Interview mit Landrat Martin Sailer
Gemeinsam schlimmeres verhindert
Für den Landkreis Augsburg wird mit 1 bis 1,5 Milliarden Euro Schaden gerechnet. Es hätte viel schlimmer kommen können.
Landkreis Augsburg. Die Flut am ersten Juniwochenende übertraf alle Vorhersagen und Erwartungen. Trotz stellenweise Jahrhunderthochwasser und enormer Schäden ist die Katastrophe noch vergleichsweise glimpflich ausgegangen. Wir sprachen mit Landrat Martin Sailer, der uns einen guten Überblick geben kann, warum es nicht schlimmer kam.
myheimat: Sehr geehrter Herr Landrat Martin Sailer, Sie waren das ganze Wochenende immer im Einsatz. Ab wann wussten Sie, es kommt etwas Großes auf die Region zu?
Landrat Martin Sailer: Die ersten Warnungen kamen im Laufe der letzten Woche. Die Wetterdienste und Meteorologen warnten uns vor einem kommenden Hochwasser. Was dann allerdings geschah, übertraf alle Befürchtungen. Vor allem im Hinblick darauf, wie schnell die Pegel stiegen.
myheimat: Was waren die ersten Maßnahmen, die ergriffen wurden?
Landrat Sailer: Bereits am vergangenen Freitagabend wurde die Führungsgruppe Katastrophenschutz einberufen und Samstagmorgen war diese voll besetzt und maximal Einsatzbereit. Darüber hinaus wurde der Katastrophenfall festgestellt. Unsere regelmäßigen Katastrophenschutz-Übungen haben uns sehr dabei geholfen, die Herausforderungen der vergangenen Tage abzuarbeiten. So konnten wir jederzeit vor der Lage bleiben und agieren, statt den Ereignissen hinterherzulaufen und nur noch zu reagieren.
myheimat: Sie waren viel persönlich präsent in den vom Hochwasser betroffenen Gemeinden, es gab eine offensive Kommunikation durch die Behörden an die Kommunen und auch an die Medien. Beispielsweise durch den Live-Ticker des Landkreises Augsburg. Sind das Lehren, die aus der Flutkatastrophe im Ahrtal gezogen wurden?
Landrat Sailer: Nein, mit dem Ahrtal hat das nichts zu tun. Seitdem ich Landrat bin, war der Katastrophenschutz eine meiner Prioritäten. So hatten wir als erste ein mit Glasfaser vernetztes Lagezentrum und waren als erste in der Lage Live-Bilder beispielsweise von Hubschraubern zu übertragen. In vielen Übungen wurden verschiedenste Katastrophenszenarien simuliert und die Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte trainiert. So erfolgte unsere Reaktion automatisiert und aufeinander eingespielt.
Damit das Zusammenspiel der verschiedensten Kräfte funktionieren kann, braucht es eine gute Kommunikation. Darum war ich in etwa der Hälfte der vom Hochwasser betroffenen Kommunen präsent. Die andere Hälfte habe ich mit dem Hubschrauber überflogen. Um mir persönlich ein Bild der Lage zu machen, zu schauen was braucht es vor Ort und um zu helfen, manche Probleme zu lösen. Ich war aber auch vor Ort, um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind und um Trost zu spenden.
myheimat: Obwohl es frühzeitige Warnungen gab, die Rettungskräfte gut vernetzt und im Einsatz waren und es viele freiwillige Helfer gab, mussten tausende Menschen evakuiert werden und ganze Gemeinden sind sprichwörtlich abgesoffen. War die Natur hier übermächtig?
Landrat Sailer: Wir hatten stellenweise historische Pegelstände, die weit über die als HQ100 (Jahrhunderthochwasser) definierten Messwerte hinausgingen. Insofern denke ich, wir haben das menschenmögliche getan, um Menschenleben zu schützen und Schäden gering zu halten, aber am Ende kann man sagen: ja, die Natur war hier übermächtig.
myheimat: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Einsatzkräfte loben Sie für Ihren persönlichen Einsatz vor Ort, die gute Kommunikation – auch nach Abzug des Wassers, konnten Sie mittlerweile schon einmal Durchschnaufen?
Landrat Sailer: Natürlich bin ich erschöpft. Aber ein paar schlaflose Nächte und lange Tage sind auszuhalten und nichts im Vergleich zu dem, was die Helfenden vor Ort geleistet haben.
myheimat: Bayern, aber auch Schwaben sind hochwassererfahren. Es wurde in den letzten Jahrzehnten viel in Hochwasserschutz investiert. Warum sind noch nicht alle Gemeinden und Städte geschützt und hat der bereits ausgebaute Hochwasserschutz, dort wo er vorhanden ist, einen Unterschied gemacht?
Landrat Sailer: Dort wo der Hochwasserschutz bereits ausgebaut wurde, hat es natürlich einen Unterschied gemacht. So haben beispielsweise die Rückhaltebecken in Langenneufnach und in Engelshof uns geholfen Zeit zu gewinnen. Um mehr Menschen evakuieren zu können und mehr Häuser zu schützen.
In Dinkelscherben wären die Schäden mit Sicherheit geringer ausgefallen, hätte es das Rückhaltebecken in Tiefenbach gegeben. Wiederstände gegen den Bau haben bis jetzt eine Baugenehmigung verhindert. Wir müssen hier ganz klar den Menschenschutz vor Naturschutz stellen und zu vereinfachten Genehmigungsverfahren kommen.
Wir werden die Geschehnisse analysieren und schauen, wo noch Verbesserungen möglich sind. Aber bei einem Großschadensereignis wie diesem, wird es keinen 100-prozentigen Schutz geben können.
myheimat: Gibt es für den Landkreis Augsburg bereits eine Schätzung zu den Schäden?
Landrat Sailer: Wir haben uns das besonders betroffene Nordendorf angeschaut, die auf den Bildern ermittelten Schäden gemittelt und auf den Landkreis Augsburg hochgerechnet. Wir rechnen mit 1 bis 1,5 Milliarden Euro Schaden für private Haushalte und das Gewerbe.
myheimat: Möchten Sie zum Abschluss noch etwas sagen?
Landrat Sailer: Ich möchten allen die mitgeholfen haben danken. Ohne die Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehren, des BRK, der Bundeswehr, des Wasserwirtschaftsamtes (die Berechnungen und Modellierungen zur Hochwasserentwicklung anstellten), der Wasserwacht, des THW, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in den Kommunen und den Mitarbeitern des Landratsamtes, die in Schichtarbeit sich gemeinsam mit zahlreichen freiwilligen Helfern aus der Bürgerschaft gegen die Flut gestemmt haben, wäre die Katastrophe noch viel schlimmer ausgegangen. Trotz individueller Betroffenheit und Not, bin ich stolz, dass wir keine menschlichen Verluste hatten und viele Sachschäden verhindern konnten. Nochmals danke dafür.
Das Interview führte Florian Handl
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am 06.06.2024
um 10:45
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