3. Internationaler Patagonien Marathon im Torres del Paine Nationalpark Chile
Ein Lauf-, Reise-, Veranstaltungs- und Hintergrundbericht von einem Teilnehmer am Halbmarathon ● Teil 1 von 2 ●
Vor ein paar Jahren war es noch so, dass bei einer Fernreise das größte Abenteuer das unbekannte Land an sich war. Heutzutage hat es sich dahin entwickelt, dass schon literweise Adrenalin verbraucht ist, bevor der Interkontinentalflieger überhaupt erreicht ist. Entweder liegt ein Pilotenstreik in der Luft, murrt das Kabinenpersonal, drohen die Sicherheitsleute mit Dienst nach Vorschrift oder bei der Bundesbahn stehen alle Räder still. Und wenn dann eine Einigung in den Medien verbreitet wird, ist auf Anfrage bei der betreffenden Stelle keine eindeutige Antwort zu erhalten. Eindeutig ist allerdings eine Passage in der Reisebestätigung, die besagt: „Die Möglichkeit, ein anderes Flugzeug zu nehmen, besteht nicht“.
Aber irgendwie klappt es dann doch immer wieder und ich sitze entspannt auf meinem Platz im Dreamliner Boing 787 auf dem Weg nach Santiago de Chile. In Patagonien wird die Reisegruppe an der internationalen Laufveranstaltung im Torres del Paine Nationalpark teilnehmen. Verpackt ist das Läuferhighlight in einer Rundreise von Sportreiseveranstalter Nils Krekenbaum. Die Flugstrecke verläuft von Frankfurt mit Zwischenlandung in Madrid bis nach Santiago de Chile. Nach Sightseeing und Trainingsläufen geht´s mit dem Flieger nach Punta Arenas/Chile. Dort bilden Naturerkundungen das Rahmenprogramm für den Patagonian Marathon. Der Grenzübertritt nach Argentinien erfolgt auf dem Landweg im Reisebus, der die Athleten bis Ushuaia bringt. Dort werden die Laufsportler am The End of the World Fireland Marathon um Lorbeeren kämpfen und im Anschluss nach Buenos Aires/Argentinien fliegen, um von dort aus den Heimweg über Sao Paulo/Brasilien anzutreten.
Auf der ersten Etappe bis Santiago de Chile ist erst einmal Ausdauer angesagt. Für Ausdauer-Athleten im Prinzip kein Problem, nur die Disziplin ist ungewohnt: Sitzen - auf der engen Bestuhlung eines Fliegers. 15 ½ Stunden mit einer kurzen Zwischenlandung noch in Europa sind eine echte Herausforderung für jeden Laufmenschen. Direktflüge von Frankfurt nach Santiago gibt es nicht, obwohl die beiden Langstreckenversionen Boeing 787-8 und -9 eine Reichweite bis 15.200/15.800 Kilometer haben. Einen Distanzrekord ohne Zwischenstopp hat eine Boing 787 im Jahr 2011 mit unglaublichen 19.835 Kilometern aufgestellt.
Es ist nicht nur A Long Way to Tipperary, um an´s Ziel der Wünsche zu kommen, sondern ebenso nach Santiago de Chile. Besonders, wenn man Probleme hat, in Flugzeugen zu schlafen. Also bleibt genug Zeit, sich noch einmal ein wenig mental mit dem Abenteuer Patagonien zu beschäftigen. Patagonien – das wissen die meisten Reisenden in diese Region – ist der Südteil von Chile und Argentinien. Warum aber gibt es eine gemeinsame Bezeichnung für die unteren Hälften von zwei verschiedenen Ländern? Der Name geht auf den Entdecker Ferdinand Magellan zurück. Wahrscheinlich bezeichnete er die Indianer wegen ihrer überdurchschnittlichen Körpergröße als Patagones. Auf einer französischen Landkarte (Wikipedia) aus dem Jahr 1862 ist etwa ab dem 40. Breitengrad bis zur Magellanstraße hinunter und vom Pazifik bis zum Atlantik das Land Patagonien eingezeichnet. Darüber liegen Chile und Argentinien. Bereits 1555 wurde der spanische Anspruch auf Patagonien und Feuerland deutlich gemacht und als Nueva Extremadura an Jerónimo de Alderete verliehen. Daraus entstand dann das Land Patagonien, um das sich später die Länder Chile und Argentinien stritten und am Ende einverleibten.
Unerwartet ruhig ist die Atlantiküberquerung inklusive der Äquatorüberquerung. Die Triebwerke verrichten Stunde für Stunde kaum hörbar ihren Dienst. Flugzeughersteller Boing ist absolut von der Zuverlässigkeit seiner Triebwerke überzeugt, denn die Maschine hat nur zwei davon. Um mich zu beruhigen, nehme ich mal an, dass die 787 im Notfall ein paar tausend Kilometer über Wasser bis zum nächsten Flughafen mit einem Triebwerk fliegen kann.
Am frühen Vormittag erreichen die Athleten wohlbehalten ihr Hotel in Santiago de Chile. Sie werden von ihrem örtlichen Reiseleiter in Empfang genommen, der sie zwei Tage mit den Sehenswürdigkeiten und dem Wissenswerten vertraut macht. Selbstverständlich gehören auch zwei Morgenläufe zum Programm der Krekenbaum-Laufreisegruppe.
Durch dieses Informations- und Bewegungsprogramm gut aufgelockert besteigen die Sportler und Begleiter auf dem nationalen Flughafen von Santiago eine Maschine, die sie nach Punta Arenas bringt. Nach 3 1/2 Stunden Flug Richtung Süden landen die Abenteuerläufer direkt an der Magellanstraße. Auf der anderen Seite dieses natürlichen Kanals, der Atlantik und Pazifik verbindet, beginnt Feuerland. Das klingt nun nicht schon fast wie Abenteuerland, sondern zog auch schon immer Abenteurer und schillernde Figuren, wie z. B. Julio Popper (* 1857) oder Orélie Antoine de Tounens (* 1825) an.
Hinter der Gepäckausgabe werden die Läuferinnen und Läufer von einer jungen, unkonventionellen, stets fröhlichen Reiseleiterin empfangen. Auf dem 250 Kilometer langen Weg bis Puerto Natales erfährt die Reisegruppe eine Menge über Menschen und Natur Südpatagoniens. Zwischendurch lässt sich der Busfahrer trotz unbefestigter Straße zum Wettrennen mit einem Nandu ein. Diese kraftvollen Laufvögel können bei Flucht eine Geschwindigkeit bis 50 km/h erreichen und schnell mit Hilfe ihrer Flügel die Richtung wechseln. Dem in ganz Patagonien vertretenen Puma steht nicht so sehr der Sinn nach Geflügelfleisch, seine bevorzugte Beute sind die häufig anzutreffenden Guanakos. Aus dieser nur in Südamerika heimischen Kamelart ist schon vor mehr als tausend Jahren das Haustier Lama gezüchtet worden. Guanakos sind friedliche Tiere und Spucken in Richtung Menschen kommt selten vor. Diese Meinungsäußerung kann innerhalb einer Tiergruppe eingesetzt werden, wenn Irritationen in der Hierarchie auftreten oder ein trächtiges Weibchen von einem Männchen bedrängt wird.
Nach einer Zwischenübernachtung in Puerto Natales bringt der Reisebus die Langstreckenläufer zum Torres del Paine Nationalpark, dem Hotspot der Patagonienreise. Drei Tage wird die Laufgruppe in Chiles bekanntestem Nationalpark verbringen und im Hotel Rio Serrano wohnen. Das Wahrzeichen des Parks, die Torres del Paine sind drei nadelartige Granitberge, von denen der höchste 2850 Meter erreicht. Fast alle Bergkuppen sind mit Schnee bedeckt und an Hängen mit geeigneten Schräglagen haben sind allerorts Gletscher gebildet. In tieferen Lagen hat die letzte Eiszeit eine Vielzahl von Seen in türkis, blau und schlammfarben entstehen lassen.
Nicht nur wegen der einmaligen, großartigen Landschaft und der besonderen Lage des Hotels ist dieser Ort der Hotspot der Reisenden. Hier verläuft auch die Strecke des Patagonian International Marathon. Der Wettbewerb wird als 10-Kilometer-, Halbmarathon-, Marathon- und 63-Kilometerlauf von Renndirektor und Gründer Stjepan Pavicic (NIGSA) angeboten. Das Motto der Veranstaltung heißt „Laufen im und für den Nationalpark“, weil aus den Startgebühren je Läufer eine Baumpflanzung finanziert wird. Vor drei Jahren hatte ein Waldbrand einen Teil des Park-Waldbestands zerstört.
Alle Teilnehmer laufen auf einer Strecke die entsprechende Distanz mit dem gemeinsamen Ziel vor dem Hotel Las Torres. Der Parcours ist durchgehend geschottert, fest gewalzt und auf 63 Kilometer für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Bei dieser Veranstaltung gibt es aus Naturschutzgründen weder am Start, noch auf der Strecke oder im Ziel Trinkgefäße. Der Organisator empfiehlt, einen Trinkrucksack oder eine Wasserflasche mitzuführen. Zur Sicherheit der Aktiven patrouillieren zwei Polizisten auf Motorrädern zwischen Start und Ziel. Und, da man hier fast am Ende der Welt ist, kann man Duschmöglichkeiten in den 7.500 Kilometer langen Anden natürlich nicht erwarten.