Generationenprüfung
MontagsGedanken von Bernhard G. Suttner
Es scheint jede Generation ihre humane Prüfung gestellt zu bekommen: Als vor 70 Jahren die Befreier die Lagertore öffneten und das Grauen des nationalsozialistischen Vernichtungssystems in seinem ganzen Ausmaß sichtbar wurde, war klar: Eine ganze Generation Deutscher hatte - mit wenigen Ausnahmen – Grund, sich zu schämen und über das kollektive Versagen entsetzt zu sein. Später sprach Bundeskanzler Kohl von der „Gnade der späten Geburt“. Ich habe mich mit diesem Satz oft sehr gut beschrieben gesehen: Welche Gnade, nicht dieser Prüfung unterzogen worden zu sein! Mittlerweile wird mir mehr und mehr klar: Meine Generation hat anderen Grund, sich zu schämen. Wir arbeiten viel zu wenig gegen die heutigen Entsetzlichkeiten. Nennen wir das Grauen wenigstens beim Namen oder beschönigen und verdrängen wir? Das Sterben im Mittelmeer ist eine der Prüfungen meiner Generation. Ich weiß nicht, wie das Grauen gestoppt werden kann. Ich nehme an, dass es auch Frau Merkel nicht weiß. Nicht einmal Papst Franziskus wird die Lösung kennen… Wenn es jemals einen Grund gab, gemeinsam zu beraten und die besten Köpfe anzustrengen, dann jetzt. Eines aber ahnt wohl jeder Mensch: Die jetzt sichtbar werdende große Menschheitswanderung hat mit dem riesigen Wohlstandsgefälle zu tun. Und dieses Wohlstandsgefälle muss abgemildert werden. Wer nicht teilen will, muss sich mit dem Sterben abfinden. Und muss sich schämen.