Laufreise in den Fernen Osten mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland in die Mongolei - 2
Teil 2 von 3
Eisenbahnen faszinieren mich seit jeher. In den ersten beiden Grundschuljahren musste ich jeden Schultag die Gleise der Harzer Schmalspurbahn in Wernigerode überqueren. Jahre später habe ich im Winter den ersten Vorstoß mit der Bahn in Richtung Osten bis Moskau in die damalige Sowjetunion unternommen. Und nun – im Sommer 2017 – die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn von Omsk bis Irkutsk, danach bis Ulan Bator. Auf einem Teilstück also, der fast 10.000 km langen Strecke Moskau/Wladiwostock.
Die Transsib wurde 1916 nach 25 Jahren Bauzeit fertig gestellt. Zeitweise waren bis zu 90.000 Arbeiter gleichzeitig an der Trasse beschäftigt. Der Zar wollte möglichst schnell Sibirien erschließen und einen Handelsweg für China zur Verfügung haben. Auf diesem alten Schienenweg will nun, rund 100 Jahre später, ein verwegener Haufen Sportler den Fernen Osten erobern. In friedlicher Absicht und mit Laufschuhen. Um 20:00 h (Ortszeit Omsk) betreten die Nemetskiy aus Germaniya das ansprechende Bahnhofsgebäude und begeben sich rasch zum wartenden Zug, der um 18:15 h pünktlich abfährt. Für einen Russkiye ist das nun kein Grund zur Aufregung, denn der weiß, dass von nun an die Moskauer Zeit gilt. Am, im und um den Zug herum. Moskauzeit = Ortszeit + 2 h (jedenfalls im Moment). Vorortzüge verwenden jedoch teilweise die Ortszeit. Die Moskauzeit entspricht aber auch GMT + 3 h bzw. MEZ + 2 h. Die Zeitbestimmung und Formelumstellung sorgt noch lange Zeit für Diskussionsstoff in der Gruppe, denn sie ist überlebenswichtig, wenn man beim Zwischenhalt den Zug verlässt. Zum Beinevertreten, Einkaufen, Fotografieren oder so. Der Grund für die Einführung der Moskauer Zeit für die Transsib ist die Strecke von knapp 10.000 km, die durch acht Zeitzonen führt.
Im ersten Moment können wir - das sind vier Personen mit Koffern und Taschen – uns kaum im Abteil bewegen und mir fällt das Bild von den Ölsardinen in der Dose ein. Der Gang muss aber erst einmal freigemacht werden, damit andere Fahrgäste zu ihrem Platz durchkommen. Die Situation entspannt sich rasch, als die Gepäckstücke verstaut sind. In jedem Wagen gibt es eine Schaffnerin, die in einem Abteil wohnt, dort Kleinigkeiten verkauft und in ihrem Königreich ein strenges Regiment führt - aber kein Wort Englisch spricht oder versteht. Gegenüber ihrer „Wohnung“ befindet sich, wie in jedem Waggon, ein Heißwasserbehälter. Eine superpraktisches Gerät für Heißgetränke und Suppen aus der Tüte. Wand an Wand zur Herrscherin über alle Abteile ist der Waschraum mit WC installiert. Empfindsame Gemüter sollten beim Betreten ganz tapfer sein und Erwartungen notfalls korrigieren. Millionen anderer Reisende sind mit dem Linienzug der Transsib auch schon zurechtgekommen. Und – für uns handelt es sich ja um eine Erlebnisreise in den Fernen Osten. Da gehört Authentizität einfach dazu.
An den kleineren Bahnhöfen hält der Zug Nr. 362 nur 1 Minute, etwa alle 400 Kilometer für 15 bis 45 Minuten. Dann erreicht die Lok nämlich die Bahndistriktgrenze und muss gewechselt werden. Reisende haben die Möglichkeit sich in frischer Luft zu bewegen, bei fliegenden Händlerinnen auf dem Bahnsteig einzukaufen oder das Leben an der Bahn zu fotografieren. Manchmal sind auch die Bahnsteige zu kurz für die Transsib, der Reisende muss vom Trittbrett auf den Schotter springen und auf diesem steinigen Weg zum Bahnsteig gehen. Mit Bahnverkehr auf dem anderen Gleis ist zu rechnen.
Vierzig Stunden für die erste Bahnetappe bis Irkutsk hören sich viel an, vergehen aber recht schnell. In einer großen Gruppe findet man immer einen Gesprächspartner. Oder - völlig überraschend zaubert schon mal der Bettnachbar aus dem Abteil eine Flasche Wein aus dem Reisegepäck.
Der Zug hat 15 Wagen der 2. Klasse. In jedem Wagen befinden sich 9 Abteile mit je 4 Betten. Das macht bei der guten Auslastung fast 500 Fahrgäste, Gespräche mit Einheimischen kommen leider nicht zustande. Man spricht nur russisch, bleibt unter sich und nutzt kaum den Speisewagen. Die Sportler aus Germaniya sind für die Mahlzeiten angemeldet und wollen so schnell wie möglich russische Kost kennenlernen. Hellhörig war ich schon im Voraus durch einen Bericht im Internet geworden. Der Schreiber ging zum Mittagessen in den Speisewagen. Essen gab´s aber nicht, weil der Koch betrunken war und seinen Rausch im öffentlichen Teil der Lokalität ausschlief. Über ausgefallenes oder schlechtes Essen konnten wir uns jedoch nicht beklagen. Es war minimal, aber OK. Nur das Personal nicht, das ein provozierendes Desinteresse zur Schau stellte. Höhepunkt der Lustlosigkeit zeigte sich beim Frühstück. An unserem Tisch wurde pro Gast ein Teller mit einem gerollten Pfannkuchen, Marmelade und einer leicht gebogenen Wurstschnitte gestellt. Fertig. Warten auf ein Besteck blieb erfolglos. Der Kellner wurde darauf in Wort- und Zeichensprache angesprochen. Der drehte sich nach einiger Zeit ohne jede Gemütsbewegung um und ging weg. Kam aber tatsächlich wieder und legte wortlos Messer und Gabeln auf den Tisch. Sicher waren diese unerhörten Forderungen des Klassenfeindes aus dem fernen Westen noch tagelang das Gesprächsthema in der Küchenbrigade.
Irkutsk ist eine schöne Stadt. Hier wird die Gruppe von Reiseleiterin Natascha in Empfang genommen. Sie ist keine Sportlerin, kümmert sich kompetent, freundlich und emotional in den nächsten Tagen um Nils, seine Athleten und trauert im Allgemeinen der alten Sowjetunion nach. Sie zeigt die Stadt, erklärt viel, bringt die Läufer zum Schamanen und auf die Insel Olchon. Auf dieser Insel ohne feste Straßen im Baikalsee bleiben die Abenteurer zwei Tage. Mit russischen Geländefahrzeugen vom Typ „UAZ 452“ und Fahrer erkunden sie die Insel von einer Seite bis zur anderen (Luftlinie 70 km). Sie unternehmen zwischendurch eine Wanderung und besichtigen den Schamanenfelsen am Kap Burchan. Hier befindet sich die heilige Stätte der Buriaten, die auch als sakrales Zentrum der Schamanenwelt gilt.
Zeit für zwei Inselläufe bleibt gerade noch. Der weitab schönste Lauf aber war für mich in Irkutsk, kurz nach Sonnenaufgang am Ufer der Angara entlang, bevor die Stadt zum Leben erwachte.
Die Reise geht weiter und unser Busfahrer bringt uns zum Bahnhof Irkutsk. Die Zeit ist knapp kalkuliert, wir erreichen den Zug auf den letzten Drücker und ab geht die Fahrt über 1.113 Kilometer. Wir werden eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht unterwegs sein. Unser Schienenfahrzeug ist jetzt nur noch halb so lang, ohne Speisewagen, hält jeden Bahnhof an und ruckelt langsam in Richtung Ulan Bator. Nicht auf dem kürzesten Weg, sondern um den südlichen Baikalsee herum, dann Richtung Osten bis Ulan-Ude – und sind nun schon ein bisschen in der Mongolei. Genauer gesagt: Wir befinden uns in der autonomen sowjetischen Republik Burjatien (1 Mio. Einw.), der Heimat mongolischer Stämme. Das ist in etwa das Gleiche wie die Innere Mongolei (25 Mio. Einw.), die auch ein autonomes Gebiet für Mongolen ist, aber zur Republik China gehört. Unser Ziel ist aber die Mongolei (3 Mio. Einw.). Amtlich: Mongolischer Staat. Wir sind im Moment noch in Russland und unser Bummelzug setzt sich in Ulan Ude in Richtung Süden nach Ulan Bator in Bewegung. Der Begriff Äußere Mongolei wird manchmal für den Mongolischen Staat benutzt.
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Hallo Frank, warst du schon da? LG, R