Obentraut - Seelzer Geschichtsheld; nicht nur für Seelzer.
Abschrift: „AUS DEM CALENBERGER LAND“ von August Freudenthal (1895)
Nachdruck Hannover: Schlütersche 1980 – ab S. 14 bis S.21
… Ihren mehr südwestlichen Lauf behält die Leine bei bis nahe vor dem großen Dorf Seelze, wo die sie in weitem Bogen sich allmählich nach Westen wendet. Seelze, früher „Solessen“, war einst ein Gerichtssitz der Grafen von Roden; jetzt ist es ein großes Pfarrdorf mit stattlicher, erst in neuerer Zeit erbauter Kirche. Etwa eine Viertelstunde vor Seelze legten wir unseren „Onkel Bräsig“ am Strande fest und erkletterten das hohe Ufer, nach dem Denkmal Umschau zu halten, das dem dort im Gefecht am 25.Oktorber 1625 gefallenen dänischen Generalleutnant Hans Michael von Obentraut errichtet worden ist. Bald hatten wir das von der Eisenbahn nach Hannover aus deutlich sichtbare Monument erblickt und schritten demselben quer durchs Feld entgegen, mit Bewunderung betrachtetet von Zahlreichen Landleuten, die aus der Kirche kamen und in Scharen ihrem Heimatdörfern zu pilgerten, und anscheinend über das kunstvoll zusammengepackte Handwerksgerät unseres Photographen nicht ins klaren kommen konnten.
Das Obentraut-Denkmal, an dessen Stelle der tapfere General, der von seinen dänisch-deutschen Truppen seine Abstammung wegen der „deutsche Michel“ genannt zu werden pflegte, fiel, liegt etwa 400 Meter von Seelze entfernt, unmittelbar an der von Hannover nach Wunstorf führenden Landstraße und unweit der Eisenbahn. Es besteht aus einer etwa 20 Fuß hohen Pyramide aus Sandsteinquadern auf einem breiten Postament; die Spitze ist mit einer Steinkugel versehen, auf der sich ein eisernes Kreuz erhebt. Der erste Erbauer war ein Bildhauer Sutel. An der Straße zugekehrten Nordseite befinden sich das Wappen der Familie Obentraut und darunter die Inschrift:
DEO
O. M. S.
Hoc monumentum intrerepido ac nobilissimo heroi Dno.
Joh. Michael ab Obentraut, Equ. Reg. Dan. Regis
Christiani IV
Equitum locum tenenti, Generali
Qui hic die Martis 25 VIIIbr.
Ao. 1625 fortiter pro partia, er liberto occubuit.
F. F.
Das Denkmal, das vor etwa 30 Jahren repariert sein soll, ist ziemlich gut erhalten. Es hat seit seiner Errichtung allerdings schon wiederholt Ausbesserungen erfahren. So berichtet u.a. das Amt Blumenau aus dem Jahre 1721, dass „geschichtssinnige Handwerksburschen durch Abbröckelung“ sowie der „gefräßige Regen, die Novemberstürme und die Flucht der Zeiten“ dem Denkmal schlimm zugesetzt hätten. Ferner wurde durch die Landdrostei zu Hannover 1825 eine Reparatur angeordnet und noch im Jahre unseres Ausfluges, am 24. Januar 1888, hatte der Provinzialausschuß zu Hannover die Kosten für die weitere Unterhaltung des Obentraut-Denkmal bewilligt.
Im Volksmund wurde und wird noch heute vielfach das Denkmal „Abendbroths“ oder „Abendbroths Thurm“ genannt. Man erzählt dazu die Sage, dass im dreißigjährigen Kriege zwei Brüder Abendbroth als Offiziere, der eine im kaiserlichen, der andere im evangelischen Heere gedient hätten. Im Gefecht bei Seelze habe ein unglücklicher Zufall sie zusammengeführt; ein heftiger Kampf habe sich zwischen ihnen entsponnen und beide seien tödlich verwundet worden. Auf dem Totenlager hätten sie sich dann noch erkannt und ausgesöhnt um zum Andenken an diese tragische Begebenheit sei das Denkmal errichtet, das im Inneren von jedem der Brüder einen Stiefel mit Sporn aufbewahre. Ferner wird erzählt, der General von Obentraut habe auf dem Rittergut Seelze in Quartier gelegen und von dem Überfalle der Kaiserlichen sei er so eilig zu Pferde gestiegen, dass er nur einen seiner Reiterstiefel noch an den Fuß bekommen habe. Auf diese Erzählung speilt eine Strophe eines Volksliedes an:
Obentraut, du starker Held,
Du liegst begraben im Seelzer Feld.
Mit einem Stiefel und einem Sporn
Hat Obentraut seine Leben verlor‘n!
Der Mann, dessen Denkmal an seiner Todesstätte im Seelzer Felde die Volkssage bereits in so eigenartiger Weise umrankt, war eine der ritterlichen Erscheinungen aus der ersten Hälfte des 30jährigen Krieges. Hans Michael von Obentraut war im Jahre 1574 als Sohn eines Kurpfälzischen Amtmanns zu Stromberg in der Unterpfalz geboren und widmete sich in seiner frühesten Jugend zu Heidelberg dem Studium, vertauschte aber bald aus nicht ermittelten Ursachen den Gelehrtenstand mit dem Soldatenstand. Seine ersten Lorbeeren erwarb sich der Jüngling im Heere des Kaisers, indem er in Ungarn an der Seite Tillys, der für sein Schicksal später verhängnisvoll werden sollte, gegen die Türken kämpfte. Als Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, seine Landesherr, 1619 zum König von Böhmen erwählt wurde und die katholische Gegenreformation dem protestantischen Obentraut den Dienst im kaiserlichen Heer unmöglich machte, trat letztere in die Dienste seines Fürsten und zeichnete sich in dessen Heer in der Unterpfalz rühmlich in den Kämpfen gegen die vereinigten Spanier und Italiener unter Marquis Spinola aus, welche die Erblande des unglücklichen „Winterkönigs“ verwüsteten. Als der Widerstand vergeblich war, schloss sich Obentraut dem Heers Mansfelds an, der sich 1622 mit der kurz vorher geschlagenen Armee des Bischofes Christian von Halberstadt, des „tollen Christian“, vereinigte. Obentraut machte den abenteuerlichen Kriegszug Christians und Mansfelds gegen die Niederlande mit und zeichnete sich u. a. bei Ringelsheim und am Bensheimer Paß, sowie am 29.Augusdt in der Schlacht bei Fleurus, die dem „tollen Christian“ den Arm kostete, rühmlich aus. Nachdem die Heere Christians und Mansfelds der Übermacht erlegen und ersterer 1623 bei Stadtloen in Westfalen von Tilly besiegt war, stand diesem liguistischen Feldherren für die nächsten zwei Jahre ganz Niedersachsen offen für die von katholischer Seite angebahnte und von dem Jesuitenzögling Kaiser Ferdinand eifrig geförderte Gegenreformation. Dieser Zustand des protestantischen Niederschlachten jammerte den kampfesmutigen König Christian von Dänemark, der sich als Haupt der protestantischen Stände Deutschlands betrachtete und, von englischen und holländischen Subsidien unterstützt, im Anfang des Sommers 1625 zu Itzehoe ein Heer von 25000 Mann sammelte. In diesem Heere finden wir Obentraut als Generalleutnant unter dem Oberbefehl Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar. Am 7 Juni brach das Heer von Itzehoe auf und ging bei Stade über die Elbe. Um 7000 Mann Soldaten aus dem niedersächsischen Kreise verstärkt, drang das Heer, dem die katholischen Truppen überall auswichen, gegen die Weser vor. AM 24. Juli 1625 hatte König Christian das Unglück, in Hameln einen schlimmen Fall zu tun, worauf Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel vorläufig den Oberbefehl übernahm. Am 28 Juli erst erlangte König Christian die Besinnung wieder. Nun wurden die Kaiserlichen aus Hoya vertrieben und Obentraut gelang es, die bedrängte Festung Nienburg zu entsetzen und bei dieser Gelegenheit den Kaiserlichen einen Verlust von 2000 Mann beizubringen. Schon damals führt der kühne deutsche Reiterführer bei seinen dänischen Soldaten den Ehrennamen „de dütske Michel“. Am 10. Oktober hatte der junge Herzog Friedrich von Sachsen-Altenburg, der unter Bischof Christian von Halberstadt schon bei Stadtloen mitgekämpft hatte, sich aber jetzt dem dänisch-niederländischen Heere anschließen wollten, 700 Reiter, die er im Lüneburgischen geworben, in Walsrode gemustert und dann Leineaufwärts dem Heere zugeführt. Dieselben bezogen am linken Flügel des protestantischen Heeres, in Seelze und in den Dörfern gegenüber am rechten Leineufer Quartier. Die dänisch-niederländische Heeresstellung zog sich von dort gegen Westen nach Wunstorf zu, die kaiserlichen unter Tilly standen derselben im Süden gegenüber. Hinter Seelze an der Fähre nach Havelse hatte Herzog Friedrich eine Brücke über die Leine herstellen lassen und in einem nahegelegenem Hause sein Quartier genommen.
Vom 27. Oktober bis zum 3. November fanden nun täglich Plänkeleien und kleine Vorpostkämpfe mit den Tillyschen Truppen statt. Herzog Friedrich, der ewigen Aufregung müde, machte dann dem König Christian den Vorschlag, in der Nacht vom 3. Zum 4. November von Wunstorf aus ein Detachement von zwei- bis dreitausend Mann Fußvolk den Tillyschen in die Flanke zu senden. Dieser Vorschlag fand den Beifall des Königs und Herzog Friedrich erhielt von Obentraut und Herzog Johann Ernst von Weimar die Nachricht, dass er sich für die Nacht bereithalten möge. Am 3. November abends wurde 3000 Mann der Befehl erteilt, von Wunstorf dicht an den Feind vorzurücken. Leider verfehlte in der dunklen Novembernacht die Infanterie den Weg und musste nach Wunstorf zurückkehren, während die Kavallerie unter Obentraut bis westlich von Seelze vordrang.
Herzog Friedrich hatte noch spät seine Feldwachen inspiziert und kehrte gegen Morgen in sein Quartier zurück, um sich vor Beginn der ernsten Bataille durch einen kurzen Schlaf zu stärken. Inzwischen musste Tilly von dem Vorhaben des protestantischen Heeres durch Spione oder Überläufer Wind bekommen haben und beschloss, seinerseits die Offensive zu ergreifen. Es gelang ihm, den Kapitän von Wendenbach, der den Auftrag hatte, die Bedetten zu revidieren, mit seinem Piquet gefangen zu nehmen und die Vorposten zu durchdringen. Das gab natürlich Lärm, der Herzog wurde geweckt und in der Eile ohne die Sporen anschnallen zu können, warf er sich auf seinen Hengst und setzt über die Leinebrücke, nach dem er Ordonanzen an das linke Ufer an Obentraut gesandt hatte, damit dieser schleunigst Hilfe bringe. Er selbstdrang mit seinen Reitern vor und die Feinde zurück, musste aber, da viele seiner Flucht ergriffen haben, sich selbst auf Seelze zurückziehen, nachdem er noch durch eine Kugel am Beine verwundet worden war. Inzwischen hatte auch Obentraut angegriffen und trieb den Feind rasch bis zu den Höhen südlich von Seelze zurück. Im Felde vor Seelze trafen sich Obentraut und Herzog Friedrich und beglückwünschten sich wegen des anscheinend errungenen Erfolges. Leider hatten sich beide Feldherren über die Macht Tillys getäuscht, wenn sie annahmen, dass derselbe nur über leichte Truppen verfüge. Tilly hatte in den letzten Tagen eine starke ligistische Macht zusammengezogen, er verfügte über 10000 Mann, fast sämtlich aus Kavallerie bestehend, während Obentraut und Herzog Friedrich nur einige tausend Reiter verfügten.
Als Tilly bemerkte, dass sein Vortrab zurückgeschlagen war, rückte er mit seiner gesamten Macht auf Seelze vor und so entspann sich am 4. November in der ersten Morgenfrühe ein heißes Reitergefecht, das zu Ungunsten der Protestanten enden musste. Die treffliche Reiterei Obentrauts hielt sich wacker, allein bald sank der tapfere „deutsche Michel“ tödlich verwundet vom Pferde, seine Reiter, von der Übermacht bestürmt, gerieten in Verwirrung und flüchteten. Der verwundete Feldherr, welcher einen Schuss durch den Leib erhalten hatte, fiel in die Hände des Feindes.
Schlimm erging es auch dem jungen Herzog Friedrich. Im Kampf allen voraus, erhielt der bereits am Bein Verwundete einen Schuss durch den linken Arm. Er nahm, seine Leute anfeuernd, die Zügel in die rechte Hand, doch musste er, vom Blutverlust ermattet, sich zurückziehen. Hundert Musketiere, welche den Brückenpass an der Leine freihielten, retteten vielen flüchtenden Reitern das Leben, dem Herzog leider nicht. Der Rittmeister Lewin von Hodenberg und eine Abteilung Reiter, die sich zu ihm gehalten hatten, ließen ihn im letztem Augenblick im Stich. Nur ein wackerer Reiter, Fritz Prissel, rief: „Ich will meine Schuldigkeit tun und bei Eurer fürstlichen Gnaden bleiben.“ worauf er die Zügel des Hengstes des Herzoges ergriff und denselben vorwärts führte, wozu der ermattete Feldherr nicht mehr im Stande war. Ihm gab der Herzog seinen Degen, damit derselbe nicht in die Hände der Kaiserlichen falle. Schon hatten die beiden den Hohlweg vor der Leinebrücke erreicht, als plötzlich ein kaiserlicher Reiter, „gekleidet mit braun-gold-posamentiertem Pelzrock“ hinterdrein gesprengt kam. „Halt! Wer seid ihr?“ rief der den Flüchtenden zu. „Gut Freund!“ rief Prissel. Jener aber lächelte spöttisch, näherte seine Pistole dem Ohre des Herzoges und schoss dem halb ohnmächtigen eine Kugel in den Kopf. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Herzog vom Pferde. Prissel floh und entkam auf seinem schnellen Pferde, trotzdem der Ligist ihm noch durch eine Pistolenkugel den Arm zerschmettert hatte.
Hans Michel von Obentraut befand sich schwerverwundet in den Händen des Feindes. Er wurde von den seine Tapferkeit schätzenden Feinden auf den Wagen des Grafen von Anhalt gehoben. Tilly kam herzu, ließ den Verwundeten verbinden und richtete herzliche Worte an den ehemaligen Freund und Waffenbruder aus Ungarn. Obentraut lächelte und entgegnete: „Ich beklage den Tod nicht, denn ich sterbe meiner Sache getreu!“ Er lebte noch eine halbe Stunde. Als der Tod herannahte, deutete er mit der Hand auf das durch den Verband dringende Blut, flüsterte: „Auf solchen Auen bricht man solche Rosen“ und schloss dann die Augen für immer. Die Leichen der beiden gefallenen Führer wurden nach dem von Tilly eingenommenen Schlosse Talenberg gebracht und dort einbalsamiert.
Erst im Februar 1626 wurden die beiden Leichen Obentrauts und Herzog Fridrichs gegen den bei Eldagsen gefangenen ligistischen Oberst Blanck ausgewechselt. „So hat also ein lebendiger zween Todte erlöset,“ schreibt ein alter Chronist. Die Leiche des Herzogswurde seiner Mutter, diejenige Obentrauts dessen nach Hannover gekommenen Bruder überliefert. Obentrauts Leiche wurde in der Marktkirche (St. Georg) zu Hannover beigesetzt. Im Kirchenbuche daselbst findet sich folgende Eintragung: „Am 4. März 1626. Hans Michell von Obentraut, Kön. Majestät zu Dänemark General-Leutnant über die Cavallerie und Oberster, welcher Anno 1625, den 4. November vor Seelze geblieben in St. Georgen Kirche aufs Cohr Begraben, auf Junker Conrad Niclass von Obentraut provision d. 28. Februar.“ Obentrauts Banner und Rüstung wurden in der Marktkirche aufbewahrt, wo ich aber seine Spur nicht mehr vorfand. Aus Hartmanns Geschichte der Residenz Hannover erfahr ich später, dass Helm, Schwert und Banner Obentrauts sich jetzt in der Neustadter Kirche befinden sollen.
Nachdem wir unsere Besichtigung und Aufnahme des Obentraut-Denkmals beendet hatten, setzten wir unser Boot zurück und setzten die Fahrt weiter fort…