Ganztagsschule – Grundlagen und Gestaltungsvariationen
Interessierte Eltern informierten sich
Bad Lauterberg (bj). Auf Initiative einer Reihe von Eltern des Stadtelternrates war am 5. März 2014 der Ganztagsschulberater Dr. Stefan Appel in Bad Lauterberg, um über das Thema „Ganztagsschule – Grundlagen und Gestaltungsvariationen“ im „Haus des Gastes“ zu informieren. Der Referent und Autor zahlreicher Fachbücher begleitet seit über 30 Jahren die Ganztagsschulgestaltung in Deutschland federführend, leitete selbst über Jahrzehnte eine Ganztagsschule als Rektor, ist seit 1985 Ganztagsschulfachberater und Bundesvorsitzender des Ganztagsschulverbandes.
Ganztagsschulen, so Dr. Stefan Appel, gibt es in der Bundesrepublik seit Kriegsende, zunächst aus der Not heraus, weil beide Elternteile arbeiten mussten und die „Schlüsselkinder“ so nachmittags unter Aufsicht standen. Heute hingegen sollen Ganztagsschulen nicht die Familie ersetzen, sondern vielmehr diese ergänzen. Gerade weil seit dieser Zeit sich mehrere Tausend dieser Schulen in Deutschland etabliert haben, und zwar in allen Schularten (Grundschulen, Gymnasien, Sonderschulen, Realschulen, Gesamtschulen, Hauptschulen), so der Referent weiter, gibt es also keinen Grund, das Rad neu zu erfinden! Erfahrungen über Ganztagsschulkonzeptionen mit gelungenen oder fehlerhaften Umsetzungen, über Raumkonstellationen und Einrichtungen, über Personaleinsätze und Kooperationen sowie über veränderte Lernkultur und Erziehungsatmosphäre liegen reichlich vor.
In Deutschland werden zwei Formen von Ganztagsschulen praktiziert, die „gebundene" und die „offene" Ganztagsschule sowie eine Reihe von Mischmodellen. Schülerinnen und Schüler der „gebundenen Ganztagsschule" sind verpflichtet, sowohl vormittags als auch nachmittags am Unterricht und an den Angeboten der Schule teilzunehmen. Die Tageseinteilung erfolgt dabei rhythmisiert - der Schultag wird in Phasen von Anspannung und Entspannung aufgeteilt/harmonisiert. Hingegen bietet die „offene Ganztagsschule" vormittags verbindlichen Unterricht an, während die Nachmittagsangebote auf freiwilliger Basis stattfinden. Somit kann die offene Ganztagsschule wahlweise als Ganztags- oder Halbtagsschule genutzt werden. Die meisten Ganztagsschulen sind im Bereich der Grundschulen zu finden. Da Deutschland aber ein klassisches Halbtagsschulland ist, kann man gebundene Ganztagsschulen nur dort, einrichten, wo in zumutbarer Entfernung Halbtagsschulen mit gleichem Bildungsangebot existieren. Keinesfalls, so Dr. Stefan Appel, kann man alle Kinder in eine gebundene Ganztagsschule stecken, bzw. dieses System für alle Kinder durchsetzen – die Eltern würden dagegen Klagen.
Grundsätzlich, so der fachkundige Referent weiter, lässt sich in jeder Art von Schulgebäude eine Ganztagsschule einrichten. Da jedoch zumeist bestimmte Räume des Ganztagsbereichs nur durch Umwidmung gewonnen werden können, ist allerdings die Realisation einer Ganztagskonzeption in einem voll ausgelassteten Halbtagsschulgebäude nicht möglich. Die zusätzlichen spezifischen Räume und Flächen, die nur wenig mit üblichen Klassenräumen zu tun haben, müssen funktionsgerecht und stabil, aber auch kinder- und jugendgemäß (Orientierungs-, Sozialerfahrungs-, Erholungs-, Zerstreuungs-, Aktions-, Begegnungs-, Individual- und mit Lernbereich) ausgestattet sein.
Ähnliche Anforderungen werden übrigens ab 2018 auch an alle Schulen durch die Inklusion gestellt.
Da die Schüler einen ganz erheblichen Anteil ihrer Zeit, somit auch ihrer Jugend, in einer Ganztagsschule verbringen, so Dr. Stefan Appel weiter, spielen Farben, Formen, Materialien, Ästhetik, Sicherheit und Funktionalität eine große Rolle. Fehlen teilweise die vorgenannten Voraussetzungen, dann ist eine ganzheitliche vernünftige Bildung nicht möglich, sondern nur eine mit „Schmalspurcharakter“.
Neben einer offenen und gebundenen Ganztagsschule ist auch eine teilgebundene Schule möglich, die an maximal drei Tagen bis in den Nachmittag Pflichtunterricht gibt. In einer Ganztagsschule müssen ganz besonders die zahlreichen Schüler-und Freizeitbedürfnisse beachtet werden, die für eine gute Schulatmosphäre notwendig ist - bekommt man die aus räumlichen- oder personellen Gründen nicht hin, so der Referent, dann sollte man lieber die Finger von einer Ganztagsschule lassen.
Neben Mensa und Cafeteria, die in jeder Ganztagsschule extra da sein müssen, gibt es für andere Dinge, wie Ruhemöglichkeiten durch variable Trenn-und Stellwände (Raumteiler), oder Klettermöglichkeiten in Fluren, oft günstige Minimallösungen, die fast überall umgesetzt werden können.
Wie der Ganztagsschulberater zum Schluss seiner Ausführungen auf eine Frage der interessierten Zuhörer ausführte, müssen bei 30 Prozent mehr Zeit an der Ganztagsschule auch 30 Prozent mehr Personal und somit entsprechende Mehrkosten mit eingeplant werden.
An der interessanten Informationsveranstaltung, die von etwa vierzig Personen besucht wurde, nahmen auch Ratsmitglieder sämtlicher Fraktionen und Gruppen des Bad Lauterberger Stadtrates teil.(weitere Informationen zum Thema sind auch im Internet unter www.ganztagsschulberatung.de zu finden)