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Schweriner Speicher und WEITER (von Rainer Stankiewitz)

In Schwerin gibt es seit vielen Jahren den Speicher – eine Kulturkultstätte. Ich war dort noch nie Gast. Dabei hätte mich der Steimle so sehr interessiert! Doch meine Jalousie im Büro am Großen Moor rasselt um 17 Uhr herunter, und ich sehne mich nach meinem schönen Haus in Crivitz. Abends noch einmal aufzubrechen gelingt selten. Kulturbanause? Nein! Mehr ein tagausgangsmüder, alternder Zeitgenosse. Nun ist zu hören, der Speicher soll privatisiert werden. Mögen sie‘s machen, ich war
ja nie dort. Nein! Dürfen sie nicht machen! Ich kenne den Speicherchef aus der Zeitung, wir begegnen uns oft in Schwerin, grüßen uns nicht, weil er mich nicht kennt. Er hat immer eine kleine Aktentasche bei sich und macht auf mich den Eindruck, stets anwesend zu sein. Wenn er einem Reporter anvertraut, eine Privatisierung bedeute den Tod des Speichers, so glaube ich ihm. Jede Privatisierung bislang unter öffentlicher Kontrolle stehenden Eigentums ist eine Schandtat, weil sie sich gegen die Bürger richtet. Man macht schon nicht mal mehr Halt vor der buntbemalten Mauer in Berlin – jenen musealen Steinzeitrelikten, die man bislang mühselig erhielt, um den bösen Geist des Kommunismus abschreckend emporzurecken; für den Ertrag, den Luxuswohnungen versprechen, vergisst man gar die rote Gefahr. Das ist doch beachtlich! Auch das Schleswig-Holstein-Haus soll -damit Ataraxia lebt – sterben, sprich in die Hand eines „Mäzens“, zum Beispiel, gelangen. Ob ich dann noch meinen Bücherstand im April finanzieren kann, wenn Reinhard Thon zum vierten Mal dort die Schweriner Literaturtage organisiert?
Bislang konnte ich dreißig Euro Standgebühren noch berappen. Mitunter will der zukünftige Eigen tümer ein Münchener Rück-Lederhosen-Baron vielleicht oder ein Bremer Tiefseereeder nichts von meinen Büchern wissen? Die sind ihm zu popelig. Dann wird in der Schweriner Puschkinstraße feste Weißwurst genossen statt Mecklenburger Korn. Wobei natürlich nichts gegen kulinarische Kulturen anderer Regionen einzuwenden ist.as Problem ist ein ganz anderes! Der Staat hat kein Geld. Warum hat er kein Geld? Es wird doch genug von fleißigen Menschen erwirtschaftet. Wo also bleibt es?
Das Geld, welches fehlt, liegt in großen Batzen auf privaten Konten. Völlig absurd, völliger Quatsch, Wahnsinn! Und gerade von diesen Konten leiht sich der Staat immer neues Geld, das er mit Zinsen zurückzahlen muss. Woher nimmt er die Zinsen? – So schließt sich schnell ein Kreis der Erkenntnis, warum der Staat nichts hat und uns an immer kürzerer Leine führt.
Wenn wir davon hören, wie kleinkariert gefeilscht wird selbst um den Erhalt von halben Personalstellen im Jugendbereich oder um drei Euro, für die ein Almosenempfänger aus seiner Wohnung vertrieben werden soll, obwohl es schon die letzte ist im Mueßer Holz und danach nur noch der Campingplatz bleibt, und anderseits uns Kunde wird, dass einem so genannten Manager (ich kann dieses Wort nicht mehr hören) 4000 Euro Gehalt täglich angeboten wird, dann ist endgültig klar, dass diese Gesellschaft bald an eine tausendjährige Eiche kracht!
Es will schon einiges heißen, wenn eine Moderatorin im Fernsehprogramm das Gesicht in aller Öffentlichkeit ungläubig verzieht bei einem Interview mit einem mir doch sehr verwirrt erscheinenden Bengel, der unser Wirtschaftsminister ist und sonderbare Laute von sich gibt, es gehe den Menschen so gut wie nie zuvor. Und hoffentlich sehe ich jenen Kommentator der ARD noch einmal wieder, des es wagte, seine Meinung so zu formen, es fände das Wohlergehen Deutschlands in Mülltonnen
statt, aus denen leere Flaschen geangelt würden. Natürlich ist Zorn in mir, während ich Texte wie diesen schreibe, und nicht immer gelingt es, meinen werten Lektor und Mentor zu überzeugen, dass Grimm auch Triebkraft beim Schreiben sein kann und sogar sein muss und sich in Formulierungen wiederfinden darf. Es will der Seelenstorm kein den Kunstformen des Journalismus gerecht werdendes Blatt
sein. – Der Seelenstorm ist ein subjektives Aufstöhnen! Soviel in eigener Sache.
Ganz bestimmt geht es einigen Leuten in Deutschland besser als je zuvor, saugut, überschwänglich fantastisch geht es ihnen. Aber ihr dafür geforderter Preis ist unsere Armut – gleich, ob sie absolut oder relativ genannt wird. Diesen Zusammenhang darzustellen, bedarf es nicht mal des (jüngst nicht mehr so ganz geschmähten) Karl Marx; Bert Brecht reicht da schon, wenn er in einem Gedicht feststellt:Reicher Mann und armer Mann standen da und sah`n sich an. Da sagt der Arme bleich: 'Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.'
Kann man doch glauben, oder etwa nicht? Diesen Grundwiderspruch menschlichen Zusammenlebens aufzulösen, gelang bislang niemandem, auch nicht der DDR –vielleicht waren vierzig Jahre wirklich zu kurz, so denke ich heute – für andere waren jene Jahre viel zu lang. Man darf ja auch nicht die wirklich -
Fleißigen mit den weniger Emsigen vor Gott in die erste Reihe stellen. Das ist auch nie geschehen. Wir müssen uns bloß verständigen, wie wir miteinander unsere irdischen Tage verbringen wollen. Ob wir es zulassen, dass Einige im Überfluss und Viele deswegen unter existentiellen Mängeln leben, oder wir kraft unserer zahlenmäßigen Masse eine Balance erzwingen.
Gerade hier beginnt das nächste große Problem zu wirken: In Schwerin wie anderswo gibt es unzählige Gruppen, zehn, dreizehn Mann/Frau stark, in denen enthusiastisch Leute streiten und streben für eine gute Zeit auf Erden. Ich kenne mittlerweile etliche Namen, bekannte wie Heiko Lietz, Rene Zeitz, Stephan Schmidt und weniger bekannte; sogar eine neue Partei ist entstanden, die Partei der Bedrängten, deren eingetragenes Gründungsmitglied ich selbst bin. Alle wollen Gerechtigkeit und dass es anders wird – nicht nur in Deutschland. Jeder kocht aber auf kleiner Flamme ein Süppchen, das nie heiß genug und gefährlich werden kann für die uns Verballhornenden. – Eigentlich ist jede neue Initiative, jede neue Partei, jede neue Protestbewegung ein Segen für die Regierung, die sich im Hinterloch des vorgesetzten Kapitals befindet. Warum? Total ungefährlich die Kanaillen, die da barmen und betteln! Diese Kanaillen sind wir, und wir werden erst dann zur materiellen Gewalt und damit zum Angstgegner, wenn wir uns zusammenschließen. Ein solcher Zusammenschluss gegen Mainstreammedien und Einheitsregierung -en ist weit und breit nicht in Sicht. – Der Grund hierfür sind neben kleinlichen Ressentiments der Gruppen untereinander und noch kleinlicheren persönlichen Eitelkeiten unser fortgeschrittenes Maß an Verblödung durch die Manipulation jener Blender und Verarscher, denen wir auch noch zujubeln. Es ist so herrlich einfach, überhaupt nichts zu merken. Zum Frustablass wird gemeckert und im stillen ein bisschen aufs Glück gehofft. Freddy Quinn sang schon davon: Wann kommt das (Dukaten)Glück auch zu mir? Ich halte es mit Brecht: Du kannst noch so hinter dem Glück herrennen, es bleibt dir immer auf den Fersen. Was uns also vorläufig bleibt sind unbedeutende Etappensiege: entweder den Speicher retten oder die Musikschule; entweder eine Brücke neu bauen, oder ein paar Schaufeln Asphalt in Schlaglöcher schütten. Nein, Ziel muss sein, die kapitalistische Gelddiktatur des real existierenden Grundgesetzes gegen eine demokratische Verfassung zu ersetzen, in der gleich nach der unantastbaren menschlichen Würde ein Recht auf Arbeit verankert steht. Beide erfüllen sich dann gegenseitig mit Leben! Solange wir nur ein wenig herumstreichen in der Streichliste, wird man uns immer mehr streichen. Soeben strich ich ein paar Zeilen dieser Ausgabe zugunsten des gerade Erlebten auf dem Schweriner Markt. Es ist Montag, der 11. März, 15.30 Uhr. Es sind für diese Stadt und bei diesem Sauwetter beachtlich viele Menschen gekommen, um den auf profihaft errichteter Bühne agierenden Rednern zuzuhören. Ein bisschen verklamt, aber lautstark genug, dass nebenan im Rathaus die tagenden Stadtvertreter es hören können, antworten die Schweriner auf die immer wieder gestellte Frage, wem denn ihre Stadt gehöre, eben dass sie ihnen gehöre und sie und sonst kein anderer bestimmen, wer was streicht. Ich drängele mich durch die Menschen, durchforste ihre Gesichter, lese Transparente und überschlage gedanklich, ob all die Teilnehmer ebenfalls hierhergekommen wären, ginge es um Hartz-4. Hier und heute auf dem Markt geht es ja auch um die Arbeitsplätze jener, die bislang nicht schlecht versorgt waren und jetzt bangen. Tage zuvor, noch im herrlichen Frühlingserwachen, demonstrierten Lehrer und Feuerwehrleute vor der Staatskanzlei. Und jeden Montag sonst stehen Brigitte Ahlgrim und Benno Falk vorm Rathaus und fordern: Hartz-4 muss weg! Jeder zu seiner Zeit? Einmal zwei, dann neunhundert, dann sogar dreitausend Seelen? Warum eigentlich nicht alle zusammen?
Wir sind doch das Volk!Oder sind wir nicht mehr ein Volk?

Quelle: Ausgabe Seelenstorm Nr.64 von Rainer Stankiewitz

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