Der 'Aulen Soliger' zum fünften ...
Erinnerungen
Zu einer persönlichen Leidenschaft bekannte sich auch Reichs Helmuth vom Schaberger Berg. Seine ‚Zwiebelfarm’ - wie wir sein Anwesen scherzhaft nannten, und auf der er seine Leidenschaft - die Haltung und Zucht dänischer Doggen - mit Begeisterung auslebte – lag am steilen Hang im Schlagschatten der Schaberger Brücke, der kleineren und ganz anderen Schwester der Königin ‚Müngstener Brücke’ - die ja eigentlich den Namen Kaiser Wilhelms durch die Zeiten trägt. Die Realisierung der beiden völlig verschiedenen Bauwerke hat es erst ermöglicht, die Schwesterstädte Solingen und Remscheid durch den Bau einer Eisenbahnlinie intensiver zu verbinden.
Reich’s Helmes verkörperte den Typ des typischen ostpreußischen Dickschädels, der, gepaart mit der bauernschläulichen Intelligenz seiner erkennbar jiddischen Vorfahren, Jedem in fast jeder Situation eine Nase drehte.
Wenn Helmes die ‚Westernreiterrunde’ im Saloon Solinger Hauptbahnhof mit seiner Anwesenheit beehrte, erregte das allein durch die gleichzeitige Präsenz seiner Leidenschaft schon allgemeines Aufsehen – zumindest bei Neu- und Kurzaufenthaltern, deren Zahl sich aber in erträglichen Grenzen hielt, weil am Bahnsteig des Solinger Hauptbahnhofs nur die roten Schienenbusse der untergeordneten Zugverbindung Düsseldorf – Remscheid Halt machten.
Solingens Anknüpfpunkt an die wichtige Eisenbahnwelt war, und ist auch Heute noch, der Ohligser Bahnhof. Wer von draußen aus der Welt oder aus dem Universum mit dem Zug nach ‚Solig’ strebt, betritt den Solinger Kosmos immer durch die Ohligser Eingangspforte.
Von Düsseldorf kommend verirrten sich von jeher nur relativ wenig Bahnbenutzer in die Klingenstadt – obwohl ‚Solig’ in jeder Beziehung einheimischen wie Gästen viel mehr und Schönes bietet. Der Strom der Reisenden von Solingen nach Remscheid war auch zu allen Zeiten leicht überschaubar.
Das Frachtverkehrsaufkommen der umliegenden Großbetriebe, wie etwa das ‚Zwillingswerk’ hat der Einrichtung Solinger Hauptbahnhof wohl über Jahre das Überleben gesichert – oder laxer ausgedrückt: „Es hat dem Bahnhof über die Zeit den Arsch gerettet.“
Reich’ Helmes Leidenschaft hat ihm im ‚Westersaloon’ der Bahnhofspinte zwar nie den ‚Arsch’ gerettet – jedenfalls nicht erkennbar – die Objekte seiner Leidenschaft haben seine Taler aber so manches Mal vor dem (durchaus berechtigtem) Zugriff der Wirtin gerettet.
Seine dänischen Doggen frönten nämlich auch einer Leidenschaft – sie verspeisten genüsslich mit Gerstensaft getränkte Bierfilze. Wenn besagte Deckel dann den Weg durch Magen und Darm der rindviech großen Prachtexemplare zurückgelegt hatten und die unverdaulichen Reste als ‚Häufchen’ (die Bezeichnung als Haufen oder Hügel wär’ vielleicht zutreffender) war von der ‚Buchhaltung der Wirtin zur Kontrolle des Getränkekonsums und als Grundlage der Zechberechnung nichts mehr zu entziffern.
Wer wagte es dann aber diese ‚Urweltgranden’ - die zudem noch in einem Kraftfahrzeug des Modells „Gangster-Kapitän“ chauffiert wurden – in ihren treuen Dackelblick hinein ihr sträfliches Tun zu kritisieren?
Conchita wagte es jedenfalls nicht.
Die Stammgäste in ‚Tillmann’s Gaststätte & Weber’s Metzgerei’ wagten auch nicht das Spiel zu unterbrechen, welches die füllige Wirtin Frieda des Wochenends zu inszenieren pflegte, um das Geschäftsergebnis, das unter der Woche mehr oder weniger vor sich hinschlummerte, ein wenig zu ‚dopen’ – so würde man ihr Verhalten Heute vielleicht bezeichnen. Ich habe es damals als eine Art Gratwanderung zwischen Beschiss und Verulk der Gäste durch die ansonsten sehr umgangsjoviale Wirtin empfunden.
Samstags und Sonntags ‚deponierte’ et Friedchen nämlich ihre betagte Mutter und Vorgängerin im Amt im Ohrensessel neben der Theke. Fast jeder der eintretenden Gäste hielt sich etwas darauf zugute mit Omma Tinchen auf ihr weiteres Wohl anzustoßen.
Omma Tinchens ‚Kunjäckche’ war aber kein Schnapserl, denn Töchterchen Friedchen (dabei hatte ‚et Frieda’s’ Körper eher die Abmessungen eines Troßschiffes der Reichsmarine) füllte Ommas Stamperl brav mit einem Placebo – Omma Tinchen schüttete tapfer ein Gläschen kalten Tees nach dem anderen in sich hinein.
Sie hatte sich schon den legendären Ruf des trinkfestesten Frauenzimmers zwischen Sengbach und Itter erworben – als eine (Ex)Wirtin, die selbst in hohem Alter noch jeden Fuhrmann unter den Tisch trinken würde.
Wer es von den Gästen wusste hat wohlweislich darüber geschwiegen, denn beim nächsten Einkauf in der angrenzenden Metzgerei packte et Frieda – diesmal als Metzger Karls Gattin die eine oder andere Wurst verschwörerisch lächelnd als Schweigegeld obenauf.
Ob Meister Karl in seiner Wurstküche davon wusste, weiß ich nicht – obwohl mich manchmal das Gefühl beschlich, er würde in seiner dampfenden Brühwurstsiederei extra ‚Bestechungswürstchen’ in die Därme füllen.
Wenn ich Heute wohl noch mal an Webers Karl denke, dann liegt mir sofort wieder das ‚schmecken’ seiner kesselwarmen Fleischwurst auf der Zunge – eine geschmackvollere Brätmischung ist mir in der Folge nirgendwo sonst in der Welt über den Weg gelaufen.
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Tja damals beherrschte man sie noch, die Mischkalkulation.
Da der gute Meister Karl ja wohl noch kein Separatorenfleisch kannte, die Rheinische mit der Hand und nicht im Hochgeschwindigkeitskutter mischte, werden sich auch ‚Bestechungswürstchen’ noch durch eine gewisse Qualität ausgezeichnet haben.