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Am Friedhof ist es für Aufklärung zu spät

Berliner Historikerin referiert in Schwarmstedt über Verbrechen der Waffen-SS / Diskussion um Soldatenfriedhof in Essel / Nazis keine Plattform bieten

Schwarmstedt. (so) Am vergangenen Dienstag versammelten sich interessierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger zu einer Veranstaltung der Initiative „Zug der Erinnerung“. Rund 80 Teilnehmer informierten sich über die Verbrechen der Waffen-SS und den Traditionsverband „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS“ (HIAG). Die Berliner Historikern Dr. Susanne Willems informierte in ihrem Vortrag über die Geschichte der Waffen-SS, die 1946 in den Nürnberger Prozessen zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde. Horst Kröger und H.-D. Charly Braum vom DGB-Kulturarbeitskreis präsentierten den Besuchern Radio- und Fernsehausschnitte aus den 80er Jahren zum Geschehen auf dem Soldatendfriedhof Essel.

Junge Leute unter dem Banner der HIAG wollen provozieren
In Schwarmstedt wurde an diesem Abend auch die aktuelle Situation beleuchtet. Seit den 50er Jahren treffen sich rechtsextreme Gruppierungen auf dem Soldatenfriedhof in Essel, um am Volkstrauertag denen zu gedenken, die, „getreu dem Fahneneid" der SS, ihr Leben „in unerschütterlicher Treue und unbedingten Gehorsam“ dem Deutschen Reich geopfert haben. Im letzten Jahr gedachte der Celler Nazi-Führer Dennis Bührig der Waffen-SS mit den Worten „Ihr Opfer ist unser Auftrag“ und dem Absingen des Treuelieds der SS. Susanne Willems sieht in dem Vorgehen der Rechtsextremen eine klare Provokation: „Wenn junge Leute unter dem Banner der HIAG diesen Friedhof aufsuchen, haben sie nichts weiter im Sinn als eine Provokation. Eine Provokation, die zeigen soll, dass sie der Überzeugung sind, dass die militärische Befreiung vom Faschismus nicht ihre Befreiung war - nicht rückblickend und nicht mit Blick auf die Zukunft.“

Mehr Aufklärung über rechtsextremes Gedankengut
Bei den Teilnehmern herrschte Einigkeit über den Willen, gegen rechtsradikale Tendenzen vorzugehen. Gemeinsam wurden Möglichkeiten hierfür diskutiert. Dr. Willems sprach sich offen für mehr Aktivismus und Gegenwehr unter den Schwarmstedtern aus: „Alle Menschen sind aufgefordert und haben auch das Recht - für mich jedenfalls wäre es auch eine Verpflichtung - sich diesen Nazigruppen entgegen zu stellen und das Treiben auf dem Soldatenfriedhof zu verhindern.“ Viele Schwarmstedter bekräftigten diese Aussage und wünschen sich vor allem von den zuständigen Staatsorganen, aber auch von der Öffentlichkeit und der Gesellschaft mehr geschichtliche Aufklärung, damit sich das rechte Gedankengut nicht weiter verbreiten kann. „Das kann in der Schule sein, das fängt aber auch beim ganz normalen Miteinander an. Wenn man mit einem Bier an der Theke sitzt, selbst dann kann man aufklären. Und das fehlt einfach. Und da am Friedhof, da ist es zu spät, da kann man keinen mehr überzeugen“, bringt es Teilnehmer Hendrik Rump auf den Punkt.

Die HIAG
Veteranen der Waffen-SS schlossen sich nach Kriegsende zum Traditionsverband HIAG zusammen und umgingen so das Organisationsverbot für Nazis. Nach steter Beobachtung durch den Verfassungschutz wurde die HIAG 1992 bundesweit offiziell aufgelöst, existiert aber bis heute in örtlichen Gruppierungen weiter und gibt im rechtsextremen Munin-Verlag die Zeitschrift "Der Freiwillige" heraus.

Wie alles begann
Bis in die 70er Jahre nimmt der Traditionsverein der Rechtsextremen an den jährlichen Gedenkfeiern zum Volkstrauertag in Essel teil. Dann kommt es zum Eklat. Pastor Dreyer gedenkt in seiner Ansprache nicht nur den gefallenen Soldaten, sondern allen Opfern des Krieges und den Opfern der Konzentrationslager. Die HIAG-Anhänger wehren sich gegen die vermeidlichen Vorwürfe. Von Dorfbewohnern vor den Nazis geschützt, muss Pastor Dreyer vom Friedhof fliehen. Es kommt zur Spaltung des Gedenkens: Gemeindevertreter und örtliche Vereine gedenken der Toten weiterhin am Morgen, am Nachmittag hält die HIAG ihre "Heldenfeier" ab und legt ihre Kränze nieder. Im Laufe der Jahre finden sich immer mehr Rechtsextreme zum Volkstrauertag in Essel ein, darunter Kameradschaften, die HIAG, der „Bund Notgemeinschaft Arbeitsdienst“ und die „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“ (OdR) und flämische Faschisten. Gedacht wird bei der Kranzniederlegung nicht aller Opfer des Krieges, sondern den jungen Kämpfern der Waffen-SS, die eidestreu für Deutschland starben. Mit regionalen und überregionalen Bündnissen und Gegendemonstrationen wehren sich Menschen gegen diese Feiern. Und das mit Erfolg. In den folgenden Jahren bleiben die Rechtsextremen dem Friedhof weitgehend fern.

Heldenfeiern werden wieder abgehalten
Inzwischen lebt diese Tradition wieder auf. Alt- und Neonazis legen erneut Kränze nieder. Erst versteckt mit schlichter schwarzer Schleife ohne Aufdruck, dann mit SS-Parolen, wie „Treue für Treue“. Seit 2007 trifft man sich unter der Leitung von Dennis Bührig, dem Führer der "Kameradschaft 73 Celle" und Matthias Behrens, Chef der Kameradschaft „Snevern Jungs“und stellvertretender NPD-Landesvorsitzender, wieder zu den Heldenfeiern. Auch Frauen der Gruppe "Düütsche Deerns" zeigen sich "in stolzer Trauer" über den Tod von Mitgliedern der Waffen-SS. Doch nicht nur am Volkstrauertag zeigen die (Neo-)Nazis Präsenz. Auch eine Woche später, am Totensonntag, treffen sie sich auf dem Freidhof. Auf diesen zweiten Termin ist der Waffen-SS-Traditionsverband HIAG vor einigen Jahren schon ausgewichen, um sich vor Journalisten und Nazi-Gegnern zu schützen. Rechtsorientierte Verbindungsstudenten unterstützen diese Feierlichkeiten. Die örtliche Polizei versucht zumindest dem Treiben der Kameradschaften entgegen zu wirken. Am letzten Volkstrauertag dürfen Mitglieder der Kameradschaftsszene nur in Dreiergruppen den Friedhof betreten. Doch abgehalten hat das niemanden. Auch in diesem Jahr muß an zwei Sonntagen mit Nazi-Heldenfeiern auf dem Soldatenfriedhof gerechnet werden.

Nicole Socha

  • Die Veranstaltung im Uhlehof
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  • Historikerin Susanne Willems
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