zu nahe kamen. Der Schnabel bot auch für ein Tüchlein mit wohlriechend ätherischem Parfüm Platz, welches gegen den vermeintlichen Übertragungsweg durch schlechte Gerüche aus den Kanälen taugen sollte.
Vogelmasken waren in Venedig und den Balkanstaaten, wie man wiederum steinzeitlichen Höhlenmalereien , zum Beispiel in der Magurahöhle im Nordwesten Bulgariens sehen kann, aber bereits vorher bekannt.
Störche und auch den heute seltenen schwarzen europäischen Ibis, den Waldrapp, gab es damals zu Hauf in den flachliegenden Sümpfen um Venedig, natürlich freilich auch jede Menge Moskitoscharen. Diese waren Nahrung für andere Vögel aber, neben der Pest die ja durch Rattenflöhe übertragen wird, auch Auslöser der Malaria. Der Tod war in Venedig zu Hause, es blieb nur die Hoffnung auf ein Leben danach.
Ehrwürdige Vögel in weiss und schwarz stapfen bedächtig durch das flache brackige Wasser. Ab und an sieht man in Ihren Schnäbeln kleine zappelnde Wesen, wie kleine Menschlein mit zwei Armen und zwei Beinen. Sind das die Seelen der geliebten Verstorbenen, die aus dem Dunkel der sumpfigen Erde wieder ans Licht wollen? Sind Storch und Co. Seelenvermittler? Hat man vor Urzeiten geglaubt, dass diese menschenähnlichen doch recht glitschigen Sumpfbewohner als lang erhoffter Kindersegen in den noch leeren Kinderwiegen landen würden? Vermutungen?
Schon lange verstand man den langen roten Schnabel des Storches, ebenso wie das rote kroatische Halstüchlein, die Krawatte, als Symbol männlicher Potenz: „Wer´s lang hat lässt s lang hängen“. Umso verständlicher, dass letzteres Symbol patriarchaler Herrschaft am gumpigen Donnerstag, zur Weiberfastnacht, auch fein säuberlich kastriert zu fallen hat. Da sind wir schon beim Fasching und bei der Verkleidung mit Vogelattributen.
Vermutet wird , dass der Anblick unseres schwarzschillernden Ibis, des Waldrapp, der auch am Bodensee früher reichlich vorhanden war, dort das buntschillernde „Plätzleshäs „(bunte Stofffetzen auf schwarzem Untergrund) der Überlinger Hansele mitgeprägt hat. Lange rote Stoffschnäbel, oder sind es lange Stoffzungen, ergänzen die Maske gleich passend dazu.
Oder soll uns die bunt zusammengesetzte Faschings-Kleidung an das zusammengestückelte Fetzengewand armer Aussätziger und Pestkranker erinnern, die es auch im Schwäbisch-alemannischen natürlich leider in früheren Zeiten häufig gab.
In den harten Wintermonaten zogen sie ebenso wie die Tagelöhner und Saisonarbeiter und ihre Kinder verkleidet mit alten Kleidungsstücken und einfachen selbstgebastelten Schalkmasken von Haus zu Haus, sagten Verslein auf, sangen Lieder und spielten kleine kurze Stücklein aus kirchlicher Mythologie und dörflichem Geschehen, um ein wenig Essen oder andere milde Gaben zu erheischen. Gut war es dann , wenn der Anblick eines von Krankheit gezeichneten Gesichtes hinter einer lustigen Maske verborgen blieb.
Lautes Klappern oder das Läuten umgehängter Glöckchen sollten die Gesunden vor dem Kontakt mit diesen Armen warnen. Glöckchen trägt auch die Maskierung des Faseniggl im Altmühltal, deren Auftreten ein Pestgelübde, oder eines Gelübdes bei einer anderen unbekannten Epidemie war. Die Kinder schreien der Figur brauchtumsgemäß: „Goisucht“ (Gelbsucht) hinterher.
Klappern tut aber ja auch ein uns bereits bekannter Vogel, der altem Glauben nach mit Tod und aber auch mit neuem Leben in Verbindung gesetzt wird.
Wenn all diese Coronagefahr gedämmt, all diese unsäglichen Einschränkungen endlich wieder überwunden sind, ich gelobe es hiermit feierlich, werden unsere maskierten Diedorfer „Seelvögel und Schabernackler“ wieder den Diedorfer Maimarkt unsicher machen, manchem feinen Herr mit Ihren Klapperschnäbeln den teuren Hut klauen und manche willige Dame in die Wade zwicken.
Seien Sie willkommen!
So ein spannender Artikel, Michael, den werde ich mir gleich ausdrucken !!!
Daran mußte ich bei Lesen denken:
2010 war ich bei der Hochzeit einer Cousine in Oppeln/Opole in meiner alten schlesischen Heimat. Nach der Trauung und Brautmesse hat der Pfarrer dem frisch vermählten Paar einen Storch in Lebensgröße mit eigener Hand auf dem Hochzeitsauto befestigt….das Gelächter der Umstehenden höre ich heute noch ;-)))))))
LG, Romi