Musik aus allertiefster Seele
Giora Feidman und Gitanes Blondes bei den Kreuzgangkonzerten
Prolog: Ich hätte nicht gedacht, das ich mich so schnell selbst zitieren könnte. Sei's drum, auch nach dem Konzert von Giora Feidman und Gitanes Blondes gibt es zwei Gewissheiten. "Die Schubladen der Genres wurden für musikalischen Buchhalter geschaffen. Die Liebe zur Musik kennt nämliche keine Grenzen. Wer die Musik liebt, darf mischen und wer seine Musik liebt, der darf auch mal derbe Scherze machen."
Tja, aber damit beginnen die Schwierigkeiten. Wie soll ich etwas über einen Mann schreiben, über den bereits alles gesagt wurde? Über einen Mann, der in den Geschichtsbüchern der Musik steht. Also gut, erste Aussage: Feidman ist keine Figur der Geschichte, sondern noch verdammt lebendig.
Laut Ankündigung steht an diesem Abend Klezmer auf dem Programm. Es verspricht laut zu werden und schnell, trotzig und lebensfroh. Doch der Start ist besinnlich. Gitanes Blondes sitzt auf der Bühne und wartet auf Feidman. Dann klingt ganz leise und entfernt eine Klarinette aus dem Kreuzgang in den Garten. Das Publikum lauscht gebannt, die Töne kommen näher. Die Klarinette improvisiert über Hava Nagila. Aber die Freude ist eine verhaltene, die Melodie begleitet eine Feier, die in sich versunken ist, die sich selbst sucht in der Tiefe der Musik. Aber das Publikum summt mit, es kennt seinen Feidman und belohnt ihn mit dem Applaus, den er gewohnt ist. Man kennt sich aus vielen gemeinsamen Stunden und weiß, was man aneinander hat. Feidman und sein Publikum in Walkenried, das ist wie ein altes Ehepaar, das immer noch in einander verliebt ist. Man kennt die Gesten des Gegenübers genau und freut sich um so mehr über jede Überraschung, die der Partner trotz der Jahre immer noch bietet.
Giora Feidman versteht es, in Sekundenbruchteilen eine Bindung zum Publikum zu finden, den Dialog zu eröffnen und die Zuhörer zu Mitgestaltern zu machen. Er ist eine Zauberer. Der Aufforderung, mitzusummen oder gar zu singen, kann man sich nicht entziehen.
An diesem Abend ist Feidman zurückhaltend. Doch das zwei Werk gehört eher in die Kategorie downtempo, atmosphärisch dicht und balladenorientiert im Vortrag. Auch Gitanes Blondes halten sich an die Vorgabe, doch das Quartett macht auch deutlich, das es keine Begleitband, sondern ein eigenständiger und eingespielter Klangkörper ist.
Eine Erklärung präsentiert Feidman auch. Der Nahost.Konflikt, das Morden in Israel und in Gaza beschäftigt ihn. Der Mann hat eine Botschaft und die ist ganz einfach: "Alle Menschen sind Bruder". Wenn einige Menschen das Gegenteil beweisen, dann betrübt es den Meister. Als Feidman zur Bassklarinette greift, da hört man diese Traurigkeit. Das sind Töne, die von ganz unten aus der Seel kommen, die seine Seele offenbaren und das sind Töne, denen eine Urkraft innewohnt, die uns alle bewegt. Das Publikum bedankt sich für diese Offenbarung mit ehrfurchtsvollen Schweigen.
Aber es geht auch anders an diesem Abend. Freude an der Musik hat auch etwas mit Tempo zu tun und deswegen gibt das Quartett Gas, als Feidman zurücktritt und die Bühne seinen jüngeren Partner überlässt. Ja, es sind Partner, die dort jammen, die sich gegenseitig Themen vorlegen, Vorlagen aufnehmen, weiterentwickeln, weiterreichen und die Grenze der Genres überwinden. Grandios ist das Zusammenspiel von Mario Korunic an der Geige und Konstantin Ischenko am Akkordeon. Immer wieder verführen sie sich zu himmelhochjauchzenden Soli und es scheint, als müsste Christoph Peters an der Gitarre den Vermittler zwischen den beiden Polen spielen.
Mal jubelt das Streichinstrument treffsicher in den höchsten Tönen und klingt wie ein Vogel, der sich über die Dächer des Klosters erhebt. Dann holt uns das Akkordeon auf die Erde zurück und reist mit uns vom Strand der Wolga an die Seine und vor dort an den Rio de la Plata, alles in einem Stück, fließend und ohne Brüche.
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Giora Feidman bei wikipedia und bei last.fm
Gitanes Blondes bei wikipedia und die eigene Website