30-Minuten-Kerzenschein up platt
Es war ein Experiment: Plattdeutsche 30 Minuten. Und das Experiment ist geglückt. Die Kirche war gut gefüllt und neben „Stammbesuchern“ der Reihe zum Träumen waren wieder auch Neuentdecker dabei. Sie kamen natürlich wegen des besonderen Lichtes, in das die mehr als 170 Kerzen die Kirche taucht. Sie kamen gerade weil an diesem Abend Geschichten up platt erzählt wurden. Aber sie kamen auch, um Ilka Brüggemann original zu hören und vor allen Dingen sehen. Sonst kennt man nur ihre Stimme regelmäßig im NDR. Und so war man gespannt auf diese Frau.
Sie enttäuschte nicht! Sie schreibt ihre Geschichten selbst und so haben sie viel Persönliches und sind authentisch und nachvollziehbar. Sie sind hautnah am Leben – in diesem Fall am Leben in der Vorweihnachtszeit und zu Weihnachten. Köstlich die Geschichte vom Gänseannahmeschluß. Völlig perplex erlebt sie auf dem Markt, dass es einen Annahmeschluss nicht nur bei der Annahme des Lottoscheins gibt, dass sie nicht vorgeben kann, wie schwer das Tier sein soll, dass es noch lebt und einen Namen hat und dass ihre Tochter die Gans trotzdem isst, denn nun ist sie ja schon einmal tot. Da wäre es doch schade, sie nicht zu essen.
Ihre Geschichten haben immer einen ernsthaften Hintergrund, aber auch viel Schmunzeleffekt. Man hört ihrer gestenreichen Lesung an diesem Abend fast immer mit einem Lächeln im Gesicht zu. So bleibt ein Vergleich mit den eigenen Erlebnissen nicht aus, wenn sie vom Wunschzettel erzählt. Wenn auf die Frage, was „mien Kerl“ sich denn wünscht, die Antwort kommt: Ik heff Di so veele Tipps geven, det kann ja nu nicht swoor ween, mi war to schenken.“ Und wenn ihre Tochter, dat Deern, auf den Wunschzettel schreibt:“ Ik wünsch mi blots en schöne Överraschung.“ Mit einem Fake-Geschenk ist das Thema für die Familie durch. Nun gibt es nur noch Wunschzettel mit echten Wünschen.
Eine Ausnahme in der Vielfalt der Geschichten ist eine Geschichte, die sich mit der Weihnachtszeit von Menschen beschäftigt, die ihr ersten Weihnachten vertrieben aus der Heimat erleben. Sie ist in jeder Weise ungewöhnlich, denn sie ist im Stil eines Poetry-Slam-Beitrages geschrieben und sie ist es auch. Hier zeigt sich besonders das Besondere der plattdeutschen Sprache: Man kann in ihr alles sagen. Aber es klingt anders. Es klingt irgendwie verbindend: „Wo kamt de all her, wo kumm det passeeren? De könnt usse Spraak nicht, hebbt anner Maneeren. Un so mancheen Flüchtling, dat ist ja wat, ist nich blots anners – nee, he ist ok noch swatt.“
Ilka Brüggemann bekommt nach den so schnell vergangenen 30 Minuten herzhaften, lang anhaltenden und herzlichen Applaus. Und lächelnd verlassen die Besucher die Kirche.