Plötzlich brach ihre Welt zusammen ...
Gesellschaft
Ein junges blühendes Mädchen erfreute sich an ihrem Leben. Sie konnte wohl nicht so gut hören wie andere, vielleicht – aber was machte das schon.
In ihrer frühen Kindheit hatte sie durch irgendeinen Umstand eine Gehörschädigung erlitten, die zu spät erkannt wurde. Wie so vieles in unserer Gesellschaft zu spät erkannt wird.
Das lernen in der Schule ging, als Folge davon, bei ihr etwas langsamer voran. Nicht daß jetzt gleich jemand denkt, sie wäre durch diesen Umstand schwer benachteiligt, oder gar geistig behindert – weit gefehlt dieses Denken.
Bei ihr lief das begreifen nur etwas langsamer ab. Und wie es so ist im Leben, was langsamer und bedächtiger vor sich geht, das gerät auch nicht so leicht ins stolpern.
Andererseits blieb ihr sicherlich so manche Unbill dadurch erspart. Der Straßenverkehr erschien ihr nicht so laut – die Flugzeuge vom nahen Düsseldorfer Flughafen lärmten für sie weniger schrecklich, und wer mit ihr redete, der sprach dann eben ein kleines bißchen lauter – wenn es sein mußte. Meistens mußte es nämlich gar nicht sein – denn mit dem verstehen der leisen Töne hatte sie seltsamerweise überhaupt keine Schwierigkeiten.
Die Großeltern, bei denen sie aufgewachsen war, und die sie auch jetzt noch begleiteten – und halfen, wenn sie mal irgendwo nicht so leicht mit klar kam – die wussten das. Ihre Freunde, und die Freunde der Familie, die wussten das auch.
Nur die Mitarbeiter des Jugendamtes – die ständig im Hintergrund herumfuhrwerkten, die wussten das scheinbar nicht. Brauchten sie aber auch nicht zu wissen, denn sie war ja bei ihren Großeltern gut aufgehoben.
Irgendwann am Ende ihrer Jungmädchenzeit verliebte sie sich in einen jungen Mann. Was ja ganz natürlich ist. Es erging ihr genauso, wie es anderen jungen Frauen auch ergeht. Die Liebe fragt nämlich überhaupt nicht danach, ob jemand gut, oder nicht so gut hören kann – sie kommt sowieso auf leisen Sohlen daher. Sie macht auch keinen Test, ob derjenige, den sie glücklich machen will, den Namen des dritten Kaisers von China kennt.
Mit siebzehn wurde sie schwanger. Was auch natürlich ist, wenn Menschen zweierlei Geschlechts sich lieben. Ihren achtzehnten Geburtstag feierte sie gemeinsam mit ihrem Liebsten, mit ihrer Familie, und mit dem werdenden Leben in ihrem Bauch. Alle freuten sich mit ihr auf den Nachwuchs. Es war der schönste Geburtstag in ihrem Leben.
Zumal ja an diesem Tage das Jugendamt sich sein Mitsprache-recht an ihrem Leben sich irgendwo hinstecken konnte. Wobei man sich manchmal fragt, ob das „Jugendamt“ überhaupt so etwas hat, wo es sich solche Dinge hinstecken kann.
Na, das ist ja auch egal. Auf jeden Fall müssen die Amtsleute über ihren ‚es bestimmen zu können’ Verlust ganz schön wütend geworden sein – denn, was sie dann taten, ist nicht anders zu erklären, als das sie vor Wut blind waren.
Oder waren sie vielleicht doch nicht blind, sondern nur ein ganz klein wenig den Talern zugeneigt, die verzweifelte kinderlose Ehepaare schon mal einfach irgendwo so herumliegen lassen, wenn sie ein Kind für sich suchen? Das ist nicht zu glauben, weil die Amtsmenschen doch gesetzlich dem Wohl der Kinder verpflichtet sind, meint ihr?
Da drängt sich denn doch so spontan die Frage auf, welcher Kinder Wohl sie wohl im Auge haben.
Die Eile, und die Art und Weise, in der sie sofort nach der Niederkunft und Entbindung, der nun volljährigen Mutter, zu Werke gingen, läßt so viele Deutungen zu, wie in einem dicken Versandhauskatalog Artikel aufgeführt sind.
Drei ganze Tage schien für die junge Mutter und ihrem Sohnemann die Sonne. Mit ihrem Sonnenschein in den Armen wollte sie am dritten Tage heim zu ihren Großeltern, damit sie sich alle gemeinsam an dem hellen Licht erfreuen konnten.
Am Morgen der Entlassung von der Wöchnerinnenstation ließ der zuständige Arzt plötzlich Nebel auf die strahlenden Ge-sichter fallen.
Sie könne ihren Sohn nicht mit nach Hause nehmen – er habe Gelbsucht. So hieß es. Die würde bei Säuglingen schon mal auftreten.
Nur Stunden später entpuppte sich die Krankheit aber als etwas ganz anderes.
Am Wöchnerinnenbett, in der Klinik, erschienen amtsab-gesandte Herolde in ihren noblen Trachten, und verkündeten im Namen des Volkes die Beschlagnahme des Kindes, und die Zuführung in andere Hände.
Die ‚anderen Hände’ waren praktischerweise auch gleich anwesend. Als wenn man vorsichtshalber vorher noch sehen wollte, was man sich einhandelte. Wer handelt sich schon gerne ‚die Katze im Sack’ ein?
Was nicht anwesend war, oder der jungen, volljährigen Mutter nicht ausgehändigt, oder zumindest gezeigt wurde, das war ein obrigkeitlicher Beschluß - eine Anordnung, oder dergleichen.
Dazu ließen sich die Herolde erst Tage später herab. Denn – wer ist man denn!
Einen Handel schlugen die amtlichen Herolde seltsamerweise aber doch noch vor: Wenn die junge Mutter sich mit ihrem Kind gemeinsam in ein Heim begäbe, dann würde man von der Wegnahme absehen, man handele schließlich stets menschlich.
Sogar eine geistig Behinderte sollte das erkennen können. Halleluja!
Sie müsse sich allerdings auf der Stelle entscheiden, weil im Hintergrund die ‚anderen Hände’ schon ungeduldig herum-trippeln würden.
Sich so spontan zu entscheiden, das könne doch nicht so schwer sein, auch wenn sie das Heim nicht kennen würde – der Richter hätte ja auch auf der Stelle entschieden, obwohl er sie und ihre Lebensverhältnisse überhaupt nicht kenne.
Eine äußerst einleuchtende und treffende Logik, nicht wahr.
Und sowieso – eine Mutter die nicht gut hören kann, die stellt automatisch auch eine Gefahr für ihr Kind dar. Das weiß doch jeder Anfänger in Sachen Sozialarbeit.
Wenn man diese einfache Regel nicht strikt befolgen würde, dann hätten viele Amtsherolde bald nichts mehr zu tun…
… und irgendwie müssen die Heime doch auch voll werden.
ee
Dass ist überhaupt nicht polemisch - wenn man die Nickellichkeiten (nicht aller damit befaßten Personen, wohlgemerkt) und Hintertürspielchen an einigen Orten kennt, liebe Gabriele