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Gaffen – Volkssport Nummer 1?

Letzten Mittwoch (25.11.2009) haben sich für mich wieder mal die Abgründe der Menschheit aufgetan.

Nach der Arbeit ging ich wie gewohnt zur Straßenbahnhaltestelle. Aufgeregte Passanten liefen mir entgegen und teilten mir mit, dass eine Person von einer Straßenbahn tödlich verletzt worden sei.

Als ich die Straßenbahnhaltestelle erreichte, sah ich schon den von einer weißen Plane abgedeckten Leichnam und das große Aufgebot von Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr.

Ich arbeite schon seit Jahren ehrenamtlich im Rettungsdienst und den Bereitschaften für das Bayerische Rote Kreuz in Augsburg und so entschloss ich mich zu fragen, ob ich irgendwo helfen könnte.

Die gesamte Haltestelle war abgesperrt und die Straßenbahnen fuhren auch nicht mehr. Dementsprechend groß war nach kurzer Zeit die Ansammlung von Passanten, die nicht wussten, wie sie nun nach Hause kommen sollten. Da die Kollegen keine Hilfe benötigten, beschloss ich den ratlosen Passanten zu helfen. Für mich macht es einfach keinen Unterschied, ob ich ein paar Stunden einen unbezahlten Sanitätsdienst mache oder ob ich meine Zeit damit verbringe „Wegweiser“ zu spielen. Das Rote Kreuz verpflichtet eben :)

Innerhalb weniger Minuten war der Unfallort voll mit Schaulustigen. Und wenn ich eines nicht leiden kann, dann sind es Gaffer. Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Aber muss man sich denn alle Einzelheiten auf das Genaueste hin ansehen? Zumeist endet diese „Sensationsgeilheit“ mit zahlreichen Folgeunfällen und Staus, vor allem, wenn es sich um einen Unfall auf einer Straße handelt. Ich sehe auch hin, aber eben nicht um meiner Sensationsgier zu frönen, sondern um zu sehen, ob ich vielleicht helfen kann.

Ich sprach ein paar Schaulustige auf ihre Sensationsgier an. Von „Man wird jawohl mal schauen dürfen (fünf Minuten???)!“, über „Wieso soll ich nicht schauen, im Fernsehen kommt doch nichts Besseres!“, „Aber ich habe doch noch nie einen Toten gesehen!“, bis hin zu „Halt den Mund, sonst hau ich dir eine rein!“ reichten die Reaktionen der Gaffer.

Aber der Schlimmste war ein Mann, der (laut eigenen Angaben) bei der Freiwilligen Feuerwehr arbeitet. Ich sprach auch ihn an, ob das Gaffen denn sein müsste. Er entgegnete, dass er doch einfach nur schaut. Ich ließ ihn stehen und klärte wieder ein paar Passanten über den besten Heimweg auf. Nach ca. fünf Minuten sah ich den besagten Herren ganz nah an der Absperrung zur Unfallstelle stehen, wie er sich gerade mit einem Herrn der Berufsfeuerwehr unterhielt. Ich traute meinen Augen nicht und sprach ihn erneut an. Ich fragte ihn voller Unverständnis, ob ihm der Abstand zu dem Toten vorhin zu groß gewesen sei und ob er jetzt wenigstens besser sehen könnte. Mir wurde mitgeteilt, dass der Herr ja schließlich bei der Freiwilligen Feuerwehr sei. Mir entbehrt sich hierbei doch etwas die Logik! Ehrenamt ist gleich die Erlaubnis zum Gaffen??? Ich bezweifle das stark!
Ich ließ den Mann kommentarlos stehen und kümmerte mich weiter um die ratlosen Passanten. Nach ein paar weiteren Minuten war der Mann verschwunden und ich freute mich, dass er sich vielleicht doch besinnt hätte. Dem war jedoch leider nicht so. Nach kurzer Zeit war er wieder da. Diesmal mit einer Dame im Gepäck, der er alles ausführlich zeigte. Ich war wirklich mehr als schockiert!

Es standen auch mehrere Kinder an der Haltestelle, die neugierig die weiße Plane begutachteten und wild spekulierten. Um diese Kinder kümmerte sich niemand. Wäre die Plane nur ein kleines bisschen verrutscht, sie hätten alles gesehen und wahrscheinlich einen Schock bekommen. So kümmerte ich mich um die Kinder und versuchte ihnen die Situation altersgerecht zu erklären. Als zwei Freunde von ihnen hinzu kamen konnte ich sehen, dass sie es verstanden hatten. Sie hielten ihre Freunde davon ab zu gaffen, verboten ihnen Witze über die Situation und klärten nun auch sie über den Sachverhalt auf.

Ganz furchtbar fand ich auch, als am nächsten Tag zwei Kinder ihre kleinen Nasen an der Scheibe einer Straßenbahn platt drückten und zusammen mit ihrer Mutter das Blut des Toten auf dem Boden suchten und sich riesig freuten, als sie es gefunden hatten.

Das war mein bisher eindruckvollstes Erlebnis mit Schaulustigen. Mir ist durchaus bewusst, dass es sich hier um ein schwieriges Thema handelt. Jeder behauptet von sich, niemals zu gaffen. Dafür sind es jedoch immer sehr viele Schaulustige an Unfallorten. Ich stelle mir immer vor, es wäre ein Angehöriger oder Freund von mir, der verletzt oder sogar verstorben ist und überlege, ob ich es wollen würde, dass sich eine Menschentraube um diese Person versammelt. Ich denke, das möchte keiner.

Kennt ihr diese Situationen auch? Dann berichtet uns doch bitte davon und/oder schreibt eure Meinung in Kommentaren zu diesem Beitrag. Das ist nun wirklich ein Thema, was jeden angeht und betreffen kann.
Eure Beiträge veröffentlicht ihr bitte mit dem Stichwort "Gaffer"!
Ich freue mich sehr über eure Meinung zu diesem Thema!

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34 Kommentare

Doch, ich hatte schon verstanden ;)

Besser, sie "gaffen" kurz, weil die Gene das befehlen, anstatt, dass sie krampfhaft moralisch sein wollen und dabei hektisch werden und Fehler machen. Und dabei werden sie hoffentlich langsamer.

Und jene, die noch vor dem Unfall sind - und noch gar nicht gucken können - sollten halt auch schon siniger fahren.
Und schon wird es zäh - bis zum Stau.

Andreas, natürlich ist jeder verleitet hinzusehen.
Wie Du schreibst ist dieses Verhalten ganz normal.
Was hier angeprangert wird ist aber etwas anderes.
Sich aktiv Zugang zum Unfallort zu verschaffen, möglichst nah dabei sein zu wollen und sich nicht vom Unfallort zu entfernen ist wohl noch das kleinste Übel.
Wenn keine Hilfe geleistet werden kann, Rettungskräfte behindert werden usw. ist der Spass vorbei.
Wer dann noch meint er müsse ein paar Erinnerungsfotos machen, sollte m.E. mal ein paar Stunden damit verbringen sich für die Allgemeinheit zu engagiere.

Wenn Rettung behindert wird, stehen die Leute schlicht im Weg und sind keine "Gaffer", die nur gucken.

Und wenn einer nicht im Weg steht und eh nicht helfen kann, kann er auch Fotos machen.
Rechtliche Grenzen sollten dabei eingehalten werden - das gilt aber immer und nicht nur bei Unfällen.
Wird das eingehalten, gibt es keinen Grund, jemanden zu verurteilen oder schlimmer...

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