Interview mit Bernhard Heinemann Olympia Teilnehmer 1972 im Kanuslalom
Interview mit Bernhard Heinemann - vierfacher Wildwasser Rennsport Weltmeister und Olympia Teilnehmer 1972 im Kanuslalom - zudem Förderer der Kanu Schwaben Jugend
mit Marianne Stenglein / Kanu Schwaben
50 Jahre jähren sich in diesem Jahr die olympischen Sommerspiele in München bzw. Augsburg im Kanuslalom. Wir sind neugierig auf Deinen Rückblick der letzten 50 Jahre bei den Kanu Schwaben und möchten Dir gerne ein paar Fragen stellen.
MS: Wie kamst Du zum Kanuslalomsport? Was ist Dein sportlicher Hintergrund?
BH: Zum Kanusport kam ich zusammen mit meinem Bruder, der einen Freund mit Boot hatte. Wir traten 1964 in Hamburg in einen Kanu-Club ein und es entwickelte sich meine Leidenschaft für das Canadierfahren. Zu dieser Zeit starteten viele Sportler im Wildwasser als auch im Slalom. Die Kombination von beiden Disziplinen versprach eine Verbesserung der Technik.
MS: Die olympischen Spiele 1972 direkt am Eiskanal, alles wurde neu gebaut und einen künstlichen Kanal gab es weltweit zum ersten Mal in Augsburg. Wie siehst Du die damaligen Möglichkeiten aber auch Schwierigkeiten im Rückblick?
BH: In der Jugend und in den ersten Jahren bei den Herren war ich in beiden Disziplinen bereits sehr erfolgreich. Weil die Aussicht auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen für jeden Sportler ein absoluter Höhepunkt ist, zog ich nach Augsburg in die “Kanu-Kommune”, um mich für die Olympischen Spiele Ort zu qualifizieren. Eine grandiose Hilfe war Karl-Heinz Englet, der für alle Mitglieder unserer Kommune in lokalen Betrieben Arbeit fand. Den Arbeitgebern – bei mir war es die Firma Aufzug Bauer – die uns für damalige Verhältnisse enorm viel Freiraum für das Training und die Wettkämpfe gaben, bin ich heute noch dankbar.
Auch die Sporthilfe, von Josef Neckermann ins Leben gerufen, erwies sich als äußerst wichtige Unterstützung bei der Ausübung des Sports.
MS: Leider war Kanuslalom dann 20 Jahre nicht mehr olympisch, hatte das mit durch die Olympiade 1972 seine Ursache?
BH: Ich denke ja. Da die Mannschaften der BRD und der DDR ganz wesentlich in den Medaillenrängen vertreten waren, betrachtete IOC-Präsident Avery Brundage den Slalom als quasi deutsche Veranstaltung. In der Folge wurde der Kanuslalom dann auf lange Zeit aus dem Olympischen Programm verdrängt. Das halte ich heute noch für falsch und unfair. Denn angesichts der Ergebnisse von Weltmeisterschaften und internationalen Rennen aus dieser Zeit erkennt man eine große internationale Bandbreite - mit Sportlern z. B. aus Tschechien, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Insofern war die lange Abwesenheit des Kanuslalom bei den Olympischen Spielen nicht gut für den das Ansehen des Kanuslaloms insgesamt. Glücklicherweise gab es dann in den achtzigerJahren durch sehr engagierte Vertreter des Slalom die Gründung des Weltcups und die Rückkehr ins olympische Programm.
MS:: Hall of Fame der Schwabenkanuten,
Olympische Spiele 1972 in Deutschland – ihr habt damals bei den Kanu Schwaben Meilensteine gesetzt im Kanuslalom
Gisela Grothaus (Silber, Kajak Einer Damen)
Wolfgang Peters (4. Platz, Canadier Einer Herren)
Uli Peters (4. Platz, Kajak Einer Herren)
Alfred Baum (5. Platz, Kajak Einer Herren)
Bernhard Heinemann (16. Platz, Canadier Einer Herren)
Seid Ihr noch miteinander in Kontakt? Hast Du noch viele Erinnerungsstücke von damals aufbewahrt? Was waren Deine einprägendsten Erinnerungen an die Wettkämpfe auf dem neu gebauten Olympiakanal?
BH: Meinen Helm und die Startnummer habe ich noch, auch das berühmte Maskottchen Waldi. Im Olympischen Dorf war das Sammeln von Anstecknadeln und Abzeichen der einzelnen Nationen quasi ein Hobby der Sportler. Die Olympiakleidung haben soweit ich weiß, alle Sportler weiter getragen, bis sie dem Zahn der Zeit zum Opfer fielen – und nicht, wie böse Zungen behaupten, der Gewichtszunahme…
Die ersten Fahrten auf dem Kanal mit dem rauhen Beton bescherten uns viele Schürfwunden an den Händen und abgewetzte Paddeljacken. Wir hätten uns problemlos als Werbeträger für Hersteller von Heftpflaster verdingen können... Zum Glück wurde der Beton schnell überarbeitet, so dass die Uferberührung dann nur nur noch hart war – so, wie es auch die heutigen Athleten kennen.
Eine prägende und bleibende Erinnerung ist sicher die an die für uns ungewohnt vielen Zuschauer, die uns entlang der Strecke begeistert anfeuerten. Und die tolle Stimmung unter den Teilnehmern beim Training und bei der täglichen Fahrt mit dem Sonderzug nach Augsburg war quasi die Verkörperung der Kernidee von Olympia. Leider geht dieser Geist der Olympischen Idee zunehmend verloren – zum einen durch kommerzielle Prioritäten, zum andern durch die für mich nicht nachvollziehbaren Einschränkungen bei der Zulassung zu den Wett-kämpfen. Nur noch einen Teilnehmer je Nation teilnehmen zu lassen, halte ich für ungerecht. Es sollte der selbe Modus wie bei Weltmeisterschaften angewandt werden.
MS: Was unterscheidet den Slalomsport gegenüber 1972 (Bootslänge, Gewicht, Regeln) nur kurz umrissen? Oder auch die Fehler, heute zwei Strafsekunden bei Berührung, 50 Strafsekunden bei Auslassen eines Tores.
BH: Die damaligen Canadier-Boote waren 4 Meter lang , 80 Zentimeter breit und mussten an Bug und Heck die höchsten Punkte aufweisen. Verglichen mit den heutigen Booten waren das echte Tanker. Die Torstangen wurden so tief wie möglich an die Wasseroberfläche gehängt, ein Unterschneiden war dadurch unmöglich. Für das Auslassen eines Tores konnte man damals 100 Strafsekunden kassieren, und unter 10 Strafsekunden ging ohnehin nichts. Die Fahrzeiten bewegten sich meist zwischen 240 und 300 Sekunden – im Vergleich zu heute waren das Langstreckenrennen. Bezüglich der Dynamik hat sich der Slalom ganz enorm entwickelt.
MS: In Augsburg fanden 1985 und 2003 die Slalom Weltmeisterschaften zusammen mit Kanu Schwaben statt. Ich erinnere mich, dass Du lange Jahre mit im internationalen Slalom Wettkampf federführend verantwortlich warst. Kannst Du dazu ein paar witzige Bonmots dazu geben?
BH: Mit Bonmots kann ich leider nicht aufwarten, aber ich erinnere mich an folgende Anekdote: Ich war bei der Zeitnahme im Ziel und auch im Wettkampfbüro aktiv. Eine ungewöhnliche Situation hatten wir, als ein Zeitnehmer beim Mannschaftswettkampf glaubte, dass nur der erste ins Ziel kommende Fahrer zählt. Glücklicherweise wurde sein Missverständnis schnell erkannt. Allerdings hatten wir danach bei den erforderlichen Korrekturen - jedes Zielereignis wurde zwar elektronisch protokolliert - erheblichen Stress, da die Berechnung der Fahrzeit bis Mitte der 80iger Jahre noch per Hand vorgenommen werden musste.
MS: Gerne möchten wir noch wissen, ob Du 1972 bei den olympischen Sommerspielen in München außer Kanuslalom noch weitere Sportarten besucht hast? Hintergrund meiner Frage – da Augsburg bei den European Championships Munich 2022 leider nicht teilnehmen kann, wegen der eigenen Kanuslalom WM, besuchst Du diese EM in München und wenn ja welche Sportarten?
BH: 1972 konnte ich bewegende Momente wie den Hochsprung-Erfolg von Ulrike Meyfarth, den Sperrwurf von Klaus Wolfermann oder auch den Erfolg der Hockeymannschaft live erleben. Das Tolle war die Möglichkeit, nach unseren eigenen Wettkämpfen überall im Sportler-bereich bei anderen Wettkämpfen dabei zu sein. Insofern finde ich es schade, dass mittlerweile die Teilnahme an den kompletten Spielen eingeschränkt wird. Leider dominieren inzwischen hochprofessionelle Sportarten wie Tennis oder Fußball. Darunter leidet die Wertigkeit der anderen Sportarten. Ich hoffe sehr, dass sich dies bald ändern wird - im Interesse des gesamten Sports und der Olympischen Idee.
Mit den European Championships Munich 2022 empfängt München die größte Sportveranstaltung seit den Olympischen Sommerspielen 1972. Vom 11. bis 21. August 2022 kämpfen Europas beste Athletinnen und Athleten in den Sportarten Beachvolleyball, Kanu-Rennsport, Klettern, Leichtathletik, Radsport, Rudern, Tischtennis, Triathlon und Turnen um die begehrten Goldmedaillen.
MS: Wie bist Du bei der Weltmeisterschaft 2022 in Augsburg eingebunden? Diese findet vom 26. - 31. Juli 2022 statt.
BH: Ich helfe der Organisation „Olympians 1972“. Wir haben alle Wettkämpfer der Spiele und die Wettkampf-Verantwortlichen zu einem Wiedersehen am Eiskanal eingeladen. Die bisherige Resonanz ist äußerst positiv, viele der „Slalom-Veteranen“ werden zu den Wettkämpfen kommen. Es gibt bereits Zusagen aus Hawaii, Australien, USA und natürlich von den Sportfreunden in Europa. Wir werden mit Horst Woppowa und der Fördergruppe Eiskanal einen Bayerischen Abend und ein Rahmenprogramm aufsetzen. Dank gilt bereits jetzt der Stadt Augsburg für die tolle Unterstützung bei diesem Rahmenprogramm.
MS: Nun noch Deine Lieblingsdisziplin:
Als vierfacher Weltmeister im Wildwasser Rennsport hast Du (seinerzeit war diese Disziplin mehr wert als Kanuslalom) wichtige internationale Wettkämpfe bestritten und gewonnen, kannst Du uns hierzu einen kurzen Rückblick geben?
BH: Meine größten Erfolge waren die Weltmeisterschaft im Einzel im Muotatal, Platz zwei in Meran (23/100 Rückstand beim 27 Minuten Wettkampf) und die dreimalige Weltmeisterschaft in der Mannschaft (1969-1971-1973). Voran gingen super Jahre in der Jugend und bei den Herren. Die Zeit in der Nationalmannschaft (1968 bis 1976) war von vielen sehr schönen und prägenden Erlebnissen und Erfolgen geprägt. Im Slalom konnte ich mich, wie Olympia zeigte, in der Spitzengruppe bewähren. Deshalb plädiere ich entschieden dafür, mehr als nur einen Teilnehmer zu einem Wettkampf zu entsenden. Lasst uns den Sport nicht immer mehr „zuspitzen“, er soll auch in der Breite gewürdigt werden. Auch der Letzte eines Wettkampfes verdient Anerkennung.
MS: Lieber Bernhard, wir danken Dir, dass Du uns etwas Einblick in die Kanuszene von damals gegeben hast. Wir hätten noch so viele Fragen, aber sicherlich bei anderer Gelegenheit!