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Achterbahn des Lebens (4)

Knutschkugel, was ist das denn – mag mancher verwundert fragen. Es war eine oder ein BMW-Isetta – ein Automobil (oder war es doch nur die Weiterentwicklung eines Motorrades mit Dach?) – zwar klein, aber fein. Wegen der äußeren runden Form, und wegen des geräumigen Innenraumes, der sich wunderbar für einsame Zweisamkeiten eignete, wurde es auch Knutschkugel genannt. Für fünfzig Mark hatte der Besitzer mir fahrverrücktem Narren das Gefährt überlassen. Bis ich altersmäßig die erforderliche Fahrerlaubnis erwerben konnte, ging noch eine Weile hin, aber ich war mit siebzehn schon Autobesitzer und den anderen Jungen wieder einmal um die berühmte Nasenlänge voraus.

Im Atomkraftwerk Hanau-Karlstein war Herr Zenglein nach dem Ende seiner Selbständigkeit in einer guten Position untergekommen. Eine Meisterstelle sicherte ihm seinen Lebensunterhalt. Er befand sich noch nicht in dem Alter, um sich auf seinem Rentenkissen ausruhen zu können. Und soviel Geld lag auch nicht auf der hohen Kante, um sich für den Rest seiner Tage zu pflegen. Also mußte er malochen, bis das die Schwarte krachte – genau wie wir es mußten, die er ausgebildet hatte.
Ich kann es beurteilen, denn ich konnte ihn jeden Tag beobachten. Dank seiner Fürsprache wurde die Reaktor Brennelemente Union – das Kürzel RBU ist wohl bekannter im Lande – auch mein Brötchengeber. Werkzeugmachen stand von da an zwar nicht mehr auf meinem Tageszettel – aber interessant war meine Tätigkeit nicht weniger. Die Qualitätskontrolle in der Brennelemente-Fertigung sah mich durch die Arbeitstage eilen. Klingt eigentlich ganz profan – Brennelemente-Fertigung. Ungefähr so, wie Briketts pressen oder Wachskerzen ziehen. Von dieser Art Arbeit war meine Tätigkeit aber ungefähr soweit entfernt, wie die Sonne von der Erde.
Bei uns füllte man tablettenförmige Uranteile – die ich vorher überprüfte – in Brennrohre, die anschließend verschweißt und zu großen Einheiten verbündelt wurden. Nach der Aktivierung dienten sie als Treibstoff für die Atomreaktoren, in denen so billig Strom erzeugt wurde und wird. Ich habe mich später häufig gefragt, zu welchem Preis das alles geschieht.

Natürlich waren wir radioaktiven Strahlen ausgesetzt – die Messgeräte zeigten es uns zu jeder Sekunde, weil wir sie ja am Leibe trugen.
Alle sieben Tage überprüfte ein Sicherheitsingenieur die Gesamtstrahlenmenge, der wir unter der Woche ausgesetzt waren.
So ganz „Ohne“ war meine neue Beschäftigung also nicht, denn grundlos zahlte die Gesellschaft mir jungem Hüpfer nicht 2 000.- DM netto. Damit konnte ich unter Gleichaltrigen schon ganz schön glänzen.

Den Schichtdienst im Werk nahm ich dafür gern in Kauf.
Bis mich der Hafer stach – der Hafer in Gestalt von Bernd. Mit Bernd drückte ich jahrelang gemeinsam die Schulbank. Wir waren eigentlich richtig befreundet – so dachte ich wenigstens. Ein Jahr gehörte ich nun zur RBU. Es war mein zweiter Sommer nach der Auslehre, und er war genauso südlich, wie mein erster Sommer in Deutschland – dreizehn Jahre zuvor.
Bernd hatte seine Arbeit geschmissen – die Sonnentage im Schwimmbad gaben ihm mehr. Auf jeden Fall seinen Augen – denn jungen, wohlgeformten Mädchenhintern schielten wir auch schon hinterher.
Uns wuchsen ja schon Haare auf der Brust, und anderswo am Körper.
Wenn Bernd mir in meiner wenigen freien Zeit von seinen Erlebnissen vorschwärmte – das meiste davon entsprang sicher seinem Wunschdenken – befielen mich richtige Verlustängste. Was verpasste ich nicht alles! Mein Jungmännerblut kribbelte, und ich stellte mir die heißesten Geschichten vor.
Ich kündigte bei der RBU.
Kurzentschlossen.
Unser Personalchef fiel aus allen Wolken. Er vermutete als Grund die Heimkehr in die Türkei – oder erwartete sonst eine schwerwiegende Begründung für mein Handeln.
Dass ich mit meiner Entscheidung bei mir selbst nicht einmal auf der sicheren Seite stand, zeigte sich dadurch, daß ich mir irgendeine bescheuerte Begründung einfallen ließ. Ich konnte ihm einfach nicht sagen, daß mich die Sünde lockte – das ich mich für doof hielt, bei RBU zu schuften. Wenn ich ihm das gesagt hätte – er hätte garantiert festgestellt, daß ich tatsächlich so doof war. Nur, seine Begründung dafür, die hätte garantiert anders gelautet, als die meine.
Während ich mir in den Katakomben Strahlen einfing, fing mein Freund Bernd im Strandbad die hübschesten Käfer ein.

Abgenommen hat der gescheite Herr Reis mir meine fadenscheinigen Argumente mit Sicherheit nicht, sonst hätte er mich bestimmt nicht so lange bekniet, meine Kündigung zurückzunehmen. Sogar eine Urlaubsbedenkzeit bot er mir an – aber ich Torfkopp lehnte stur ab. Heute bin ich überzeugt, die Esel in der Türkei waren in ihrem Denken damals klüger.
Sein großes Bedauern über meine Entscheidung, und alle guten Wünsche, gab er mir mit auf den Weg – eingepackt in den Schlusssatz – bei der RBU werden sie nie wieder anfangen können.
Es war ein Prinzip der Firmenleitung.
Herr Reis war ein Personalchef der Sonderklasse – ich habe bis heute keinen ähnlichen kennen gelernt.
Das war mein erster Ausflug in die Arbeitslosigkeit. Gott sei Dank blieb es bei einem Kurztrip – denn ich merkte schnell, daß die Jagdbeute im Strandbad gar nicht so fett war, wie Bernd es in seinen Kreuzmalereien dargestellt hatte. Und meine Ersparnisse bekamen auch ganz schnell die Schwindsucht.

ee

Fortsetzung folgt

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Ewald EdenWilhelmshavenautor edenTexteRatgeberGeschichten

7 Kommentare

Hier spürt man genau das unkompliziert Mutige in jungen Jahren ...
Der Lebenserfahrungen gehen immer weiter !

DAS "es nicht einmal zu wagen" kostet zumeist doch Kopf und Kragen, liebe Roswitha. Mich reut nicht das, was ich in meinem Leben bisher falsch gemacht habe ( bei genauerer Betrachtung käme da wohl allerhand zusammen) mich reut vielmehr jenes, das ich - warum auch immer - unterlassen habe. Ich habe etwas Entscheidendes überwunden und Entscheidendes gefunden - und DAS ist DAS Entscheidende.

Ewald ..., dann freue Dich zu dem - entscheidendes Gefundene ...

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