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Der türkische Schriftgelehrte ...

Feuilleton

Wir hatten uns sehr früh am Morgen auf den Weg gemacht, damit wir unterwegs nicht in die Mittagshitze gerieten. Den Anblick der schneeweißen Wattesteine, der Sinterfelsen von Denizli wollten wir genießen. Eine kurze Rast sollte es denn auch nur sein – dort vor der Teestube der kleinen Siedlung im kargen türkischen Hinterland. Seit Stunden waren wir schon unterwegs und wollten nur etwas trinken. An den wenigen Tischen vor dem weißgekälkten Gemäuer rechts des Eingangs saßen die Ältesten des Dorfes – schweigend, aber mit blitzenden Augen über ihren schwarzen Bärten. Unablässig wanderten die blankpolierten Perlen der Gebetsketten durch die knochigen Finger der Alten. Es schien, als sei der Rhythmus in dem sie zu den Teegläsern vor ihnen langten in die Zeit geschweißt.
Noch bevor wir ein Wort des Begehrs sagen konnten, standen schon Stühle für uns bereit. Es war ein von sparsamen Gesten begleitetes herzliches Willkommen. Als wenn man gewusst hätte, daß fremde Gäste unterwegs sind.
Die Luft flirrte über dem rötlichgelben Sand vor dem alabasterfarbenen Himmel. Links neben der türlosen Öffnung zum inneren Raum saß im Schneidersitz auf einem goldbestickten Kissen hinter einem niedrigen Tischchen eine eindrucksvolle Gestalt unter einem aufgespannten Segel.
Einfaches Schreibwerkzeug, ein paar Bogen Papier und eine reich verzierte Wasserpfeife nahmen den Platz auf der Tischplatte vor ihr ein. Wir erlebten den ‚Schriftgelehrten’ des Dorfes bei seiner täglichen Arbeit. Im offenen weiten Rund wartete geduldig in der heißen Sonne eine kaum überschaubare Anzahl von Menschen darauf, zum Alten zu treten und auf dem verschlissenen Kissen vor seinem Tisch Platz nehmen zu dürfen. Offensichtlich hatten alle das gleiche Anliegen, denn jeder hielt einen Umschlag in seinen Händen. Nach der Art zu urteilen, in der sie das Papier hielten, mußte jeder Brief ein Schatz sein.
„Was geht da vor?“ wisperte meine Frau mir als Frage zu. „Die Menschen warten darauf, ihre Schriftstücke vorgelesen zu bekommen“, flüsterte ich zurück. Wir wagten beide nicht laut zu sprechen. Auch aus Furcht durch unser Reden die eigenartige Stimmung zu zerstören.
In der Mehrzahl waren es die Frauen des Dorfes, die sich in ehrerbietiger Haltung nacheinander dem Tischchen näherten und den Platz auf dem Kissen einnahmen.
Fast demütig reichten sie dem Alten dann ihren Brief, den der behutsam – so wie man etwas Kostbares an sich nimmt – entgegennahm.
Ohne jede Hast öffnete er mit einem goldenen Messerchen Umschlag für Umschlag. Es schien uns, als fürchte er durch einen schnellen Schnitt die geschriebenen Buchstaben im Inneren zu verletzen.
Bevor er den gefalteten Inhalt entnahm, legte er einen Atemzug lang mit geschlossenen Augen seine feingliedrige Rechte auf das Papier. Dabei bewegte er lautlos die Lippen, als wenn er sich für die Verwundung durch den Schnitt entschuldigen wolle.
Außer seiner volltönenden Stimme war anschließend für die Länge des geschriebenen im weiten Rund kein anderer Laut zu vernehmen.
Obwohl wir der Sprache nicht mächtig waren konnten wir die Bedeutung jedes einzelnen Wortes in den Gesichtern der andächtig lauschenden Zuhörer erkennen.
Die Sinterfelsen von Denizli haben wir an diesem Tage nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es war uns nicht schade drum – den Besuch dort konnten wir nachholen. Dafür waren uns aber unwiederbringliche Einblicke in die Seelen der Menschen unseres Gastlandes zuteil geworden.

ee

7 Kommentare

Ein eindrucksvoller Beitrag.

Lieber Axel,
mein alter Professor hat stets sein größtes Augenmerk darauf verwandt, uns jungen Spunden beizubringen, wie wir mit unseren Worten Bilder malen, die der Zuhörende mit den Ohren sehen kann.
Wenn mein Weg hier zu Ende ist und ich in die nächste Welt muß, werde ich ihm als Dank dafür noch Blumen mitnehmen.

(Er hatte übrigens einen unheimlich großen Papierkorb für unsere mißlungenen Versuche neben seinem Sekretär stehen)

  • Gelöschter Nutzer am 10.04.2009 um 16:38
Gelöschter Kommentar
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