Der Laptop ist tot. Es lebe der Bleistift!
Wir waren unzertrennlich in den letzten drei Jahren und verbrachten mehr Zeit miteinander, als mit unseren Eltern oder Liebhabern. Wir haben zusammen am Frühstückstisch gesessen, waren am Strand spazieren und haben auch einige Nächte kuschelnd zwischen den weißen Seidenlaken verbracht. Und nun? Wir sind verloren ohne einander!
Na gut, eigentlich bin ich verloren, denn ich kann mir vorstellen, dass dieses sture Ding sich gerade köstlich amüsiert, im Inneren, da, wo alle meine Artikel, Abschlussarbeiten und Nacktfotos von David Boreanaz sich gerade verstecken, verschanzen und sich davor drücken, mir zur Verfügung zu stehen. Es war die perfekte Beziehung: ich habe befohlen und er hat gehorcht. Und jetzt probt mein elektronischer Sklave auf einmal einen Zwergenaufstand! So eine Sch….
Dabei habe ich ihm an nichts fehlen lassen all die Jahre! Er wurde gewartet, vor Viren und hinterhältigen Dialern geschützt, ich habe ein Feuermauerchen um ihn herum aufgebaut, hab ihm regelmäßig die Fresse poliert und dafür gesorgt, dass er immer on-line und on-strom war. Na gut, ich habe vor paar Monaten eine halbe Flasche Champagner über ihn drüber gekippt – aber er hat's geschluckt und kein bisschen gemosert. Ab und an fielen auch kleine Brioche-Krümmelchen auf die Tastatur hernieder, meistens nachts, wenn es dunkel und frustrierend genug war, um mich mit allerlei Sündhaftem voll zu stopfen, aber die habe ich dann einzeln mit dem Wattestäbchen weggeschubst und schon waren wir wieder Freunde… Aber jetzt hat er mir einfach so, von einem Tag auf den anderen, die Freundschaft gekündigt, mich verlassen, meine Zuwendung verschmäht, ohne sich zu erklären oder wenigstens vorher eine Fehlermeldung von sich zu geben…
Und ich hab' nun feststellen müssen, dass ohne einen Mann zu leben nur halb so frustrierend ist, als ohne seine blecherne, piepsige Stimme in meinem Ohr: "Sie haben Post…."
Ich gestehe: ich bin süchtig, abhängig und vollkommen hilflos ohne ihn…
Und mir ist ernsthaft nach Weinen zumute…
Als ich dann gestern im Laufe des Tages an meinem verwaisten Schreibtisch saß und vor mich hin schmollte, kam mir der Gedanke, dass es noch viele andere moderne Errungenschaften in unserem Leben gibt, von denen wir meinen, sie zu befehligen und zu kontrollieren und deren Sklaven wir jedoch in Wirklichkeit tatsächlich sind. Und dabei spreche ich nicht mal von Robotern, Kernspintomographen oder ausgetüftelten Ampelschaltungen – wir würden glatt verhungern ohne Tiefkühlpizza & Co, jämmerlich erfrieren ohne die geliebte Zentralheizung und an Gestank eingehen ohne funktionierende Kanalisation. Von globaler Wasser- und Stromversorgung mal ganz abgesehen.
Wir haben im Laufe der Jahrtausende unser Fell nahezu komplett eingebüßt (na ja, zumindest die meisten von uns!), haben unsere Reißzähne und Klauen verloren, wir sehen schlecht, hören nix und riechen nur selektiv – wir können gerade noch zwischen "Boudoir" und Bio-Tonne unterscheiden. Fernsehen, DVD, Internet, Telefon, selbst der blöde Toaster gehört einfach zur vermeintlichen Normalität – wir sind so an die Bequemlichkeit unseres Alltags gewohnt, dass wir den Ausmaß all der Unselbstständigkeit und Abhängigkeit, der Luxussucht und unserer vollkommenen Bedeutungslosigkeit als ein Bruchteil der Natur erst dann begreifen, wenn wir all diese Privilegien verlieren. Oder von Bildern verhungernder und von jeder Hilfe isolierter Menschen in Südlibanon bis in den Mark erschüttert werden. Und sind eingeschüchtert, entsetzt und … erleichtert, denn bei uns funktioniert ja noch alles, gelobt seien Fortschritt, Kapitalismus und der demokratische Westen.
Und dann wird man mit seinem Weichei-Dasein auf einmal auf die banalste Weise konfrontiert und sitzt heulend und rauchend und frustsaufend vor dem silbernen flachen und stummen Kasten und fragt sich: "Was habe ich nur falsch gemacht???"
Doch was wäre ich denn für eine Frau, wenn ich beim ersten Anzeichen kalter "Füße" eines heiß begehrten "Mannes" so einfach aufgeben würde?
Ich werde ihn wieder erobern, ihn finden und an meine Seite zurück bringen! Ich muss mir nur genau überlegen, wie…
Doch ich bin zu müde, ich kann jetzt nicht darüber nachdenken!
Verschieben wir es doch einfach auf morgen….
Vom WWW verweht,
Sophia Sommer
Tja, das Morgen hat nun auch keinen Fortschritt gebracht – das Ding ist nach eingehender Analyse meines Großmeisters und Computergenies Wolfgang scheinbar nicht mehr zu retten. An dieser Stelle sollte dringend betont werden, dass ein Leben ohne Freunde und selbstloser Helfer noch viel frustrierender wäre, als ohne einen funktionierenden Computer.
Und doch, was das Hirn, die Rechtschreibung und die musikalische Kreativität betrifft – das kann ich auch ohne das blöde Ding, das ich mal in meiner anfänglichen Euphorie auf den Namen Happy-Lapy getauft hatte. Jetzt ist er wohl wirklich happy – mich endlich los zu sein –, doch ich bin es ganz und gar nicht. Es ist halt einfach so, dass man auf einer Tastatur schneller schreiben kann, als mit Feder und Tinte und die digitale Datenübertragung per Mail, Diskette, USB-Stick und CD-ROM einfach praktischer ist und viel Zeit spart. Zeit ist etwas, das sowieso schon knapp bemessen ist in meinem Leben. Und nun stehe ich da, wie ein begossener Pudel und würde am liebsten laut schreien…
Seufz, ich muss mich den Tatsachen wohl beugen. Und nicht aufgeben.
Ich werde mir einen neuen Sklaven suchen, ihn anständig bezahlen und besser behandeln als seinen Vorgänger. Und hoffen, dass er mich nicht so im Stich lassen wird, wie es der alte getan hat. Irgendwie erinnert es mich an etwas… na klar! Mit Laptops scheint es genauso zu sein, wie mit Männern: sie verschwinden, ohne sich zu verabschieden, man fürchtet augenblicklich, man könnte nicht ohne sie leben, aber kurze Zeit später fasst man neuen Mut, blickt nach vorne, besorgt sich ein Ersatzgerät und glaubt fest daran, dass man mit dem Neuen endlich sein Glück gefunden hat ;-)
Grüße
Sophia