Achterbahn des Lebens (5)
Ich bereute zutiefst meine vorschnelle und unüberlegte Entscheidung, und bei den Strahlenproduzenten von der RBU in den Sack gehauen zu haben, aber – die Sache war nicht wieder rückgängig zu machen. Ebenso wenig wie nach einer gewissen Prozedur ein kleiner Judenjunge nie wieder zu einem Nichtjudenjungen werden kann.
Wieder war es unser Schuttplatzspezialist – Pfadfinder Hans-Werner – der für mich den nächsten Glücksfund machte. Auch er war nicht mehr in der Firma, die nach seiner Lehrzeit seine Fähigkeiten benötigt hatte. Nur war er nicht wegen seines kribbelnden Jünglingsblutes von da fort – wie ich balzender Hahn. Er bekam bei seinem neuen Arbeitgeber einfach mehr Lohn – die Maschinenbaufirma Hein zahlte ein verlockend besseres Entgelt. Hydraulische und pneumatische Maschinen waren auf der Werteskala des Marktes höher angesiedelt.
Wie er es denn fertig brachte, weiß ich nicht – auf jeden Fall arrangierte er für mich ein Stelldichein mit seinem neuen Chef persönlich.
Der gute Ruf der Firma Zenglein wehte wieder einmal wie ein gutes Omen vor mir her. Als ich das Büro des Chefs nach einer kurzen Unterhaltung wieder verließ, gehörte ich schon zur Mitarbeiterschar von Hein’s Maschinen- und Anlagenbau.
So einfach war es zu dieser Zeit – wenn man an einem Tag in einer Firma „in den Sack“ haute, konnte man in den meisten Fällen schon am vorhergehenden Tag wieder anderswo anfangen.
Gegenüber dem heutigen Stellenmarkt war es schon so ein klein wenig wie der Hauch eines Arbeiterparadieses.
Zweimal dreihundertfünfundsechzig Tage sah mich die Zeit bei ihrem Hasten durch dieselbe an der Werkbank bei Hein stehen, dann trieb es mich unaufhaltsam weiter.
Ich begann meinen Vater zu verstehen – ich begann zu begreifen, warum er in der Türkei seine gesicherte Existenz aufgegeben hatte. Der Drang nach Neuem hatte ihn getrieben – genau wie mich jetzt. Mein nächstes Abenteuer hatte mit dem kaufmännischen Leben zu tun, und hieß Außendienst.
Dem Fahrbachweg in Aschaffenburg hatte ich den Rücken gekehrt – irgendjemand hatte irgendetwas verloren, das fühlte ich. Entweder der Fahrbachweg mich – oder ich den Fahrbachweg. Irgendwann fand ich des Rätsels Lösung, und wußte, daß ich der Verlierer war. Der Grund für meinen Wohnortwechsel war weiblicher Natur – ein Mädchen, oder besser gesagt eine Frau. Allah hatte Amor meinen Weg kreuzen lassen. Der, wohl allen Menschen bekannte Engel mit dem Bogen, hatte einen Pfeil auf mich abgeschossen – und natürlich voll ins Schwarze getroffen.
Meine erste große Liebe schwebte wie eine rosarote Wolke um mich herum, und füllte unsere gemeinsame Wohnung in der Innenstadt von Aschaffenburg mit Bergen von Glück. Dass die Verheißung fünf Jahre älter als ich, und vorher schon einmal verheiratet war, war für mich völlig belanglos. Ein Baby hatte sie durch das Leiden in der beendeten Beziehung verloren – meine Liebe und Zuneigung halfen ihr, die Wunden sich schließen zu lassen.
Im Umfeld meiner neuen Bleibe lernte ich nach kurzer Zeit einen Menschen kennen, der abrupt die Zielrichtung meiner Lebensplanung änderte. Vielleicht war der feine Nadelstreifenanzug mit dem kornblumenblauen Hemd und der Seidenkrawatte die Weiche, die mich auf eine andere Schiene leitete. Peter hieß er, und war plötzlich unser Nachbar im gleichen Wohnblock.
Der Rest seiner Familie – das heißt, seine Frau und die Kinder - wohnte schon länger in der Wohnung neben unserem Liebesnest. Jahrelang galt seine Frau bei den Mitbewohnern als bemitleidenswerte alleinstehende Mutter mit fünf Kindern. Diese Mitleidseinstellung der Leute änderte sich schlagartig, als Peter als Vater aus der Versenkung wieder auftauchte.
Peter hatte für sechs Jahre die gesiebte Luft hinter schwedischen Gardinen genossen. Wie er mir später erzählte, war er der Kopf einer ziemlich großen Einbrecherbande gewesen. Stolz zeigte er mir Zeitungsausschnitte mit Berichten über seine „Karriere“. Die Bilanz seines zwielichtigen Geschäftes belief sich auf geschätzt über zwei Millionen D-Mark. Wahrhaftig schon der Umsatz eines kleinen Imperiums. Nichts fehlte auf der Palette des gestohlenen Gutes – von Teppichen über Büromaschinen und elektronischen Geräten bis hin zu Textilien neben Lebens- und Genussmitteln. Die sechs Jahre Knast hatten ihn aber beileibe nicht geläutert – er trauerte nur um die verlorene Zeit und um den entgangenen Gewinn.
Gerade in der Phase meines Erwerbslebens, in der ich mich als Bierkutscher mehr schlecht als recht durchs Leben schlängelte traf ich auf Peter. Die süffigen Produkte von Martins Brauerei brachte ich von morgens bis abends unter die Trinker im Lande. Die Angestellten der deutschen Gerstensafterzeuger wurden damals noch großzügig behandelt. Zwei Kästen Haustrunk bekamen wir die Woche – ganz schön honorig, und immer die Gefahr in sich bergend, aus den Mitarbeitern Säufer zu machen. Damit ich erst gar nicht in Versuchung kam, veranstaltete ich mit meinen Freimengen kurzerhand wöchentliche Feten. Wodurch mein Taschengeld in ganz schön runde Summen gekleidet wurde. Alle, die ihn einmal erfahren hatten, waren danach versessen auf den billigen Rausch bei mir.
ee
Fortsetzung folgt
danke ewald, habe mir die geschichte als gute nachtgeschichte aufgehoben.
es bewegt mich....
bin auf die forsetzung sehr gespannt
lg