Berlin/Stuttgarter Kommunikationsgau
Wie sich die Bilder gleichen und doch nicht gleich sind. Brokdorf galt einst als Fanal energiepolitischer Wende. Das Kraftwerk, nach längerer Planungszeit 1975 mit einer rechtsgültigen Teilerrichtungsgenehmigung ausgestattet, zog weiland Gegner an wie heute der Stuttgarter Bahnhof. Auch der Stuttgarter Plan beruht wie Brokdorf seinerzeit auf einer rechtsgültigen Genehmigung. Kant sagte, alles Wissen stamme aus der Erfahrung. Nur, Politiker und Projekttreiber des Bahnhofs haben aus der Vergangenheit offensichtlich nichts gelernt.
Blick zurück: Als Brokdorf seinerzeit aus dem Projektstadium herausgewachsen war und in die Genehmigungsphase ging, wusste man damals schon um die Problematik geteilter öffentlicher Akzeptanz. Man hatte aus Whyl gelernt. Aus der Erkenntnis heraus, dass offene Information ein unverzichtbarer Bestandteil unserer pluralistischen Gesellschaft ist, waren die ersten Bauwerke an Kernkraftwerksstandorten Informationszentren. Der öffentliche Dialog sollte aber nicht nur die Bauphase von Kernkraftwerken begleiten, sondern auch ihren Betrieb bis zu Stilllegung und Abriss.
Allerdings konnten die Informationszentren Demonstrationen und Eskalationen nicht verhindern. Aber es konnte keiner sagen, man hätte so ein Projekt übergestülpt bekommen, wie jetzt die Stuttgarter ihren Bahnhof. Sechzehn Jahre hat die Planung gedauert, mehr als ein halbes Jahrzehnt verplemperter Zeit, in der man einen sach- und zielgerichteten Dialog zur Öffentlichkeit hätte herstellen können. Ganz sicher wäre es gleichwohl zu Demonstrationen gekommen, diese wären nicht zu verhindern gewesen. Aber keiner der Bahnhofsgegner hätte für sich reklamieren können, von nichts gewusst zu haben, denn neben einer Bringschuld gibt es auch die Holschuld. Nur, wenn nichts gebracht wird, gibt es auch nichts zu holen.
Bahnchef und andere Befürworter nehmen für sich die Rechtsgültigkeit der Baugenehmigungen in Anspruch und hauen auf den Putz. Das sollten sie lieber lassen vor dem Hintergrund, dass sie selbst die simpelsten Spielregeln der Kommunikation verletzt haben. Deshalb brauchen sie sich jetzt nicht zu empören über den Bürgerunwillen, sondern sollten sich in ihre Mahagonietagen zurückziehen und darüber nachdenken, wie sie das Kommunikationsdesaster glaubwürdig beheben können.
Aber Gewalt oder bloße Demonstration bringen auch die Gegner des Bahnhofsprojekts nicht weiter. Bahn und Politik verwiesen auf die Rechtsgültigkeit der politischen Beschlüsse und Genehmigungen – die Gegner haben das Recht, beim nächsten Verwaltungsgericht dagegen zu klagen. Auch Brokdorf ist gestoppt worden, zahllose Prozesse waren beim OVG Lüneburg anhängig, bis dort der über Brokdorf verhängte Baustopp gerichtlich aufgehoben wurde.
Und noch eine Erkenntnis kann man aus Stuttgart ziehen. Aus ehedem Befürwortern in einigen Parteien wurden plötzlich Reichsbedenkenträger und Gegner nach dem Motto, „ich war immer schon dagegen“. Also Opportunismus pur. Ich bin gewiss kein Gegner des Stuttgarter Projekts. Aber ich habe etwas dagegen, wenn besorgte Bürger um der Macht wegen vor politische Karren gespannt werden. Und den Projektbefürwortern möchte ich frei nach Kästner zurufen: „Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.“ Tut also Gutes und redet darüber auch wenn der Runde Tisch nicht nachholen kann, was sechzehn Jahre ignoriert worden ist.