Die Geschichte von der 1001 afrikanischen Nacht
Ein Griot ------
Ganz weit oben unter dem Dachvorsprung des Hirsestrohs, das die einfachen Lehmhütten in Burkina Faso bedeckte, saß eine Spinne in Ihrem kunstvoll gewebten Netz. Es war keine gewöhnliche Spinne, denn immer wenn sich ein Insekt in ihrem Netz gefangen hatte, sprach Sie beruhigend auf das Tierchen ein, das sich ja mit aller Kraft und mit panischer Angst vor dem unausweichlichen Tod wieder aus den Fesseln befreien wollte. Sie erzählte ihm in aller Ruhe kluge und lehrsame Geschichten, die sie von anderen Krabbelwesen gehört hatte und die sie mit Ihren schillernden Fäden bildhaft in ihr Netz mit eingewebt hatte. Wenn Ihr es so wollt, war sie eine Geschichtensammlerin, eine Märchenfrau, ein Griot, der als Sänger und Musikant in Afrika den Menschen lehrsame und unterhaltsame Geschichten erzählt, die irgendwo in unseren Köpfen gewachsen sind, nie aufgeschrieben wurden und eben nur durch uns erzählende Menschen wieder zum Leben erwachen. Stirbt ein Griot, so stirbt mit ihm eine ganze Bibliothek, die ungeschrieben nur in seinem Gedächtnis eingeprägt ist, so wissen es die Leute in Afrika. Drum hört man gerne zu , um dieses Wissen weiter zu verbreiten. Vielleicht gefällt Euch ja auch diese Geschichte, so dass Ihr sie euch merken und weitererzählen wollt.
Nun , unsere Spinnenfrau, die Geschichtensammlerin, nennen wir sie einfach mal "Scheherazade" ermunterte Ihre Gefangenen, auch aus dem eigenen Leben zu erzählen und frug sie mit zurückhaltender Wissbegier, was denn ihrer Meinung nach der Sinn ihres Lebens gewesen sei. So erzählte Ihr die gefangene Biene von der Emsigkeit, mit der sie für die königliche Nachkommenschaft Nahrung beschafft und von all dem köstlichen Honig, den sie für die aristokratischen Tafelfreuden zubereiten durfte. Der Heuhupfer verriet Ihr von dem lebenserfüllenden Gefühl des Leistungssports, wenn das Adrenalin gewaltsam, aber doch so übervoll Erregung spendend durch seine Adern aus Chitin gepumpt wurde, das es ihm das kleine Herz vor lauter Glück fast zu zerreisen drohte. 4 Meter hoch war der Sprung seiner starken kleinen Hinterbeine gewesen, der ihn am Höhepunkt des Glückserlebens mitten ins rettende Fangnetz der Spinne hatte fallen lassen. Die Malariamücke rühmte sich voller Stolz des erfüllenden Lebensglücks, allein durch die Angst vor Ihrem fast schmerzlosen Kuss Hunderten, ja Tausenden von Menschen durch ihren fast unhörbar Ss.. SSs.. süssen Gesang den Schlaf geraubt oder sich zur nächtlichen Ruhe hinter weit größeren Netzen zu verstecken, als es sie, die kleine Spinne, wohl jemals würde weben können. Der Schmetterling schwärmte der immer ganz sesshaften Weberin vor, wie herrlich es sei durch die Welt zu flattern, trunken sich ins gemachte Bett immer wieder anderer herrlich schöner Blumen zu legen und den herrlichen Nektar von ihren zärtlichen Lippen zu saugen. Aber müde wäre er jetzt geworden, sagte der unstete Flattermann, so müde, dass er jetzt auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen ins weiche Netz der Spinne geflogen sei, um ein bisschen zu schlafen.
So erlebte es die Spinne bei fast allen der Tiere in ihrem Netz, dass sie nach einem erfüllten Leben, einer Rückschau ganz auf den selbst gewählten Lebenssinn, von Erschöpfung, von Müdigkeit, ja fast Überdruss an der ganzen Überfülle des Lebens und von all den Leiden sprachen, die ein so erfülltes Leben wohl so mitbrachte. So klagte der Heuhupfer über seine schmerzend überlastete Gelenke, die Mücke über ein stets lästiges Ziehen in den Schultergelenken, das ihr den hohen Ton des gefürchteten Ss.., Sss.. Ssss.. nicht mehr glaubhaft richtig erreichen lies und die Biene gestand ihr, sie leide leider bös an der Zuckerkrankheit und könne diesen verantwortungsreichen Job nicht mehr zur eigenen und fremden Befriedigung richtig gut ausführen. Sie träume sehnsuchtsvoll von sauren Gurken und hatte sich in unbeobachtetem Moment neulich nach der Zubereitung von Honig in eine der leeren Aufzuchtkammern gar fürchterlich übergeben müssen.
Nachdem alle der gefangenen ihr Herz endlich jemandem hatten ausschütten können, schliefen sie meist in Erinnerung alter Zeiten mit den schönsten Träumen ein. Zärtlich umwickelte die Spinne sie sodann mit wärmendem Gespinnst zur kuscheligen Ruhe im schützenden Kokon.
Viele, ja vielleicht gar an die tausend Geschichten hatte die kleine Weberin so von den Lippen der gestrandeten Tiere abgelesen, gesammelt und mit genial ausdrucksstarken Motiven in ihr Netz hinein gewoben. So konnte sie, die ja eigentlich in ihrem fest verankerten Netz selbst nicht allzu viel von der Welt gesehen hatte, doch so viel Schönes und Beruhigendes erzählen, dass ihre kleinen Gefangenen wie von selbst hypnotisiert in den Schlaf hinüber glitten. Wenn ich so herumblicke und tief in Eure Augen schaue, merke ich, dass auch bei Euch die Lieder ob all dieser Geschichten bereits schwer geworden sind und auch ihr ins kuschelige Bett wie Euren Kokon schlüpfen wollt. Weil ich Euch jetzt aber nicht tausend Nächte lang jeweils eine Geschichte erzählen kann, so wie das Scheherazade gemacht hat, erzähle ich Euch lieber gleich morgen die tausendundeinste Geschichte und dann müsst ihr selbst einfach mal sehen, wie Ihr weitere Geschichten vor dem Schlafen gehen selber dazu erfindet.
Die eintausendundeinste Geschichte des Morgens vor der eintausendundeinsten Nacht.
Der Morgen war angebrochen, es dämmerte und der Bewohner der Hütte in Afrika kam etwas fröstelnd aus dem Eingang heraus. Etwas unlustig zog er das Moskitonetz vom Eingang, er hatte nicht gut geschlafen, weil die lästigen Viecher mit Ihrem ewigen Ss.. Sss… Sss ihn gar heftig gepiesackt und ihm so den entspannenden Schlaf geraubt hatten. Fast hatte er gemeint, er hätte heute Nacht gar auch noch eine dieser Tsetsefliegen gehört, die die Schlafkrankheit übertragen und mit einem doch deutlich tieferen Ton Ss.. Sss.. Sss uns im Schlafe ängstigen. Schlaf ist ja gut, aber dann auf immer und ewig schlafen ist ja doch zu viel des Guten, er hatte ja doch gerade heute wieder so viel Arbeit zu leisten. Missmutig schlug er mit dem Arm nach oben, wo die Spinne schon wieder eine dieser eckligen Netze fertig gewoben hatte. Er schlappte mit seinen Plastiksandalen zur großen wassergefüllten Kalebasse mitten im Hof, um sich zu waschen. Aufgeschreckt von den Geräuschen und dem unmerklichen Erzittern des gestampften Lehmbodens rannte mit schier unglaublicher Geschwindigkeit eine dieser schwarzen Kakerlaken über den Hof, die sich über die Nacht in der Feuchte des verschütteten Wassers hatte erholen können.
Kaum konnte sie all den herabpurzelnden Geschichten ausweichen, die vom unwirschen Schlag des Menschenwesens aus dem kunstvollen Geschichtennetz der Spinne herausgeschlagen worden waren.
Wieder waren viele der Weisheiten, die den Lebewesen nur durch mündliche Erzählungen und kunstvolle Bilder überliefert waren verloren im Dreck menschlicher Unachtsamkeit. Der Spinne war zum Heulen zumute, wie sollte sie denn jetzt so einfach wieder neue Geschichten vom Sinn des Lebens zusammen bekommen, war doch jede Geschichte das Ergebnis eines ganzen Lebens und nur um den Preis eines vollen ganzen Lebens in das Netz hinein gewebt worden. Mit Tränen in den Augen verfolgte sie den Lauf der dunklen Schabe aus dem Einflussbereich des Menschen heraus: „Ich bin das Tier, dessen Existenz noch lange sein wird, wenn der Lauf der Zeit längst alles andere geschluckt hat, ich die ich lebe aus dem Unrat vergangener Jahrmillionen. Du dummer Mensch, siehst Du nicht in Deiner Hochnäsigkeit und Selbstüberschätzung, Deiner Unachtsamkeit für die Natur und Umwelt, was Du zum Sinn Deines Lebens machen solltest?“... schrie das flüchtende Insekt keuchend in Richtung der Wasserstelle. „Ich, der ich ewig leben werde und selbst die schlimmsten Umweltkatastrophen, die Du herbeiführen wirst, überleben werde, mich hast Du vertrieben, die Krone der Schöpfung, die eigentliche Herrin der Tiere!“ hörte die Spinne die schwarzen Krabblerin aus keuchender Brust heraus klagen, während sie sich in den Busch flüchtete, und für die Spinne bald nicht mehr zu hören war.
Die eintausendundeinste Nacht, soweit wir uns hier nicht verzählt haben
Voller Empörung über das von Ihr zugefügte Unrecht, krabbelte, lief, rannte die Kakerlake ohne Pause bis weit in die Steppe hinaus, bis es langsam dunkel wurde und die ganze Tierwelt zum Leben erwachte. So eine bodenlose Respektlosigkeit hatte sie ja bisher von noch keinem der anderen Tiere je erfahren! Sie brauchte dringend jemandem , dem sie in aller Ruhe Ihr Herz ausschütten konnte. Die Geräusche im Grasland waren vielfältig und nur für geübte Tierohren zu verstehen. Lautes Trompeten tat der Schabe kund, dass sich das Stärkste aller Tiere ganz in seiner Nähe befand. Schnell krabbelte das Insekt hoch in einen Baum, dessen Blätter von den Elefanten sehr geschätzt wurden. Just in dem Moment, als der große Bulle mit seiner verlängerten Nase nach den zartesten Blätter greifen wollte, lies sich die Schabe fallen, so dass sie durch die Nasenlöcher weit weit hinab in der enge Röhre des Rüssels bis ganz zu deren Ende fiel. Dort wo der Elefant mit feiner Nase all die unterschiedlichen Geruchsnuancen der Blätter sondiert und zuordnet, genau dort ließ die Kakerlake einen furchtbaren zerstörerischen Furz von sich, der all den feinen sensiblen Geruchsnerven des Elefanten den allerschrecklichsten Schmerz zufügte.
Weiß man doch das gerade der Gestank der großen schwarzen Schaben ihre allerschlimmste Waffe ist, die sie einsetzen können , so kann man verstehen, wie anstelle des triumphierenden Fanfarentones, nur mehr ein allerkläglichstes Gewinsel aus dem Hals des mächtigen Königs nach außen drang: „ Ich bitte Dich von ganzem Herzen, Mächtigstes aller Tiere, große unbezwingbare Kakerlake, gib Deinen untertänigsten Diener wieder frei, auf dass er für alle Zeit durch sein Trompeten vom allergrößten König aller Zeiten künden kann!“ Mit großem Stolz in der Brust kletterte das kleine Insekt wieder aus dem langen Rüssel. Nachdem sie das größte aller Tiere so mutig besiegt hatte, durfte sie eigentlich schon ein bisschen stolz auf sich selber sein. Das Tierchen allerdings stellte sich nun übermütig auf die beiden hintersten Füsse, stemmte sich alle anderen in die Seite, presste den Brustkorb heraus und versuchte mit seiner allertiefsten Stimme zu brüllen: Ha, schaut her, ich bin der Held des Tages, der wahre König der Tiere. Auch als nun wirklich noch gar nichts weiter zu hören war als ein sehr sehr helles leises Stimmchen, war die Schabe in Ihrem Hochmut noch längst nicht zufrieden und probiertes es das eine oder andere Mal weiter. Nun davon in keinster Weise entmutigt , sondern eher in Ihrer Einbildung bestärkt, machte sie sich dann schnurstracks wieder zurück auf den Weg zur heimatlichen Wasserkalebasse. Dort wollte sie schon begeistere Zuhörer für ihren Heldenmut finden.. Lang war der Weg, den die Schabe am letzten Tag vollgefüllt mit Zorn und Empörung nur keuchend zurück gelegt hatte. Jetzt war sie von Stolz erfüllt und schien leichten Herzens über alle Hindernisse fast hinweg zu fliegen. Am Ziel unter der Kalebasse suchte sie sich ein weiches feuchtes Eck und schlief ruhig bis in den Morgen.
Unsanft geweckt durch ein mittelschweres Erdbeben ausgelöst durch das schlürfende Platschen von billigen Plastiksandaletten suchte sie trotz neuem Mut im Herzen das Weite. Allerdings kam sie dieses Mal nicht allzu weit. Sie hätte der Spinne doch eigentlich noch so viel erzählen können. Doch da beendete ein plötzlich hörbarer Knacks Ihres harten Panzers ausgelöst durch eine weiche Schaumplastikschlappe das noch junge Leben. Aufmerksam hatte die Spinne mit jedem Ihrer 6 Augen den Vorgang verfolgt und begann nun zum sicher einhundertsten Mal all jene durch den wiederholt unachtsamen Schlag des Menschentieres ausgelösten Schäden an Ihrem so schön gewebten Geschichtentuch zu reparieren. Sei es drum dachte sie: Viel verloren, aber wenigstens wieder eine neue Geschichte dazu gewonnen.
Unsere schöne Ausstellung mit Insektenzeichnungen des Künstlerduos Otto und Gabriel Schorer wird Ende dieser laufenden Woche abgehängt. Auch die Ausstellungen mit Schmuck fremder Länder, aus denen die Fotos stammen können ab jetzt leider nicht mehr besichtigt werden. Dafür übernimmt der Weltmusiker Niamy Sitson aus Kamerun unser kleines Atelier im Haus der Kulturen und Maskenmuseum Diedorf für eine Weile, um dort als Griot seinen schönen Geschichten auf afrikanischen Instrumenten Melodie zu geben und Kurse in afrikanischer Musik zu geben. Njamy wurde in den letzten Jahren in seinem Heimatort als einflussreicher und erfahrener Schamane und Heiler ausgebildet. Auch diese Gabe und dieses Wissen über den empfindsamen Umgang mit unserer Mutter Natur und der Zukunft der Erde will er in Seancen und Seminaren weitergeben. Kontaktieren Sie uns unter : info@maskenmuseum.de