15. Schleizer Modenacht 31.08.2019
Es wird nun merklich dunkel. Für Ende August kommt mir das reichlich früh vor. Die drückende Hitze des Tages hat einer milderen Wärme Platz gemacht, und ich bedauere nicht mehr, dass ich nicht das kurze Sommerkleid angezogen habe, sondern den ganzen Tag in meinem bodenlangen, vor Goldpailletten glitzernden Abendkleid durch Schleiz gelaufen bin. Wenn die Temperaturen den ganzen Tag so gewesen wären… aber das waren sie ja nicht; es war einer der letzten heißen Sommertage gewesen, und die Temperaturen hatten sicher 28 oder 29°C erreicht.
Hinter der Bühne warteten wir nun auf unseren Auftritt. Vom Marktplatz dröhnten die Stimmen verschiedener Ansager herüber, und ich wusste, vor der Bühne stapelten sich förmlich die Menschen. Gut was los in Schleiz! Schleizer Modenacht.
Eine Dame gab letzte Anweisungen. In dem Zelt hinter der Bühne standen leere Kleiderständer. Auf Tischen waren mit Folie abgedeckte Platten mit Schnittchen zu erkennen. Eine Frau trug ein Kleid mit Rüschenschnitt. Solche Kleider mag ich. Ich hätte auch gerne eins – allerdings würde ich mir eine andere Farbe aussuchen. Orangetöne stehen mir nicht so gut.
Letzte Ansage. Schade, dass mein Fotograf nicht da ist, da werde ich warten müssen, bis ich Fotos bekomme – falls überhaupt vernünftige von mir dabei sind. Neben der Stadtinformation „Alte Münze“ ist eine große Displaywand aufgebaut. Bilder vom Geschehen auf der Bühne schimmern undeutlich durch die Absperrwände. Den Geräuschen nach müssen auf dem Marktplatz Hunderte Menschen versammelt sein.
Es geht los! Wir steigen vorsichtig die Stufen zur Bühne hinauf, immer ein Mädel von rechts und eins von links. Die schwarzen Vorhänge schwingen zurück, und im gleißenden Scheinwerferlicht stellen wir uns in zwei Reihen auf. Hinter den Scheinwerfern erkenne ich Köpfe soweit das Auge reicht. Zwei Moderatoren übergeben ihre Mikrofone an die Schleizer Modeprinzessin und die Wisenta Perle – das sind die Ehrenhoheiten der Stadt, die die Stadt überall repräsentieren.
Sie kündigen uns paarweise an, und es treten immer zwei vor, schreiten über den roten Teppich nach vorne. Dann trennen sie sich, eine biegt nach rechts ab, um sich dem Publikum zu zeigen und eine nach links. Am Ende des Laufstegs kehren sie um, treffen sich wieder in der Mitte und gehen dann zurück auf ihren Platz in der Reihe.
Ich überlege kurz. Dann raune ich meiner Laufstegpartnerin, der Kranichfelder Rosenkönigin zu, dass ich möchte, dass wir anschließend die Plätze tauschen. Sie nickt. Als die die Fliederkönigin Jenny aus Bad Frankenhausen den Laufsteg betritt, skandieren die Hoheiten „Happy Birthday“. Sie hat heute Geburtstag.
Noch ein paar Hoheiten, dann sind wir dran. Eine rechts, eine links und wieder zurück in die Reihe. Die Leute auf der jeweils anderen Seite können uns doch gar nicht richtig sehen! Dann sind wir dran. Wir wollen uns anfassen oder einhaken, aber so ungeprobt klappt das nur mit Improvisation. Rechts abbiegen. Ich schreite bis ans Ende des Laufsteges. Gefällt mir. Hunderte, vielleicht tausend Augen sind auf mich gerichtet. Scheinwerfer blenden mich. Hoffentlich ist die Rosenkönigin ungefähr gleich schnell gegangen wie ich.
Ich verneige mich mit einem angedeuteten Knicks und drehe mich um. Ja, sie hat sich auch gerade umgedreht. Bis zur Mitte schreiten wir aufeinander zu und dann aneinander vorbei bis zum entgegengesetzten Ende des roten Teppichs. Das Publikum johlt. Erneute Wende, und in der Mitte treffen wir uns wieder, haken uns ein (diesmal klappt es auf Anhieb) und kehren zurück in unsere Reihe.
Aufmerksam beobachte ich, ob die nächsten es auch so machen wie wir. Nein. Eine nach rechts, eine nach links und dann wieder in die Reihe. Na gut, das müssen die selber wissen. Und doch! Die Lavendelkönigin aus Bad Blankenburg hat es kapiert. Sie führt ihre Gruppe in beide Richtungen über den Laufsteg, was gut ankommt. Sie sind die Ausnahme: eine Königin, zwei kleine Prinzessinnen und Friedrich Fröbel, dem zugesprochen wird, dass er den Kindergarten erfunden habe; ein sehr cooler und fescher Junge im grauen Mantel, mit Hut und ausgesprochen guten Manieren.
Die beiden Modenschau-Moderatoren übernehmen nun wieder, und wir entschwinden hinter die Bühne. Ein Blick auf die Uhr. Eigentlich müsste doch jetzt das angekündigte Höhenfeuerwerk starten, aber das scheint noch länger auf sich warten zu lassen.
Wir werden mit einem Gastgeschenk verabschiedet, und da meine Fahrgelegenheit nicht länger bleiben will, mache ich mich auf den Weg zum Auto. Die Treppe hoch zur Schlossruine ist lang, steil, aber dies ist der kürzeste Weg zum Parkplatz auf dem Berg. Ich merke, dass so ein Tag durchaus auch anstrengend ist, aber ich möchte das nicht missen. Wenn ich etwas Neues kennenlernen oder mit Leuten ins Gespräch kommen kann, ist mir nichts davon zu viel.
Was hat man mir eigentlich vorher erzählt, Schleiz habe nichts Sehenswertes zu bieten? Es war doch ein ausgefüllter Tag gewesen! Nachmittags hatten wir uns nahe bei Schloss und Krankenhaus an der Bibliothek getroffen. Es waren viele Hoheiten gekommen, 25 oder 27. Für mich war das ein neuer Ort und eine Veranstaltung, die ich noch nicht kennengelernt hatte: „Schleizer Modenacht“. Überall im Ort seien Modenschauen, hatte Viviane, die Wisenta Perle mir erzählt – und die hatte ich auf so vielen Festen getroffen!
Erstmal gab es aber einen kleinen Sektempfang. Im Stadtpark wurden dann die ersten Fotos gemacht. Ein Springbrunnen diente als Kulisse. Das Schloss ist – wie ein Großteil der Stadt – einem großen Bombenangriff am 08.04.1945 zum Ende des 2. Weltkriegs zum Opfer gefallen, aber der Schlosspark dient heute als Stadtpark, und es stehen noch 2 Türme der Ruine – allerdings auf Polizeigelände, weshalb man sie nicht besichtigen kann.
Bei heißen sommerlichen Temperaturen gingen wir einmal quer durch Schleiz. Neben der Stadtkirche ist das Rutheneum, ein Gymnasium mit der Statue von Konrad Duden. Den Duden kennt ja wohl jeder als Rechtschreibwörterbuch für die deutsche Sprache. 1869 wurde er als Gymnasialdirektor nach Schleiz berufen, damals Fürstentum Reuß, jüngere Linie, wo er die Regeln für das Wörterbuch erarbeitete.
Es ging hinab ins Tal und dann den Berg hinauf zur sehr schönen und reich ausgestatteten Bergkirche, die den Bombenangriffen glücklicherweise nicht zum Opfer gefallen war. Nach einer kleinen Stärkung und Fotos mit dem herrlichen Blick auf die Stadt Schleiz hörten wir ein Orgelkonzert und konnten uns ein bisschen umsehen.
Rund um die Kirche war ein alter Friedhof.
Nun wurde es auch Zeit für die ersten Modeschauen. Wir schritten den Berg hinunter – was mit den langen Kleidern nicht immer so einfach ist – und so manche Hoheit kam dabei ins Schwitzen.
Im Parkhaus war Musik zu hören. Viele Leute standen oben in der ersten Ebene, und da zog es uns jetzt hin. Geboten wurde offenbar Alltagsmode. Ein bisschen anachronistisch, wenn Models bei 28°C Winterjacken präsentieren, aber der Winter kommt bestimmt auch wieder.
Ich regte an, dass es doch für alle sicher interessanter wäre, wenn man die Hoheiten einmal präsentieren würde. Erstaunlich, dass es unter denen auch immer wieder solche gibt, die sich vor dem Rampenlicht scheuen. Aber da sich die Aufmerksamkeit mittlerweile zwischen der Modenschau und den Hoheiten aufteilte, kündigte der Moderator uns an, und wir standen für ein paar Gruppenfotos auf der Lauffläche bereit. Eine ganz erkleckliche Anzahl Hoheiten in tollen Kleidern macht immer einen guten Eindruck.
Die nächste Modenschau fand in der Nähe des Marktplatzes vor dem Kaufhaus WEKA statt. Auf der Straße war ein roter Teppich ausgerollt, rund herum standen viele Menschen, und aus Lautsprechern erklang Musik. Eine kurze Besprechung mit dem Moderator, und schon wurden wir angekündigt und schritten paarweise bejubelt vom Publikum einmal über den roten Teppich.
Danach machten wir das Kaufhaus unsicher. Glitzerarmbänder und Fotos auf der Rolltreppe – die Verkäufer müssen uns für verrückt gehalten haben! Dort begegnete ich auch zuerst dem Erfinder des Kindergartens Friedrich Fröbel. Ein netter und wohlgesitteter Herr, der um 1840 in Bad Blankenburg pädagogische Konzeption den Grundstein für unsere heutigen Kinderhorte gelegt hat. Früher gab es nur Kinderbewahranstalten – was für ein fürchterlicher Name!
Auf dem Marktplatz von Schleiz waren Stände, Tische und Bänke aufgebaut und einige davon für uns reserviert. Es herrschte reges Treiben, aber sehr voll war es noch nicht. Nach den doch einigermaßen anstrengenden Fußmärschen bergauf, bergab freuten wir uns auch mal, ein Weilchen zu sitzen.
Langsam füllte sich der Marktplatz, und es ging merklich auf den Abend zu.
Dann der Aufruf, wir sollten hinter die Bühne kommen.
So war es gewesen, und nun war der Tag schon wieder vorbei. Wie gut, dass morgen das Brauereifest in Schleifreisen ansteht. Mal sehen, was mich da erwarte. Langweilig wird es während der Hoheitensaison eigentlich nie. Jedenfalls nicht, wenn man sich interessiert und mit offenen Augen durch die Welt geht.
Danken möchte ich allen, die das organisiert haben und denen, die mir zusätzlich zu meinen eigenen die Fotos geschickt haben, die mir fehlten.