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Der Wunsch nach Unendlichkeit

Denn der Wunsch nach der Ewigkeit ist voller Konflikte.
Am meisten wünschen wir uns unsterbliche Liebe – ewig währende Zuneigung, zeitlose Schönheit, grenzenloses Vertrauen, absolute Treue. Doch kaum ein Mensch wünscht sich permanente Nörgeleien, dauernde Streitereien und unaufhörliche Diskussionen. Die leckere Schwarzwälder Kirschtorte soll am liebsten wie das Brot, das die Juden in der Wüste 40 Tage und 40 Nächte lang satt bekommen hatte, niemals ganz aufgegessen werden können. Doch ihre pfundigen Hinterlassenschaften auf unseren Hüften wollen wir natürlich nicht ewig behalten. Die Proseccoflasche auf dem schön gedeckten Tisch könnte als eine ewig sprudelnde Quelle der Heiterkeit für die besonders Durstigen unter uns ein heimlicher Wunsch sein. Doch der Kater am nächsten Morgen ist für kaum ein Party-Girl als Dauerzustand wünschenswert.
Und so ist es mit vielen Dingen: wünschen wir uns einen verregneten Sonntag zum Kuscheln, soll am Montag wieder die Sonne scheinen, um trockenen Fußes ins Büro zu kommen; hoffen wir darauf, dass die Haare nach einem verpfuschten Frisörbesuch möglichst schnell nachwachsen, soll das Gleiche jedoch auf gar keinen Fall für den Rest unseres Körpers gelten; und haben wir erst angefangen eine spannende Geschichte zu lesen, deren Auflösung in unabsehbare Ferne rückt, langweilen wir uns auch schon, wenn der Autor so gar kein befriedigendes Finale zustande bringt.
Wir wollen Kirschen, aber keine Kerne; guten Rotwein, aber kein Altglas; wir wollen einen Mann im Bett, aber keinen am Frühstückstisch. Unsere Wünsche sind immer irgendwie unvollständig. Und das Wünschen – irgendwie fehlerhaft.
Wenn wir über unsere Wünsche nachdenken oder genüsslich in den Tag hineinträumen, sind sie immer perfekt; glänzend, rund, süß und finden ein gutes Ende. Aber meistens kommt es nie so, wie wir es uns ausgedacht haben. Wenn wir die Geschenkverpackung aufreißen, ist nie das im Päckchen, was auf der Liste stand und wenn wir einen bestimmten Satz von einem Mann erwarten, sagt er garantiert was falsches.
Manchmal, aber selten, erfüllt sich allerdings auch das, was wir uns gewünscht haben. Doch – ach! – es passiert jemand anderes. In diesen Momenten fühlt man sich immer wie Diane Lane in "Unter der Sonne der Toskana". Ich sehe sie immer ganz genau vor mir, wie sie in ihrem schönen und sehr renovierungsbedürftigen Haus steht und sagt: "Ich bin die dämlichste Frau, die es gibt – kaufe mir ein Haus für ein Leben, das ich gar nicht habe." Und wenn man sie fragt warum, antwortet sie einfach: "Weil ich mir noch etwas wünsche! Ich will eine Hochzeit in diesem Haus erleben, und ich will eine Familie in diesem Haus sehen." Und Bingo. Ihr "Pflegekind" Pavel heiratet eine rassige Italienerin und ihre lesbische Freundin bekommt ein Baby. Und das alles in ihrem Haus – Überraschung!
Es ist aber doch im Grunde genommen ganz einfach. Alle unsere Wünsche gehen wirklich in Erfüllung. Nur mit dem Lieferschein stimmt jedes Mal etwas nicht. Alles andere ist absolut real. Meine Fernsehzeitung ist z.B. diese Woche auch irrtümlicherweise bei meinem Nachbarn gelandet. Ich wollte mich schon darüber aufregen, dass ich womöglich das Wochenende ohne meine gemütliche Orgie vor der Glotze verbringen müsste, als mir klar wurde, dass alles im Leben seine Bestimmung hat. Ich wusste nämlich noch gar nicht, dass in der Wohnung über mir ein Neuer eingezogen ist. Und so entpuppte sich mein wütender Auftritt vor seiner Tür, die er mir nur mit Jeans bekleidet geöffnet hatte, als wahrhaftig schicksalhaft. Ich will eigentlich schon seit drei Wochen meinen neuen Kleiderschrank aufbauen, aber irgendwie habe ich noch nicht die Zeit dazu gefunden. Ich glaube, jetzt wäre der Zeitpunkt perfekt, jemanden um Hilfe zu bitten.
Eines Tages werde ich dann meinen Enkeln erzählen, ich habe ihren Großvater kennen gelernt, als ich ihn dafür verprügeln wollte, weil er meine Zeitung geklaut hat. Denn mit Träumen einfach so aufzuhören fällt uns Menschen ja schwer. Auch wenn wir ganz genau wissen, dass nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen.
Alles bekommt man einfach nicht. Perfekt, strahlend und schön sind die Dinge nur in unserer Vorstellung. Wenn wir sicher wüssten, dass unser Leben ewig ist, hätte die Unendlichkeit schon längst ihren Reiz für uns verloren und das Wünschen wäre sinnlos geworden. Und hätten wir keine Sorgen, würden wir auch das Glück nicht zu schätzen wissen.
Denn: wenn der Himmel voller Kirschen ist, was tut man dann mit den Kernen?

Ihre Sophia Sommer.

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