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Wandel der Gesellschaft - damals wie heute
„Burgau wird Braun“ - ein Vortrag von Martina Wenni-Auinger

  • Martina Wenni-Auinger mit dem Burgauer Anzeiger
  • Foto: Ramona Nahirni-Vogg
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"Opa, wie war das eigentlich, als Krieg war?", als Kind traute man sich noch, solche Fragen einfach zu stellen. Man konnte nicht wissen, welches Grauen diese Generation im Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Doch außer einem gegrummelten "Hab' nur Kanonen nachgeladen", habe ich nie mehr erfahren. Oma hingegen hat viel und eindrücklich erzählt. Sie und ihre Familie flohen aus Ostpreußen nach Burgau/Oberknöringen. Die Angst aus jenen Tagen schwang in jedem Satz mit: Angst um Familie und Freunde, um das Zuhause, die eigene Zukunft in der Fremde. Ganz klar, dass wir mit dem Gedanken aufwuchsen: "So etwas darf sich niemals wiederholen!"

Niemals? Haben wir wirklich als Gesellschaft aus der Vergangenheit gelernt? Martina Wenni-Auinger ist nicht nur zweite Bürgermeisterin in Burgau, sondern auch Gymnasiallehrerin für Deutsch, Geschichte und Politik. Sie baute das Burgauer Museum samt Archiv mit auf. Die Historie der Stadt Burgau zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges liegt ihr sehr am Herzen. Daher veröffentlichte sie in ihrem Buch "KUNO AG Werk I - Die Endmontage der Messerschmitt Me 262 und die Rolle des KZ-Außenlagers Burgau" eindrucksvolle Recherchen zu diesem Thema.

Vortrag zur Sonderausstellung

Zur Sonderausstellung im Museum Burgau "Feibelmann muss weg. Ein antisemitischer Vorfall aus der schwäbischen Provinz" lud Martina Wenni-Auinger zu einem sehr lebensnahen Vortrag ein. Mit dem Titel „Burgau wird Braun - Von der Demokratie zur Diktatur" lockte sie über 90 Interessierte in das Schlossgebäude. Nicht nur der Vortragsraum war gut gefüllt, auch im Treppenhaus standen zahlreiche Zuhörerinnen und Zuhörer jeder Altersgruppe. Viele ältere Burgauer tauschten sich über ihre Erlebnisse der Nachkriegszeit aus und ein Herr neben mir flüsterte, dass er eine Radikalisierung wie in den letzten Jahren noch nie zuvor erlebt habe. Er verliere die Freunde am Ausgehen, denn was heute am Stammtisch "gesagt werden darf", ist durchwachsen von Aggressionen und negativen Gedanken. Wohin es führen kann, wenn hetzerische Gedanken nicht nur ausgesprochen werden, sondern sogar gesellschaftlich akzeptiert werden, erfährt das Publikum nun von der Historikerin.

Die Vorzeichen

Der Vortrag ist gegliedert in vier Meilensteine: "Politische Umgestaltung der Gemeinde Burgau", "Gesellschaftliche Veränderungen", "Umgang mit Minderheiten" und final "Umsetzung der Ideologie".

Die Ereignisse begannen in einem beschaulichen Burgau im Jahr 1933. Genau 2.312 Einwohner zählte die Stadt damals, galt als industrielle „Insel“ und war geprägt von einem überwiegend agrarischen Umfeld. Dennoch rumorte es: Burgau verlor das Finanzamt und das Amtsgericht, die Sorge um das Wohl der Stadt zog ein. Die mehrheitlich katholischen Bürger hatten zu dieser Zeit meist nur über Handwerker oder Unternehmer Kontakt zu jüdischen Personen. Als Einwohner gemeldet waren keine.

Auch die politische Struktur war homogen und geprägt von Kontinuität. Es gab zwei dominierende Parteien im Stadtrat: Die BVP (Angestellte, Beamte, Bauern, Geschäftsleute) und die Arbeiterpartei SPD. Die Klagen der Bürger klingen auch heute wieder aktuell: Politikern fehlt der Kontakt zu den Bürgern und es werde über die Köpfe der Menschen hinwegregiert.

Das Meinungsbild wurde in den zahlreichen Verbänden und Vereinen geformt, durch Stammtische und das der BVP zugehörige Amtsblatt "Burgauer Anzeiger" beeinflusst. Zeitungsausschnitte aus diesen Zeiten belegen, dass die Berichte häufig mit Angstthemen besetzt waren. Parallelen zur aktuellen Stimmung in manchen Medien lassen sich nicht verleugnen.

Damals wie heute löst die medial erzeugte Angststimmung eines aus: Das Vertrauen in bewährte Parteien schwindet, gerade Jugendliche ohne Zukunftsperspektive suchen neue Idole und einfache Lösungen. Sie werden anfällig für autoritäre Ordnungsstrukturen und der Ruf nach einem Staat über den Parteien wird laut.

Die Radikalisierung beginnt

Die Stimmung 1930 bietet der NSDAP also ein fruchtbares Umfeld für ihre Pläne. Einer der ersten Sympathisanten der NS, der spätere Apotheker Alfred Hölzlein, wurde in der sogenannten Phase 1 um 1930 sogar noch belächelt. Nur wenige schlossen sich ihm an. Doch im Jahr 1931 erstarkte die Partei und Phase 2 wurde mit der Gründung einer Ortsgruppe eingeläutet. Ortsgruppenführer der 37 Mitglieder war Johann Lutzenberger. Parallel wurde 21. Januar 1931 ein SA-Schar (= paramilitärische Kampforganisation) auf Betreiben von Alfred Hölzlein und Josef Schmalzgruber gegründet. Die Zeit war nun reif für die Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe. Das Gedankengut der NSDAP war inzwischen im Mittelstand verbreitet und auch Wirtschaftstreibende hatten keine Scheu mehr, ihnen zu folgen.

Unter den Unternehmern und Meinungsführern war auch Schreinermeister und Fraktionsvorsitzender der BVP Josef Fritz. Als er im Früher 1932 in die NSDAP eintrat, etablierte sich die Partei endgültig in Burgau und der Meilenstein für Phase 3 war gesetzt. Ein überliefertes Zitat erlaubt Einblicke in die Strategie der NSDAP: „Wir wussten, dass dieser Beitritt uns den endgültigen Durchbruch ermöglichen würde. Wir wussten es und sprachen es auch aus. Dies wird uns 200 - 300 Stimmen bringen, wird die Bevölkerung mitreißen, bringt uns den langersehnten Erfolg.“ Denn, so ein weiteres Zitat, wenn Fritz sprach, "standen die Zuhörer auf den Tischen und Stühlen.“ Er war das perfekte Idol für diesen Zeitgeist: Sein eigenes Geschäft war hochverschuldet, von den Versprechungen der Partei erhoffte er sich Vorteile. Durch seine feste Verankerung in Vereinen und Verbänden Burgaus war er damit auch die ideale Besetzung für die Position des Ortsgruppenleiters. Er formte aus der NSDAP eine "Gemeindepartei", die im öffentlichen Leben stets präsent war. Diese Volksnähe zahlte auf ein konkretes strategisches Ziel ein: Die Neuordnung des Stadtwesens, um „den nationalsozialistischen Geist im Aufbau und beim Werden des neuen Stadtgefüges fühlbar (…) werden zu lassen“.

Wandel in der Sprache

Auch die Sprache verändert sich mit der Propaganda: Plötzlich werden im Burgauer Anzeiger Parolen gedruckt, die es in diesem aggressiven Ton vorher nie gegeben hätte. An Stammtischen konnte man offen über den sogenannten "Kampf dem organisierten Volksbetrug" sprechen. Als Feindbilder wurden nicht nur die alten Parteien, sondern auch die Juden festgemacht. Themen der Reichspartei wurden ungefragt integriert. Die SPD warnte zwar vor einer möglichen Diktatur, noch dachte man aber, dass sich die extreme Partei in das politische System einbinden ließe. Auch heute kann man einen solchen Prozess beobachten und damals wie heute war besonders eine Zielgruppe im Visier: Nichtwähler, Erstwähler, Jungwähler.

Manipulation mit Erfolg

Eigentlich sollte die Geschichte spätestens hier enden. Denn was mit einer Distanz von fast 100 Jahren erkennen lässt: Das kann nicht gut ausgehen. Die Gesellschaft muss doch erkennen, wie sie manipuliert werden, künstliche Feindbilder erzeugt werden und wie schmerzhaft der Verlust der Demokratie sein kann. Doch im Gegenteil: Das nationalsozialistische Gedankengut war fest in den Köpfen der Menschen etabliert. Sie erkannten den letzten Wendepunkt nicht und selbst als die Stadtratswahl April 1933 keine freie Wahl mehr war, gab es keinen Aufschrei. Nun galt das "Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“. Konkret bedeutete dies, dass die zehn Stadträte nicht mehr durch die Bevölkerung gewählt wurden. Statt dessen wurden die abgegebenen Stimmen für die einzelnen Wählergruppen bei der Reichstagswahl vom März 1932 herangezogen und unter Zugrundelegung des d'Hondt' schen Verfahren aufgeteilt. So ist es nicht verwunderlich, dass die NSDAP im Burgauer Stadtrat die absolute Stimmenmehrheit bekam.

Wandel der städtischen Befugnisse

Heute schwört man als Gemeinderatsmitglied bei der Vereidigung " Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Bayern ...". Man bekennt sich klar zu den demokratischen Grundwerten. Im direkten Vergleich lässt einen der Eid 1933 schaudern: “Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein ...”. Deutlicher kann man nicht auf eine Diktatur hinweisen. Und dennoch: Die Bevölkerung macht weiter mit. 1935 folgte ein der nächste Schritt: Die neue Gemeindeordnung wurde verabschiedet mit der Überschrift "Gleichschaltung der politischen Ebene". Damit nahm man dem Stadtrat die Funktion, das Stadtgeschehen zu gestalten. Die neue Aufgabe war die Beratung des Bürgermeisters und für die Entscheidungen aus der höheren Politik in "der Bevölkerung Verständnis" zu schaffen - kurz: Propagandatätigkeiten. Offene Stellen in der Stadt-Kanzlei wurden mit treuen SA-Männern besetzt.

Das Stadtbild verändert sich

Die Symbole des Dritten Reiches waren überall sichtbar: Große Flaggen wurden feierlich aufgehängt und in Paraden vor sportlichen Wettkämpfen hergetragen. Vereinsfeste wurden zur Inszenierung und selbst bei Veranstaltungen mit Kindern marschierte die SA vorweg. Der Hitler-Gruß wurde zum festen Ritual und Parteigrößen beehrten die Kleinstadt.

Nach der Machtergreifung

Die SA war das Propagandainstrument der Partei mit der Aufgabe, "nicht den Staat, sondern die Straße zu erobern, die Macht der Partei zu demonstrieren und die Kundgebungen der Bewegung zu schützen". Die NSDAP war im öffentlichen Leben stets präsent und durfte durch die Presse nicht mehr kritisiert werden. Schleichend wurde auch das Vereinsleben umgestaltet: Vereine, die der Ideologie entsprachen und das Brauchtum pflegten, wurden beibehalten. Gegner wurden nur akzeptiert, wenn sie Anpassung demonstrierten. Andernfalls löste man Vereine aus fadenscheinigen Gründen auf.

Verfolgung der Politischen Gegner

Der Umbau der Gesellschaft begann schon 1933 mit der Ausschaltung politischer Gegner. Zur Abschreckung und Einschüchterung Andersdenkender wurde Schutzhaft angewiesen. Drohungen und Diffamierung waren an der Tagesordnung. Im Kontrast dazu wurden die Burgauer NSDAP-Mitglieder als "Saubermänner" dargestellt. Nach dem Tod Hindenburgs wurde Hitler Kanzler und der Ton ab 1934 abermals schärfer.

An gut dokumentierten Fällen wie von Josef Gruber, welcher als Mitglied der Volkspartei in Schutzhaft kam, zeigte Wenni-Auinger auf, zu welchen Mitteln das Regime fähig war. Der Vorwurf lautete: Gruber habe trotz anderslautender Anweisung weiterhin mit Juden Geschäfte gemacht. Anton Mayer wurde verfolgt, weil er in seiner Gaststätte derzeit Juden bewirtete. Der "jüdische Geist" sollte aus der Gesellschaft verschwinden und so wurde auch die jüdische Sprache im Handel verboten. Jüdisches Vermögen wurde enteignet und der Jude zum Feindbild erkoren. Der größte Teil der Bevölkerung hat die Gründe, das Vorgehen und was mit den festgenommenen Juden passiert, nie hinterfragt.

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter

Anhand von Briefen und Dokumenten beschrieb die Historikerin den Umgang mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiterinnen. "Schwangerschaftsunterbrechungen" bei Ostarbeiterinnen wurden 1944 ordentlich protokolliert. Jugendliche, Mädchen wie Jungen wurden weiter in der Ideologie gestärkt. Die Wirkung der dauerhaften Propaganda waren treu ergebene Diener, die scheinbar nicht einmal Plakate mit der Aufschrift "Wir sind zum Sterben für Deutschland geboren" im Hochlandlager hinterfragt haben. Mit dem KZ-Außenlager in Burgau und dem Krieg erreichte diese Ära ihren traurigen Höhepunkt.

Burgaus Zweite Bürgermeisterin richtet sich an das Publikum: "Der Umbau der Demokratie zur Diktatur war ein schleichender Prozess. Die Anzeichen waren erkennbar, wurden aber nicht ernst genommen." Museumsleiterin Dr. Christine Holl-Enzler fügt abschließend hinzu, dass sie sich aktives Einschreiten wünsche, wenn heute jemand diffamiert und ausgegrenzt wird.

Persönlicher Blick

Der Vortrag hat mich sehr bewegt. Martina Wenni-Auinger arbeitete nicht nur die Meilensteine der dunklen Stadtgeschichte auf, sie gab den Opfern ein Gesicht. Namen und persönliche Geschichten verdeutlichen, wie einfach Menschen zu manipulieren sind und wozu eine Gesellschaft im Stande ist. Parallelen zur heutigen Zeit drängen sich auf: Begriffe wie "Remigration" dürfen in Parteiprogrammen stehen - der Aufschrei der Gegenseite wird immer leiser. Und das, obwohl wir das Ende und die Lektion der Geschichte doch schon kennen: Regieren Hass, Hetze und Feindbilder kann es nur Verlierer geben. Eine Gesellschaft, die Ausgrenzung feiert, kann nicht in Frieden leben. Für breiten Wohlstand braucht es ein Miteinander, für soziale Gerechtigkeit eine starke Demokratie. Der aktuelle Kampf für gegen antidemokratische Parteien ist mühsam und ermüdend, dennoch müssen wir laut bleiben. Andernfalls könnten wir in Zukunft nicht aus Erschöpfung verstummen, sondern weil es uns nicht mehr erlaubt sein wird, der Demokratie eine Stimme zu geben.

  • Martina Wenni-Auinger mit dem Burgauer Anzeiger
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  • Eine Aufarbeitung der Stadtgeschichte
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  • ErsterTruppführerder SA: Josef Schmalzgruber
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  • Martina Wenni-Auinger erklärte, wie sich die Parteien-Landschaft veränderte
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  • Umsetzung der NS-Ideologie als bürokratischer Akt
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  • Die Pressefreiheit war in jenen Zeiten nicht mehr existent
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