Keine leichte Kost
Am dritten Abend der Reihe 30-Minuten-Kerzenschein gab es, wie immer in dieser Reihe, keinen musikalischen sondern einen Wortabend. Dieses Mal war es der Diakonie-Pastor Rainer Müller-Brandes. Die 30 Minuten reichten sichtlich nicht aus, um aus der reichhaltigen Aufgabenpallette zu berichten, die sich aus den vom ihm geführten Institutionen ergeben.
Die Situation Wohnungsloser – ein Thema, das oft nicht viel Öffentlichkeit bekommt, aber die Veränderungen, die sich hier in den letzten Jahren in Hannover zeigen, sind groß. Der Spagat des beruflichen Alltags von Pastor Rainer Müller-Brandes ist auch groß: Morgens mit Wohnungslosen zusammen, sucht man Abends bei Galas und Menschen aus der Wirtschaft Geld für eine gute Sache zu sammeln. Dort gibt es dann auch Gelegenheit, über die geschätzt 3-4000 Wohnungslosen in Hannover zu reden. Aber natürlich kennt niemand die genaue Zahl – wie sollten sie gezählt werden. Die Verelendung jedoch hat eine steigende Tendenz: Menschen, die zuerst überlegen, wo sie heute schlafen, dann wo sie etwas zu essen her bekommen. Eine gesundheitliche Versorgung kommt bei den Überlegungen noch gar nicht vor. Da gab es Menschen mit eingewachsenen Wunden – man musste eine Krankenschwester einstellen. Aber wie finanzieren? Auch die rollende Zahnarztpraxis wurde geschaffen mit ehrenamtlich arbeitenden Zahnärzten– für Menschen ohne Krankenversicherung. Und es spielt keine Rolle, welchen Pass man hat - vor Gott nicht. Das sind Situationen, die das Belastende bilden in seinem Beruf.
Die erfreulichen Momente schildert Rainer Müller-Brandes mit einer unerwarteten Geschichte:
Der Flughafen versteigert regelmäßig Fundsachen – der Erlös so einer Versteigerung ging an die Diakonie und finanziert zwei Jahre die Krankenschwester.
Gottesdienst im Gefängnis. Die Diakonie begleitet auch Menschen, die in den nächsten Monaten entlassen werden. Sie begleitet sich auch bei der Wohnungssuche –welch ein Erfolg ist so einer Wohnungsbesichtigung beschieden, wenn der Gefangene mit Handschellen und einem Vollzugsbeamten kommt.
An der Lebensgeschichte von Bernd lässt Pastor Rainer Müller-Brandes ein wenig nachvollziehen, dass es bei schlimmen Geschichten auch Hoffnung gibt. Bernd hatte, sofort nach einer Herzoperation aus dem Krankenhaus entlassen, sich selbst aufgegeben. Nach langer Zeit in einer Krankenwohnung der Diakonie schöpft er wieder Hoffnung. Er ist ein guter Zeichner und zeichnet wieder. Sehr berührend ist die Geschichte von Abebi Aminata, die ihren Weg aus der afrikanischen Heimat aufgeschrieben hat und deren Übersetzung Rainer Müller-Brandes mitgebracht hat. Es ist gefühlt noch stiller, als er mit dieser Geschichte endet.
Er endet mit einem Erlebnis von der Weihnachtsstube, wo er neben einem Mann mit schwarzem Vollbart und Sonnenbrille sitzt. Er erzählt, dass die Weihnachtsgeschichte vorgelesen wird. Er erzählt von den Parallelen „denn sie hatten keinen Platz in der Herberge“ – vielen kommt das bekannt vor. Er fragt den Mann, wie es ihm geht und bekommt die Antwort: Gut, es geht mir gut. Ich habe neue Schuhe bei Euch in der Kleiderkammer bekommen und habe jetzt warme Füße. Er schildert, dass er die Nacht bei Burger King und im Mecki verbringt. Das Angebot des Kontaktes zu einem Sozialarbeiter lehnt er ab: Warum? Es geht mir gut!
Diakonie-Pastor Rainer Müller-Brandes hätte sicher noch lange erzählen können. Es wäre weiter nachdenklich machend, aber auch versöhnend geblieben, denn es gibt die kleinen Momente mit einem ganz anderen Stellenwert als für viele Menschen.
Am Rande geschah folgende Geschichte:
An diesem Abend kann man das Friedenslicht mit nach Hause nehmen.
Eine Lindenerin, die immer mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter kommt, hatte extra eine Laterne mitgebracht und am Fahrrad gelassen. Sie wollte das Licht mitnehmen. Als sie nach der Veranstaltung zum Fahrrad - das direkt vor der Kirche geparkt war - kam, war die Laterne gestohlen!
. . . gleichermaßen lesens- wie nachdenkenswert, dieser Beitrag.