Karibik-Laufkreuzfahrt
Kreuzfahrten gibt es schon seit über 100 Jahren. Von Anfang an und über viele Jahrzehnte war es das Freizeitvergnügen weniger und gutbetuchter Gäste. Stil und Etikette spielten eine wesentliche Rolle. Gesellschaftliche Umgangsformen prägten über lange Zeit das Erscheinungsbild dieser Art, den Urlaub zu verbringen. Fast jeder Fernsehzuschauer kennt die Bilder vom Captain´s-Dinner mit fester Tischordnung und festlich gekleideten Menschen auf hoher See. Ende der 1970er Jahre wurde bei den Amerikanern ein Kreuzfahrtmodell immer beliebter, bei dem Vorschriften reduziert wurden und Unterhaltung, Spaß, Sport und Animation in den Vordergrund traten. „Fun Cruising“ ist ein Stichwort aus dieser Zeit. Der Umsatz stieg und so war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Idee in Deutschland aufgegriffen wurde. Mit Aida-Kreuzfahrtschiffen hatte man Ende der 1990er Jahre begonnen, den Cluburlaub von Land auf das Schiff zu übertragen. Das Geschäft war ein Erfolg und heute ist „Aida Cruises“ (hervorgegangen aus der Deutschen Seereederei in Rostock) der führende Anbieter von Kreuzfahrten in Deutschland. Trotz Rezession nahm 2009 der Kreuzfahrtmarkt um 13 Prozent zu.
Neben der „klassischen Kreuzfahrt“ hat sich also erfolgreich etwas „Neues“ etabliert. Im Wesentlichen sind die Zuwachsraten der letzten Jahre auf diese „Vergnügungsschiffe“ zurückzuführen. Auf einen allgemeingebräuchlichen Namen hat man sich noch nicht geeinigt. Die Norwegian Cruise Line (NCL) spricht von „Freestyle Cruising“. Das trifft den Kern recht gut, jedoch hat die NCL das Warenzeichen darauf eintragen lassen. Vielleicht entspricht „Fun Cruising“ dem Geschmack der Zeit, ist ja englisch und kurz - eben was für die Fun-Gesellschaft.
Voraussetzung für Fun Cruising sind große Schiffe mit vielen Passagieren darauf. In der Kombination mit der Norwegian Epic führte Nils Krekenbaum seine Laufathletik® - Karibikmeisterschaft durch. Es ist ein riesiges und sehr schönes Schiff: 330 Meter lang, 40 Meter breit, 18 Decks, 20 Restaurants und Bars, mit mehr als 16 Fahrstühlen und einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 153000 für 4200 Passagiere und 1700 Angestellte. Das Raumverhältnis ist für Fun Cruising mit 36 BRZ/Passagier nicht schlecht. Zum Vergleich: Queen Mary II: 57 BRZ/Passagier.
Die Norwegian Epic zählt mit zu den größten Kreuzfahrtschiffen und immer werden noch größere Einheiten gebaut. Beim weltgrößten Fun Cruiser „Oasis of the Sees“ ist man bei einer BRZ von 225 000 bei 5 400 Passagieren/2 200 Mann Besatzung angelangt.
Bei so großen Schiffen und der Beliebtheit des Laufsports ist es nahe liegend, dem Ausdauersportler eine Betätigungsmöglichkeit zu geben. Tatsächlich verfügen fast alle, in den letzten Jahren gebauten Kreuzfahrtschiffe über eine Laufstrecke. Bei der EPIC handelt es sich um eine Pendelstrecke mit enger Kurve (hin und zurück 434 m). Sie kann ganztägig genutzt werden und ist nur für Sporttreibende geöffnet. Einige Schiffe verfügen auch über einen Rundkurs im öffentlichen Bereich, der aber nur zu bestimmten Zeiten freigegeben wird. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis Laufreiseveranstalter ein neues Produkt in ihrem Programm aufgenommen hatten: Die Laufkreuzfahrt. In den angelaufenen Häfen gehen die Athleten am frühen Vormittag in Sportkleidung von Bord. Der Reiseveranstalter ist bei allen Etappen dabei und fungiert auch als „Laufveranstalter“. Er vermisst und kennzeichnet die Strecke, markiert bei einer Pendelstrecke die Wendemarke oder kümmert sich um den Kleidungstransport, wenn Start und Ziel nicht zusammenfallen, sorgt für Getränke im Ziel und nimmt die Zeit.
Bevor nun aber die Athleten an den Start gehen können, müssen diese erst einmal nach Miami kommen. Das bedeutet für den Berichterstatter und seine Frau einen 10,5-Stunden-Flug von Düsseldorf in das südliche Florida. Brutto kommen da von Haustür bis Hoteltür über 20 Stunden zusammen.
Die 1. Etappe führt die Athleten fünf Kilometer über den Boardwalk in Miami (25.814901,-80.1214899). Dabei handelt es sich um eine Uferpromenade aus Holzbrettern zwischen Hotelgärten und dem Strand. Am frühen Vormittag herrschen bei wolkenfreiem Himmel noch angenehme Temperaturen. Die Kulisse aus Meer und Palmen ist exotisch und Verlaufen ist auf dem drei Meter breiten Lattenweg mit Geländer eigentlich nicht möglich. Jens (die rechte Hand von Geschäftsinhaber Nils) hatte beide Wendemarken mit rotem Klebeband markiert. Aus Rücksichtnahme waren Farbspraydosen nur für Straßenasphalt vorgesehen. Später stellte sich dennoch heraus, dass einige Teilnehmer zu weit gelaufen waren. Irgendein Halunke hatte bei der zweiten Wendemarke den Richtungspfeil um 180 Grad gedreht. Abgesehen von dieser kleinen Panne, lässt es sich auf dem Boardwalk in Miami auch in Gruppen gut laufen.
Die Norwegian Epic bietet auf Deck 7 eine Laufbahn von 220 Metern. Seitlich ist das Areal offen, darüber befindet sich Deck 8 (also kein freier Himmel). Auf dem Weg nach Mexiko findet dort die 2. Etappe über sechs Kilometer statt. Das bedeutet, dass auf der Pendelstrecke mit den erweiterten Wendeköpfen 14 Runden gelaufen werden. Für die meisten Sportler ist das nun sicher der ungewöhnlichste Ort ihrer Laufkarriere: Laufend auf einer schwimmenden Kleinstadt, über den bis zu 5200 Meter tiefen Golf von Mexiko, während zur Linken die Bergkette Kubas vorbeizieht.
Treffpunkt für die 3. Etappe ist der Pier im Puerto Costa Maya/Yukatan/Mexiko (18.732916,-87.69212). Es ist warm hier. Die Athleten sind in den Tropen angekommen. Unter wolkenverhangenem Himmel marschiert die Laufreisegruppe zum ein Kilometer entfernten Start an der Kreuzung mit dem Tequila-Museum. Langsam verschwinden die Regenwolken. Aber erst einmal ist die Geduld der Athleten gefragt. Jens (beachtliche 02:31h, Marathon Berlin 2010) ist von der Streckenvermessung noch nicht zurück und der Himmel ist nun wolkenfrei. Die Temperatur steigt und die Luft ist schwül. Jens erscheint endlich, berichtet von einem tropischen Regenguss und die Sportler stöhnen auf. Die an sich schon hohe Luftfeuchtigkeit wird sich nun durch das verdunstende Regenwasser noch weiter steigern. Nils zögert nicht lange und schickt die Ausdauersportler mit „Costa Maya - GO!“ in den Kampf gegen Sonne, Tropenluft und 10 Kilometer. Zur weiteren Ertüchtigung wartet nach dem Mittagessen noch ein Ausflug nach Chacchoben auf den Hänigser Spargelsprinter. Chacchoben ist eine ehemals vom Urwald überwucherte Pyramiden-Ausgrabungsstätte aus dem achten Jahrhundert.
Der Megaliner verlässt Mexiko, fährt nach Süden, vorbei Belize, Guatemala und macht am Pier der Insel Roatan/Honduras fest. Hier startet die 4. Etappe, der für mich schönste Lauf der Reise. Schon gleich nach dem Startsignal „Roatan - GO!“ (16.314873,-86.546227) befinden sich die Ausdauersportler in einer nicht vom Tourismus geprägten Gegend. Die Laufstrecke führt ein paar Kilometer am Meer entlang und biegt dann in den dicht bewachsenen Urwald ab. Auf Serpentinen quälen sich die Teilnehmer bei gnadenloser Sonne, wenig Schatten und Tropenluft den Berg hoch um dann den Strand auf der anderen Seite zu erreichen. Ziel ist die Baptistenkirche West End (16.30523,-86.59368) in dem kleinen Ort. Nach einer Atempause unter Palmen verteilt sich die „Laufgruppe Nils“ für den Nachmittag zum Schwimmen, Schnorcheln, Tauchen, Strandliegen, zur Ortserkundung oder Massage am Strand.
Wie in den Vortagen fährt die Norwegian Epic über Nacht und legt diesmal am nächsten Morgen am Pier San Miguel von Cozumel/Mexiko an. Transportfahrzeuge bringen die Teilnehmer der 5. Etappe zum 10 Kilometer entfernten Start (20.460469,-86.887608). Mit dem gewohnten Startruf „Cozumel - GO!“ setzt sich der Lauftrupp in Bewegung. Schon vorher hat es leicht geregnet und auf halber Strecke geht ein kurzer Regenguss auf Urwald und Athleten nieder. Der Berichterstatter schafft es gerade noch, seine Kamera in einen Frühstücksbeutel zu stecken, um sie vor dem Absaufen zu bewahren. Besonders attraktiv ist das Ziel auf dieser Strecke: Die Maya-Ruinen von San Gervasio. Nach dem Wettbewerb haben die Teilnehmer die Möglichkeit das weitläufige Siedlungsareal der Mayas, heute Freiluftmuseum (20.494723,-86.846066), zu erkunden.
Abgerundet wurde der sportliche Teil der Reise mit der 6. Etappe auf dem Schiff: Ein Staffellauf, der mit viel Freude und Einsatz angenommen wurde.
Begonnen hatte die Kreuzfahrt im Hafen von Miami. Die Gäste betreten dort zu Beginn (wie zum Ende) Ihrer Reise Terminal A oder B. Wie der Begriff schon andeutet, erinnert das Procedere mit Sicherheitseinrichtungen, Pass- und Zollabfertigung, Fotografiertwerden, Fragebogen nach dem Gesundheitszustand und den „Flugsteigen“ an einen Flughafen. Hinzugekommen ist nur die Händedesinfektion beim Betreten des Transportmittels.
Das Schiff beeindruckt mich durch seine Ausmaße und geschmackvolle Ausstattung. Eine Orientierung ist im Labyrinth der Gänge für 4200 Gäste und zu den zahlreichen Einrichtungen durch die vielen Informationstafeln leicht möglich. Das Essen ist eine Lightversion von All-inclusiv: Essen, soviel man mag, dazu Säfte, Wasser und Kaffee. Für ganz Hungrige hat das O´Sheehan´s rund um die Uhr geöffnet. Den Gästen stehen ein Selbstbedienungsrestaurant und zahlreiche A-la-carte-Restaurants (mit und ohne Zuzahlung) zur Verfügung. Auch hier wird der Besucher an jedem Eingang zur Desinfektion der Hände gebeten. Man geht sogar soweit, dass der Gast im Selbstbedienungsrestaurant jede Tasse nur einmal am Kaffeeautomat benutzen soll (da kommen bei mir zum Frühstück schnell mal 4 Tassen oder mehr zusammen). Ist ungewöhnlich, hängt aber mit dem möglichen Problem durch Infektionskrankheiten auf Kreuzfahrtschiffen (u.a. Norovirus) zusammen.
Für den sportorientierten Teilnehmer steht neben Laufbahn, Kletterwand, Ballspielplatz ein riesiges Fitnesscenter zur Verfügung. Das ist aber nicht besonders besucht. Der typische Teilnehmer an einer Freestyle-Kreuzfahrt ist da mehr an Fun-Sportarten, wie z. B. Essen, Trinken, Shoppen, Wellness und Beauty interessiert. Und da ist das Angebot überraschend und umfangreich: Bilderversteigerung, Spielcasino, Automatenspiele und Bingo - Brillianten, Goldschmuck und Uhren im Einkaufszentrum - Goldketten vom laufenden Meter (ab 1 $/inch) und Restposten auf Grabbeltischen. Fast überall gibt´s Prozente und manche Artikel sind nur an einem Tag oder sogar nur für Stunden zu einem bestimmten Preis zu haben. Die Betreiber der Großschiffe kennen ihre Pappenheimer und verdienen an diesen „Onboard-Revenues“ (so heißen die Erträge aus diesem Geschäft) prächtig. Mir gefällt diese Spielhallen-, Freizeitpark- und Verkaufsveranstaltungs-Atmosphäre zwar nicht, freue mich aber darüber, dass diese Kundschaft meine Kreuzfahrt sicher mitfinanziert.
Die Organisation für die Funktion dieser Kleinstadt auf dem Meer war hervorragend. Wobei die Leistung noch höher zu bewerten ist, wenn man berücksichtigt, dass diese bunt zusammen gewürfelten 1600 Mitarbeiter erst seit einigen Monaten zusammenwirken. Erfreulich finde ich auch kleine organisatorische Nebensächlichkeiten, wie z.B. die Informationen über Zeitzonenwechsel, wobei eine Karte „Time Change Notice“ am Abend auf das Bett gelegt wird.
Die Teilnahme an den Sportveranstaltungen in exotischer Umgebung mit Nils Krekenbaum und seinem schnellen Assistenten Jens Hollmann, mit Ingelana Heuck, der bezaubernden Topathletin (HM: 01:14,54 h), mit Armin Schirmaier, dem Herausgeber der Zeitschrift Running, mit Jochen Schmitz, dem Chefredakteur von Running, mit Michael Schardt, dem Reporter von Laufreport sowie mit Rolf Bohrer, dem Sieger der Gesamtwertung (m) und mit allen anderen Athletinnen und Athleten auf der 2980 Kilometer langen Seereise waren für mich ein Highlight dieses Läuferjahres. RL