Die Revolution der Stühle
Bisher haben sie uns alles aussitzen lassen. Bis es ihnen zu viel geworden ist, bis sie es nicht mehr aushalten wollten. Bis es sich offenbar im eigentlichen Wortsinn nicht mehr ertragen ließ. Die Stühle haben von uns die Nase voll. Sie machten sich auf und davon.
Sie vermochten einfach nicht mehr zuzusehen, was sich auf ihnen alles für Unheil breit machte. Sie konnten es einfach nicht mehr riechen, wer sich auf ihnen alles den Hintern platt drückte. Es ging ihnen tagtäglich auf die Nerven, was tagein tagaus für dummes Zeug an Stammtischen geredet wird, was für barer Unsinn über Tastaturen im Internet landet und wie viel hirnverbranntes Geschwätz an den Schreibtischen dieser Welt geplappert wird. Deshalb haben sie sich einfach auf und davon gemacht. Die Stühle. Überall hing an den Türen, durch die sie entschwanden, nur ein mit einem Stück Heftpflaster befestigter Zettel: "Sind im Garten". So, als würden sie im Nu wieder an ihren Platz zurückkehren und alles wäre beim Alten.
Sie sind tatsächlich im Garten, die Holzstühle jedenfalls. Wo ihre Artgenossen aus Plastik oder mit dem Metallgestell geblieben sind, hat noch niemand ermittelt. Die Holzstühle tummeln sich in einer langen Schlange am Fuß einer mächtigen Eiche und harren gelassen und geduldig darauf, den Stamm emporzuklettern, um sich in seinem Blätterkleid einen letzten Ruheplatz zu ergattern. Bis in den Wipfel hängen sie dort schon wie ausgereifte Früchte eines reichhaltigen Sommers. Sie warten nicht darauf, gepflückt zu werden. Ihr einziges Ziel ist es, sich zurück zu verwandeln und in ihren Lebensbaum zurückzukehren. Ihr Zauberwort lautet "Zurück zur Natur". Nachhaltiges Recycling würden Umweltforscher einen solchen Prozess nennen, weil sie von den Hintergründen des Aufstandes gegen den menschlichen Irrsinn ja nichts wissen. Wer sollte schon ahnen, dass mit dieser Revolution der Stühle die Menschheit gemeint ist. Sie, die in den wichtigsten Fragen ihres Überlebens nicht zu Stuhle kommt, soll endlich zur Besinnung gebracht werden. Deswegen haben sie uns einfach den Stuhl vor die Tür gesetzt, die Stühle. "Sind im Garten" und wollen sich einfach nicht mehr umstimmen lassen.
"Es geht uns gut" heißt der Titel dieser Installation des Künstlers Tom Otto, die seit gestern im hannoverschen Georgengarten zu sehen ist. Bis 9. August 2009 sind in dem frei zugänglichen Landschaftspark und im benachbarten Palaisgarten hinter dem Wilhelm-Busch-Museum acht Positionen von neun Künstlerinnen und Künstlern arrangiert. Der Palaisgarten ist während der Öffnungszeiten des Museums (dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr) kostenlos zugänglich.
Was für ein wunderbarer Text!
Da stimmt jedes Wort, es fehlt kein Einziges.
Und der Titel viel passender als der Installationstitel.
Bis zum vorletzten Satz steigt die Spannung und blieb unklar, wie letztlich es enden wird - excellente Dramatik.
Lieber Clemens, bitte sag mir, ob Du/Sie das geschrieben hast.
LG Romi