Licht- und Schattenseiten
Im Hof des Kinderheims in Hochzoll wurde Gedenkstätte eingerichtet
Im Hof der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Hochzoll ist seit ein paar Monaten eine Gedenkstätte eingerichtet worden in Gedenken an die Misshandlungen und Missbräuche der Opfer in dieser katholischen Einrichtung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland. „Mit diesem Mahnmal soll nun ein Zeichen gesetzt werden für Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz, Bedauern und Lernfähigkeit. Wir wollen aber auch um Vergebung bitten“, so Ulrich Lorenz, der Gesamtleiter der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Hochzoll.
Jetzt wurde die Gedenkstätte offiziell eröffnet und von Pfarrer Albert L. Miorin, der auch Vorstand des Trägervereins des Kinderheims ist, gesegnet. Eingeladen waren dazu alle Ehemaligen, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kinder, Jugendliche und Eltern, die Vorstandschaft, Gönner und Sponsoren, die Heimaufsicht und Heimleiterkolleginnen und -kollegen, Vertreter der Regierung von Schwaben, des Bezirks Schwaben, der Kommunen, der Kindergärten und Schulen, Nachbarn und Menschen aus der Gemeinde.
„Der Text und das Mahnmal stehen bewusst zentral im Hof des Kinderheims. Beide sollen ein Ort werden, an dem Ehemalige einen Platz der Stille, Raum zum Erinnern, Gedanken der Versöhnung finden können, aber auch auf eine ermutigende Perspektive stoßen, die die heutige Arbeit darstellt, Zukunft und Freude vermitteln soll. Mitten in unserem Kinderheimleben soll Platz sein für die Betrachtung der Vergangenheit. Unsere Haltung zu den Geschehnissen in der Vergangenheit, unser Gestaltungswille für die Zukunft findet Ausdruck im Text und Mahnmal, mit dem Willen zu Anerkennung, Transparenz und Offenheit“, sagt Ulrich Lorenz.
In seiner Rede bedankte sich Augsburgs dritter Bürgermeister und Sozialreferent Stefan Kiefer bei der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Hochzoll für die Offenheit und den Mut, dies anzuerkennen. „Es geht nicht darum, Schuldige zu ermitteln. Das Denkmal ist ein Signal an die Opfer, dass sich die Einrichtung dieser Sache stellt. Es ist aber auch eine Bitte zur Vergebung der Aufarbeitung, wo Menschen gefehlt haben.“
Licht und Schatten gehört zu jeder Lebensgeschichte
Die zweiarmige Skulptur symbolisiert, aus einem gemeinsamen Strang kommend, die Vergangenheit und die Zukunft. Beide gehören zusammen und jeder hat seinen Raum und Platz. Klaus Krögler, der seit über 30 Jahren Mitarbeiter des Kinderheims ist, hat das Kunstwerk kreiert und gestaltet und in Zusammenarbeit mit einer Bronzegießerei und dem Steinmetzbetrieb Ludwig Schütz aus Memmingen Gestalt werden lassen. „Ganz bewusst wurden zwei verschiedene Materialien gewählt. Damit soll gezeigt werden, wie unterschiedlich Menschen sein können. Es braucht Zeichen und Dinge, die uns an die Geschichte erinnern. Wir wollen uns nichts nachsagen lassen. Licht und Schatten gehören zu jeder Lebensgeschichte. Das gibt es auch in unserem Alltag und in unserer Gegenwart“, so Pfarrer Miorin.
Bitte um Vergebung
Aus diesen Erfahrungen hat das Kinderheim gelernt und will es weiterhin tun. Es soll nicht vergessen werden, was gewesen ist, sondern für jede Zeit sollen neu Konsequenzen gezogen werden.
„Wir wollen alle uns Anvertrauten achten, ihnen helfen, für ihr Leben fit zu werden, Defizite ausgleichen, Chancen mehren, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl stärken, sie zu einer ganz persönlichen und freien Gottesbeziehung führen, Geborgenheit und ein Stück Daheim, einen sicheren Ort vermitteln, Strukturen gestalten, die dies sichern, unser Bestes tun. Gott um seinen Beistand bitten, und nicht aufhören lernende und liebende, barmherzige und befreiende, tröstende und heilende Wegbegleiter und Förderer in die Zukunft zu sein“, so Lorenz im Namen des Leitungsteams, der Mitarbeiter, des Trägervereins und der Kinder und Jugendlichen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Hochzoll.
„Wir bitten um offene Worte, ehrliche Rückmeldungen und alles, was der Wahrheit, der Offenheit und der Ehrlichkeit dient. Wir wollen ein Segen sein und immer mehr zum Segen werden.“
Hintergrund-Infos:
Vor einigen Jahren begann in der Bundesrepublik Deutschland eine intensive Debatte über die Jugendhilfelandschaft der Nachkriegszeit bis weit in die sechziger Jahre hinein. Teilweise sehr konstruktiv, teilweise sehr herabwürdigend, sowohl für die Opfer, als auch für die „Täter“, Betreuende und andere Beteiligte. Als eine Folge dieser Debatte wurde in Deutschland der Paragraph 8a im SGB VIII, als der „Gefährdungsparagraph“ eingeführt. Er soll verhindern, dass sich solch schreckliche Ereignisse- wie in der Vergangenheit vielfach geschehen- nicht wiederholen. Kinder und Jugendlichen sollen in sozialen Einrichtungen besser geschützt, verstanden und beteiligt werden. Hierzu ist seit drei Jahren eine Beteiligung,- Schutz,- und Beschwerdekonzept als Grundvoraussetzung einer sozialen Einrichtung gesetzlich vorgeschrieben.
Auch wir, die Kinder,- Jugend und Familienhilfe, die 1908 als Katholisches Kinderheim gegründet wurde, können und wollen uns nicht verstecken und stellen uns dem Geschehenen in der Vergangenheit und gestalten die Zukunft.
Dafür haben wir im Vorstand und der Mitarbeiterschaft einen Text entworfen und beschlossen, diese unsere Einschätzung und unseren Willen um Anerkennung, Transparenz und Offenheit - gepaart mit einem Mahnmal zu dokumentieren.
Denn bei allen Diskussionen und Debatten wurden zumeist die Opfer übergangen, nicht gehört und oftmals nicht gewürdigt...,– so die Aussage und das subjektive Empfinden vieler Betroffenen, die persönlich, nach Jahren der Angst, Scham und Trauer den Mut fassen und Kontakt zu uns suchen.