Menschen eben!
Heute habe ich einen lieben Menschen zu seiner jährlichen Kontrolluntersuchung bei einem Urologen in Hannover begleitet. Sehr zeitig fuhren wir los, die Witterungsverhältnisse ließen eine flotte Fahrt nicht zu. Auch eine lange Parkplatzsuche verkniffen wir uns heute und nahmen stattdessen ein Parkhaus in der Näher der Praxis.
Lange brauchten wir in der Praxis nicht zu warten, dann bekam mein Begleiter seine erforderliche "Dröhnung" gespritzt um die anstehende Untersuchung schmerzfrei zu überstehen. Inzwischen harrte ich im Wartezimmer aus, hatte alle Zeit der Welt und nahm so einiges wahr.
Ein älteres Pärchen betrat händchenhaltend und zögernd die Praxis. Sie voran, er folgte ihr zögerlich. Beide entledigten sich ihrer schweren Winterbekleidung und setzten sich dann mir Visasvis. Immer wieder tätschelte die Dame ihrem Partner mit der Hand am Haaransatz des Kopfes, oder streichelte ihm über seine Oberschenkel. Er beantwortete diese Liebkosungen in keinster Weise, auch ihre Geste - wobei sie ihren Kopf auf seine Schulter legte - beachtete der Partner kaum, so versunken war dieser in seinen Gedanken. Man sah ihr an, dass sie sich sorgte. Dann wurde der Herr aufgerufen. Beide umarmten sich, er verschwand hinter der Tür zum Arztzimmer, sie wischte sich eine Träne aus ihrem Gesicht. Es war Totenstill in der Praxis, gelegentlich schreckte mich die Türklingel aus meinen Gedanken. Mir schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als mein Begleiter noch etwas benommen neben mir Platz nahm. "Bitte warten Sie hier", hörte ich den Doc sagen, dann verschwand er wieder im Behandlungszimmer. Nur wenige Minuten waren vergangen, als ich ein leises gleichmäßiges Atmen meines Begleiters vernahm. Er war noch von der Auswirkung des Medikaments eingeschlafen.
Ich ging vor die Tür, um nebenan beim Bäcker ein Brötchen zu essen und einen Kaffee zu trinken. Nach kurzer Zeit saß ich wieder auf meinem Stuhl, mein Begleiter harrte noch in derselben Stellung als zuvor. Die Tür zum Arztzimmer öffnete sich, der Doc trat mit seinem älteren Patienten auf den Flur und zog diesen förmlich in einen anderen Behandlungsraum. Die ältere Dame stand blitzschnell vor ihrem Stuhl, hatte aber keine Möglichkeit ein Wort mit ihrem Partner zu sprechen. Sie verschwand auf der Toilette und kam kurz danach mit einem roten Gesicht zurück. Noch bevor sie sich wieder hingesetzt hatte kam der Doc zurück, sah sie an und nickte ihr zu, so als wollte er sagen - es ist alle gut. Gleich danach kam auch der Herr aus dem Behandlungszimmer, sie nahmen sich in den Arm und beide weinten. Nur noch Blutabnehmen, sagte er zu ihr und verschwand im Labor. Ich hörte sie einmal laut schluchzen, dann hatte sich die ältere Dame wieder im Griff und setzte sich auf ihren Stuhl. Nach wenigen Minuten kam der Herr wieder aus dem Labor, den Daumen noch auf dem Pflaster in der Ellenbeuge. "Es ist alles gut", sagte er zu ihr und beide lächelten sich an als sie sich gegenseitig die Kleidung reichten. Mit einem adventlichen Gruß verließen beide lächeln und händchenhaltend die Arztpraxis.
Ist das Liebe?
Nun war auch mein Begleiter wieder aus seinen Träumen erwacht und fragte mich: "warst du die ganze Zeit hier"? Ich musste dich doch bewachen, war meine Antwort. Nachdem das Lachen im Warteraum verklungen war dachte ich mir, so ähnlich wie dem älteren Paar ist es wohl meinem Begleiter auch einmal ergangen, bevor der Arzt die richtige Diagnose gestellt hatte.
Einen schönen ersten Advent Euch Allen!
Ein schöner Bericht :)