Toronto Waterfront Marathon + Half Marathon & 5K
Ein Lauf-, Veranstaltungs- und Reisebericht von einem Teilnehmer am Halbmarathon
Als Jäger und Sammler haben die Menschen ihren Siegeszug auf der Erde begonnen. Die meisten von ihnen haben die Jägerei mittlerweile an den Nagel gehängt, während der Sammeltrieb im Homo sapiens noch flächendeckend vorhanden ist. So werden Briefmarken, Kunstwerke, Topflappen, Überraschungseier, Fossilien, Autos und viele andere Dinge gesammelt. Beim Hänigser Spargelsprinter hat sich nun schon seit geraumer Zeit eine neue Sammelleidenschaft entwickelt: Länder, in denen Laufveranstaltungen durchgeführt werden. Intensiv gesammelt werden natürlich auch Eindrücke, Informationen, Anregungen, Erfahrungen und Emotionen.
Ort für diese Sammelaktion über zwei Wochen war in diesem Jahr Kanada. Laufreiseveranstalter Kreienbaum hatte das richtige Angebot für mich. Die 14-Tage-Laufreise umfasste neben dem Torontoaufenthalt eine Rundreise mit Zwischenstationen in Grananoque, Montreal, Ottawa, Huntsville, Niagara Falls und Kitchener. Dieser Zeitraum umfasste zwei Laufveranstaltungen mit einwöchigem Abstand: Toronto Waterfront Marathon, Half Marathon & 5-Kilometer-Run und Niagara Falls Marathon, Half Marathon, 10-Kilometer & 5-Kilometer-Run. Begleitet wurde die Reise vom Geschäftsinhaber Nils Krekenbaum, dem kanadischen Tour Director Manfred Sohn während „Joe“, der Fahrer chinesischer Herkunft am Steuer des Dreiachsbusses saß.
Nach der Stadtrundfahrt in Toronto bringt Joe die Athleten zur Ausgabe der Startunterlagen zum Direct Energy Centre (Exhibition Place). Auf dem Weg dorthin überholt unser Bus Staffelläufer, die eine Fackel von Kew Gardens 13 Kilometer durch die Stadt bis zur Marathon Expo tragen. Der Initiator dieser Aktion will damit an den 2501. Jahrestag der Schlacht von Marathon und den „Spirit of the Marathon“ erinnern.
Kurz vor dem Ausstellungsgelände passiert die Reisegruppe die „Princes´ Gates“. Dieser Triumpfbogen ähnliche Bau grenzt den Exhibiton Place symbolisch ab. Er wurde 1927 zum 60-jährigen Bestehen der Kanadischen Konföderation errichtet und feierlich von den englischen Prinzen Edward und George eingeweiht.
Die Laufgruppe aus dem fernen Deutschland betritt die Running, Health & Fitness Expo und wird auf einem roten Teppich durch einen Startbogen zu Startertüte und Ausstellung geleitet. Die Startertüte heißt hier Goodies Bag und ist mit zahlreichen Überraschungen gefüllt, darunter sogar ein Paket mit 340 Gramm Nudeln. Zahlreiche Stände bieten Markenartikel zu so günstigen Preisen an, dass nur wenige der Laufreisenden widerstehen können. In der Vortragsecke werden zahlreiche Themen rund um´s Laufen angeboten. Prominentester Gast am Mikrofon ist in diesem Jahr Fauja Singh. „The Globe and Mail“ von Toronto titulierte ihn am Vortag als „Turbaned Tornado“. Fauja hat im April seinen 100. Geburtstag gefeiert und wird am Sonntag an den Marathonstart gehen.
Wie auf jeder anderen Laufmesse präsentieren auch hier Veranstalter ihren Lauf. Einen hohen Stellenwert bei der Werbung um das Interesse hat anscheinend die zu erwartende Medaille. Sie wird zentral auf dem Tisch präsentiert (für die verschiedenen Distanzen), und ist verarbeitungstechnisch von bester Qualität.
Am Veranstaltungstag führt Nils die Athleten mit seiner obligatorischen Beachflag zum Start in die University Avenue. Da die Entfernung vom Hotel aus weniger als 1,5 Kilometer beträgt, ist die „Anreise“ völlig irritationsfrei. Etwas spannender wird dann schon die Kleiderbeutelabgabe und der Zugang zum richtigen Starterfeld (hier „Coral“ genannt). Die University Ave. hat in jeder Fahrtrichtung vier Fahrstreifen, in der Mitte durch einen Grünstreifen getrennt. Marathon- und Halbmarathonläufer starten zusammen. Die Eliteläufer (an der Startlinie) und die erste Hälfte der Teilnehmer stehen in Richtung Süden, die zweite Hälfte in Richtung Norden. Sobald die letzten Läufer der ersten Gruppe sich in Gang setzen, schließen sich die Teilnehmer aus der zweiten nach einem U-Turn an und kommen auch irgendwann an den Start. Diesen Sachverhalt sollte man kennen, wenn man seinen Coral mit dem entsprechenden Farbcode sucht, aber auf der falschen Seite steht. Die Absperrungen sind ca. 1,80 Meter hoch und kaum zu überklettern.
Die Startzeit 09:00 Uhr rückt näher und aus vielen Lautsprechern klingt der Gesang der Nationalhymne „O Canada! Our home and native land!“. Nur wenige Sportler singen mit und nicht alle nehmen das Procedere bewusst wahr. Für mich ist jedoch die Nationalhymne vor dem Start eine Sache, die unter die Haut geht. Gleich darauf findet der Start des Scotiabank Toronto Waterfront Marathon & Half-Marathon statt. Genauer gesagt: Start für die Athleten hinter der Startlinie. Mein Transponder wird noch 12 Minuten warten müssen, bis er die Startmeldung übertragen kann.
Schon bald haben die Ausdauersportler zu ihrer Linken den Financial District erreicht. Hier befinden sich die höchsten Wolkenkratzer Torontos und damit auch der am dichtesten besiedelte Bereich der Stadt. Etliche Hochhäuser dieses Zentrums sind am Tunnelsystem „PATH“ angeschlossen. Vor zwei Tagen hatten die Laufreiseteilnehmer Gelegenheit, sich diese „Untertage-Stadt“ anzusehen. Nicht die ganze Anlage. Nur einen kleinen Teil des 28 Kilometer langen „Underground Walkway“. An die 50 Gebäude/Bürotürme, sechs große Hotels, 20 Parkgaragen, 5 U-Bahn-Stationen, 1200 Geschäfte und eine Railway Station sind unterirdisch miteinander verbunden. Damit Besucher von hier aus ebenso geschützt vor Nässe und Kälte zum CN-Tower gelangen können, steht ein Skywalk zur Verfügung. Auch Montreal verfügt über ein ähnliches Tunnelsystem (RÉSO) mit verschiedenen Ebenen, das sich sogar über eine Gesamtlänge von 32 Kilometer erstreckt.
In Abständen von 2,5 Kilometern sind an der Strecke Getränkestellen aufgebaut. Es gibt Wasser und Getorade. Bei keiner anderen Veranstaltung habe ich so eine Begeisterung von Jugendlichen gesehen, die ihre „Ware“ lauthals anpreisen. Die Zuschauerzahlen halten sich, abgesehen von einigen Brennpunkten, eher in Grenzen.
Von der Parliament Street biegen die Athleten rechts auf den Lakeshore Boulevard ab, der ein paar hundert Meter überdacht ist. Das „Dach“ ist der Gardiner Expressway, die Stadtautobahn von Toronto. Auf dem Lakeshore Blvd. führt nun die Strecke bis zur Wendemarke in mal mehr, mal weniger Entfernung am Ontariosee entlang. Seen haben hier andere Dimensionen als in Deutschland: Die Oberfläche dieses Gewässers ist 653 mal, das Volumen 39.000 mal größer als das Steinhuder Meer (bei Hannover).
Vor mir sehe ich einen Pacemaker. Ich bin total überrascht. Er geht!! Seine Gefolgschaft hinter ihm auch! What´s wrong with the Pace Bunny? Ist ihm etwa die Luft ausgegangen? Schuh verloren? - Keine Spur. Es ist nur ein besonderer Service des Veranstalters. Er hat 27 Pace Bunnies angagiert, 16 laufen kontinuierlich, 11 wechseln zwischen laufen und gehen.
Pace Bunny ist die hier übliche Bezeichnung für Tempomacher, Pacemaker oder Hase. Pace Bunnies haben Hasenohren an der Mütze mit darauf geschriebenen Zielzeiten. Manchmal zeigt auch ein größeres Schild die Zeit an.
Auf der rechten Seite der Laufstrecke thront der 553 Meter hohe CN-Tower über Toronto. Er ist das Wahrzeichen der Stadt und war bis 2009 der höchste Fernsehturm der Welt (überholt vom Tokio Sky Tree, Japan und dem Guangzhau TV-Tower, China) und bis 2007 das höchste freistehende Bauwerk (überholt vom Burj Khalifa, Dubai) der Erde.
Ebenso in 200 Meter Entfernung vom Parcours grüßt ein weiterer Superlativ die Ausdauerathleten: Das Rogers Centre. Es bietet je nach Sportart bis zu 70.000 Zuschauern Platz und das komplett einfahrbare Dach war das erste seiner Art.
Die Strecke ist nun weniger spektakulär. Am Straßenrand des Lakeshore Blvd. erblicke ich ein ungewöhnliches Verkehrszeichen: Mutter Gans mit einem Küken. Autofahrer werden in diesem von Parklandschaft dominierten Gelände zur Rücksicht aufgefordert. Bei der defensiven Fahrweise der Kanadier haben die gefiederten Fußgänger sicher eine gute Chance den Ontario See zu erreichen.
Nach der Wendemarke stellen sich bei mir unerwartet die ersten Schwächeanzeichen ein. Ein paar Kilometer weiter habe ich das Gefühl, dass „Fauja“ (ja - richtig, genau der) mir im Nacken sitzt. Später befürchte ich sogar, dass er Überholversuche anstellt. Wie dem auch sei. Man kann nicht immer gleich fit sein und ich erreiche nach 21 Kilometern mein Ziel in der großartigen Kulisse der Bay Street in Sichtweite der Old City Hall.
Der Toronto Waterfront Halbmarathon ist eine gut organisierte Veranstaltung (mit Ausnahme der Kleiderbeutel-Rückgabe). Downtown Toronto bildet eine attraktive Kulisse mit herbstlicher Stimmung. Ab der Kreuzung Lake Shore Blvd. mit dem Gardiner Expressway dominieren Grünanlagen auf der Seeseite bis zum Wendepunkt. Zuschauer waren hier eher selten anzutreffen. In Kanada scheint man es mit der Unterscheidung zwischen Laufen und Gehen nicht so genau zu nehmen. Schon nach 1 bis 2 Kilometern hatten die ersten Teilnehmer zum Gehen gewechselt. Beim Pacer Programm waren 11 Pace Bunnies für die Run/Walk Kombination vorgesehen.
Fauja Singh für den Waterfront Marathon zu verpflichten, war eine clevere Publicity-Kampagne. Aus sportlicher Sicht kann man da geteilter Meinung sein. Fauja ist die ganze 42-Kilometer-Strecke gegangen. Die offizielle Zielschlusszeit für den Marathon lag bei sechs Stunden. Der „100-Jährige“ benötigte 08:11:06 h und hätte damit eigentlich nicht mehr gewertet werden können. Eine Geburtsurkunde konnte Herr Singh, im fernen Orient gebürtig, nicht erbringen. Ungeachtet dessen ist es für einen augenscheinlich sehr alten Mann eine hervorragende Leistung, sich über 42 Kilometer fortzubewegen.