Musikalisches
Welche Musik spielt der November in der großen Jahressymphonie?
In der großen Jahressymphonie, die mit dem Schellenklingeln des Januars beginnt, über das verliebte Schluchzen der Geigen im Mai bis zum goldenen Celloton des Oktobers führt, hat nun der Kontrabass des Novembers das Thema übernommen. Einförmiger wird die Melodie der Natur, das Singen und Jauchzen ist verstummt, und gedämpft ist der Glanz der Töne.
Plötzlich aber kommt es wieder zu einem Furioso, wenn der Herbststurm den Bäumen die letzten Blätter von den Ästen reißt, schmutzige Wolken wie Herden ungewaschener Schafe über den Himmel treibt und den Regen gleich Gießbächen gegen die Fensterscheiben peitscht. Danach tritt erneut die große Ruhe ein. Draußen vor der Stadt liegen die Felder unter dem Dunst feuchten Nebels, als wären sie gestorben, Sträucher werden zu bizarren Gebilden, die aussehen, als hätte man sie aus schwarzem Draht gebogen, und die Bauernhäuser in den Dörfern schauen aus müden Fensterscheiben missmutig in die dunklen Tage. Lang sind die Abende, spät kommt der Morgen, und nur selten zeigt sich die Sonne. Ein wartendes, bedrückendes Schweigen liegt über dem ganzen November, etwas Ungelöstes, das Fragen stellt. Wer aber nach innen schaut in diesen stillen Wochen, dem schenkt sich auch dieser Monat ganz. Haben: wir nicht alle die Ruhe der Dämmerstunden nötig, das Atemholen unter der tiefgezogenen Hängelampe? Das Nachdenken über die Vergänglichkeit? Werden nicht Haus und Familie wieder zum schirmenden Hafen?
Nein, der November ist keine grauhaarige Vettel (alte Frau), die in verschlissenen Nebelgewändern daherschlurft (schleppend geht). In jedem Jahr hat auch er noch ein Sonnenlächeln geschenkt, zumal in seinen ersten Tagen grüßt oft der Sommer noch einmal zurück. Freilich um Martini herum, am 11. November, fällt häufig schon in der Ebene der erste Schnee. Keinem anderen der zwölf Monatsbrüder wurde ein so ernstes Antlitz und ein so verschlossener Charakter mit ins Leben gegeben wie dem November. Dafür kann er nichts - aber bemüht er sich nicht ehrlich, sich uns trotzdem sympathisch zu machen? So setzt er sogar an einem Tag die närrische Kappe auf und lässt die Fasnacht beginnen und ruft mancherorts die Kinder zum Martinsumzug mit dem Lied und Laterne.
So variiert der elfte Monat des Jahres das Thema, das ihm die Jahressymphonie vorschreibt. Und wer guten Willens ist, findet auch in seiner Weise die große Harmonie der Schöpfung.
(Text: Karl J. Zwierlein)