Das Geheimnis in der Handtasche
Männer beäugen diese kleinen schicken Begleiter aus Leder ja schon seit je her mit Skepsis: geht man mit einem Mädchen aus, ist man eigentlich nie mit ihr allein – das Täschchen baumelt immer irgendwo dazwischen. Es gibt keine existenzielle Frage im Leben einer Frau, auf die in ihrer Handtasche nicht die passende Antwort zu finden wäre – unsere Kleiderschränke sind nicht nur voller Schuhe: von der kleinen perlenbestickten Fifi, die nicht viel größer als ein Tempotaschentuch ist, bis zum überdimensionalen Shopper, wo man locker das kleine Schwarze für den Abend und die komplette Kosmetikabteilung eines Kaufhauses unterbringen könnte – der Handtasche sind keine Grenzen zu eng und kein Zweck zu fremd.
Die Modenärrinnen unter uns besitzen zu jedem Paar Schuhe auch die passende Handtasche, und die Verrückten unter uns suchen schon mal monatelang nach dem perfekten Gürtel und den ultimativen Handschuhen, um das Quartett zu vervollständigen: schwarz, cognacbraun, weiß, beige, rot und babyblau – wer jetzt denken sollte, ich übertreibe, der sollte mal einen Blick in den Schrank seiner Freundin riskieren.
Und wenn Mann ganz mutig ist, könnte er ja versuchen zu eruieren, was sich eigentlich in so einer Tasche verbergen könnte. Lauter lebensnotwendige Besitztümer, würde jede Frau empört ausrufen! Es ist unser Wesen dort in der Handtasche – die Wahrheit über uns Frauen! Und deshalb hassen wir nichts mehr, als neugierige Kerle, die darin herumwühlen! Denn dort verbergen sich wirklich persönliche, unheimlich wichtige und sehr intime Dinge!
Zunächst einmal natürlich das Handy – ein Arbeitsgerät, kein Accessoire! – behauptet zumindest jede echte Quasselstrippe. Und das könnte sogar der eine oder andere Mann durchaus nachvollziehen, wären da nicht die schon oft gesehenen und noch öfters belächelten, geradezu panischen Suchaktionen in der Straßenbahn oder anderswo, wenn es in der Tasche klingelt und Frau hektisch anfängt, den gesamten Inhalt auf den Sitz neben ihr auszuleeren, in der Hoffnung dort, in der Tiefe, den Ursprung der Sonarsignale zu finden. Doch was da so nebenbei alles zum Vorschein kommt, verschlägt ihm, dem heimlichen Beobachter mit den ausgebeulten Hosentaschen, dann doch noch schlagartig die Sprache.
Ein abgefleddertes dickes Notizbuch, ein Kalender oder ein Diary – das ist Pflicht für jede moderne Frau, denn wie sonst könnte man sich all die Termine bei diversen Frisören, Ärzten und Nagelstudios, all die VIP-Party-Einladungen, Verabredungen und Lästerkaffeekränzchen mit Freundinnen merken? Und erst die Überweisungsvorlagen, Mahnungen und Gutscheine, Fetzen mit dem neuesten Parfum aus Zeitschriften oder dem ultimativen Rock aus dem brandneuen Katalog, all die Fotos von Ex- und Aktuell-Freunden, Telefonnummern auf Barservietten, Kinokarten und Abholquittungen der Reinigung – sie alle müssen ja irgendwo akribisch gesammelt und jederzeit griffbereit untergebracht werden! Nicht zu vergessen, der dicke Geldbeutel – der allerdings nicht von den vielen knisternden Scheinen im Laufe der Woche an Gewicht zunimmt, sondern eher von Kassenzetteln für all die Pullover und Schuhe, die wir eigentlich nur unter der Prämisse "geschnappt" haben, um sie später umtauschen zu können. Und natürlich der Schlüsselbund, der Totschläger mit den aberwitzigsten baumelnden und blinkenden Anhängern – Herzchen, Babybilderrahmen und ganze Kuscheltierzoobestände sind unsere ultimativen Markenzeichen – wir bleiben eben für immer kleine Mädchen, auch wenn wir schon dreißig und drüber sind.
Scheint am Morgen die Sonne – muss die riesige Audrey-Hepburn-Brille mit, regnet es am Abend – ist ein Knirps-Regenschirm von Nöten, denn man will schließlich nicht als begossener Pudel zum Date erscheinen. Lippenstift, Abdeckpuder und Wimperntusche dienen zur Schnellreparatur bei unvorhergesehenen Ereignissen, wie Essen mit Kollegen nach Büroschluss oder Prossecco-Orgie im After-Work-Club. Ein Fläschchen farblosen Nagellacks ist perfekt, um lästige Laufmaschen am weiterlaufen zu hindern; Feile und Schere haben schon manch einen Nagel und noch öfters die Laune nach einem Bowlingabend gerettet; und von Deo und Parfum wollen wir hier gar nicht erst anfangen – der "Selbsttest" ist schlicht ein Klassiker auf jedem Mädchenklo.
Überhaupt ist einer Frau stets das Gefühl der Sicherheit am wichtigsten – und das nicht nur, wenn es um Schwangerschaftsverhütung oder Aktienfonds geht. Genau aus diesem Grund findet man in der Handtasche einer modernen Frau auch Nadel und Faden, Ersatzknöpfe, unvorzeigbare Hygieneartikel, Postets und größere Anzahl an Kugelschreibern, Kondome, Briefmarken und Pfefferminzbonbons, Ohrringe, Haargummis, eine Bürste und noch allerlei andere Notfallausrüstung – und die Männer wundern sich, warum wir nie ohne Handtasche aus dem Haus gehen wollen und es hassen, beim Packen für "Übernachtungsdates" gehetzt zu werden. Wenn wir könnten, würden wir mit einem Trolley durchs alltägliche Leben reisen, um ja nicht vom Zufall überrascht zu werden und blöd da zu stehen, wenn wir mal wieder etwas brauchen – am besten einfach alles, um sich in jeder Situation sicher zu fühlen und dabei immer perfekt zu erscheinen. Für die Männer, die mit uns ausgehen und für unsere Freundinnen, die nicht über so eine große Tasche oder die noch größere Umsicht verfügen.
Männer haben eine Zeit lang versucht, es uns nachzumachen und haben auch für sich ein passendes voluminöses Accessoire erfunden: dieses namenlose Herren-Täschchen, das an einer neckischen Schleife am Handgelenk baumelt. Aber der Mann von heute würde sich lieber an einem verkaufsoffenen Sonntag nackt durch den Einkaufszentrum an der Hundeleine schleifen lassen, als so ein Ding mitzunehmen – nur distinguierte Opas mit Strohhut und kariertem Trenchcoat, die nichts mehr außer ihren letzten drei grauen Haaren zu verlieren haben, können sich so einen Auftritt in der Öffentlichkeit leisten.
Und selbst die werden mehr als offen belächelt.
Ein Mann von heute trägt Hosen – und stopft in die aufgenähten Taschen seiner Jeans ganz locker das Handy, den Autoschlüssel und einen Bündel Scheine hinein, bis der Hintern auf die doppelte Größe anschwillt – mehr Signalwirkung braucht es ja auch nicht. Die Hände müssen frei bleiben – man(n) würde dann der Frau elegant aus dem Auto helfen und zwei Drinks durch den überfühlten Club balancieren können, ohne am Barhocker peinlicherweise mit dem Ridikül hängen zu bleiben. Und wenn das Mädchen Glück hat, wird der Junge mit den ausgebeulten Hosentaschen sie bis zur Tür begleiten, sie sanft mit seinen freien, starken Armen an sich drücken und in ihren Haaren wuscheln, während beide in einem vielversprechenden Gutenachtkuss die Zeit und die Welt vergessen.
Das ist der Sinn der Sache: Frauen haben große Handtaschen, um alle Hindernisse auf dem Weg zum Kuss des Abends ohne Peinlichkeiten zu überstehen. Und Männer brauchen Freiheit für ihre Hände, um am Höhepunkt des Abends dafür zu sorgen, dass unsere Mühe, ständig mit einem Fernreisekoffer durch die Gegend zu schleichen, sich auch wirklich gelohnt hatte.
Man soll deshalb die Ordnung dieser Welt nicht kopf- und taschenlos durcheinander bringen.
Denn schließlich hat jeder von uns so sein Päckchen zu tragen.
Und wir sind dank diesem wie für einander geschaffen.
Herzlichst,
Ihre Sophia Sommer
Ja, es ist wirklich unfassbar, was man alles findet, wenn man mal wieder den Inhalt seiner Handtasche analysiert ...
Wie das Männer bloß machen, die sind doch sonst die Perfektionisten, was Ausrüstung angeht - beim Sport zumindest ...
Was sich bei mir noch findet sind Kopfschmerztabletten, Taschentücher, das Kinoprogramm oder sonstwas zum Lesen (falls man irgendwo sitzen und warten muss - es ist total uncool, Löcher in die Luft zu starren), eine Stofftasche (falls man unvorhergesehen noch was einkauft und die Aldi-Tütenfarben nicht zum Outfit passen, was sie übrigens nichtmal tun, wenn man ganz in schwarz auftritt), Minzpastillen für immer frischen Atem und ein Miniparfumpröbchen - man weiß ja nie ...
Zusätzlich zu alledem, was du schon augezählt hast ...
Sind wir Frauen paranoid?