42 Lokalgeschichte im Fokus der Öffentlichkeit
Warum Missstände im Umgang mit der Lokalgeschichte trotz hausgemachtem Hintergrund von Allgemeininteresse sind.
In dem hier zunächst ausführlicher zuschildernden Fall muss ein Stadtteil um sein historisches Erbe kämpfen, weil ein Nachbar seiner Juniorpartnerschaft überdrüssig ist.
Die Rede ist
> von der Missgeburt einer Kommune im Vorgriff auf die niedersächsische Verwaltungs- und Gebietsreform vor 40 Jahren und
> von der Stadt Ronnenberg, einer ländlich geprägten Mainstream Kommune mit städtischem Anspruch, aber ohne städtische Traditionen. Eingebettet in einer historischen Landschaft könnte sich diese Stadt auf einen historisch gewachsenen Mittelpunkt berufen, der gleichzeitig mit der geografischen Stadtmitte identisch ist. Für alle übrigen Ortsteile der heutigen Stadt war dieser Ort über 2000 Jahre die zentrale Kompetenz für nahezu alle Wechselfälle des Lebens. Auch dieser Ort im Zentrum der Stadt trägt den Namen Ronnenberg und ist somit der Namenspender für die junge Stadt.
Die Basis für die Fusion der ehemals selbstständigen Dörfer zur Großgemeinde war das Ronnenberg-Gesetz, in dem auch der Ortsname verankert ist, aufgrund der großen historischen Bedeutung des Ortes Ronnenberg, wie der Niedersächsische Landtag ausdrücklich betont.
Aus pragmatischen Gründen wurde aber die Verwaltung vor 40 Jahren in einer Randgemeinde eingerichtet, wo sich gerade ein leerstehender Industriekomplex als Provisorium anbot. Dort hat sich das Rathaus ausgebreitet und im Laufe der Zeit auf Dauer festgesetzt. Gezielte Eingriffe in die geschichtlichen Abläufe zeigen seitdem die Handschrift dieses Stadtteiles, man scheut keine Mühen und Kosten, die Kernstadt historisch ins Abseits zu drängen, um gleichzeitig den bis dato geschichtlich völlig unbedeutenden Verwaltungssitz aufzumöbeln. Ihrer Traditionen beraubt, verliert die Kernstadt darüber völlig ihre Identität.
Ronnenbergs historische Bedeutung fußt auf der germanischen Epoche. Man lebte damals traditionell in bäuerlichen Siedlungen. Städte kannte man allenfalls vom Hörensagen aus den römischen Ländern. Der Sekundärliteratur zufolge reichen die Wurzeln allerdings in eine viel ältere Epoche. Danach war der Ursprung ein Heiligtum auf jenem Gipshügel, der in ersten Überlieferungen noch Tempelberg genannt wird und seit dem Mittelalter den Namen Kirchenhügel trägt.
Abgesehen von den wechselnden Ansprüchen und Gebräuchen der Bewohner wurde diese ursprüngliche Tradition allem Anschein nach zu keiner Zeit unterbrochen. Zur Zeit der bäuerlichen Besiedlung Ronnenbergs in der Spät La-Téne über die Völkerwanderung bis zur Christianisierung fand sie ihren Ausdruck als Thing und Orakelplatz , der Ortsname steht synonym für Runen und Berg, auch Zauberberg. Im Mittelalter fand sich diese Tradition als Kirchen- und Gerichtszentrum mit Richtstätte, Schul-, Mühlen- und Begräbnisplatz wieder. Noch heute künden der Kirchenkreis Ronnenberg und die hiesige Superintendentur davon.
In der frühgermanischen Epoche wurde auch der Grundstein für die Dorfanlage mit den Hofstellen an den Beeken (Wasserquellen) unterhalb des Gipsberges, dem Thing auf dem Hügel und einer Straßenstation am Hellweg gelegt. Als typisches Haufendorf ist diese Urform bis in unsere Tage erhalten.
Für die Beurteilung der hiesigen Probleme mag dieser historische Abriss reichen. Möchten Sie mehr über die Ronnenberger Thematik erfahren, lade ich Sie gern zum Stöbern in den Artikeln und Kommentaren meiner Website ein und würde mich auch über Anregungen oder Ihren Kommentar freuen.
Die bisherigen Ausführungen geben allerdings noch keine Antwort auf die Eingangsfrage, warum hausgemachte Probleme für die Allgemeinheit von Interesse sind.
Ronnenberg ist sicher nicht der Nabel der Welt, aber Ronnenberg ist mit seinen Problemen keineswegs ein Einzelfall.
An vielen Orten leidet die Lokalgeschichtliche unter politischer Willkür oder Ratlosigkeit der Wissenschaft. Fehlen dann beherzte Bürger vor Ort, die bereit sind, den Kampf gegen diese Attacken aufzunehmen, sind die Verletzungen kaum zu heilen.
Auf meinen Studienreisen habe ich fünf solcher Fälle kennengelernt.
In Baden bei Wien, Moosburg/Kärnten und Naturns/Süd Tirol gelang es Hobbyforschern, in jahrelanger unermüdlicher Kleinarbeit die eigenen Thesen zu belegen, in zwei Fällen sogar in Verbindung mit einer eindeutigen Altersdatierung.
Zu späte Reaktionen sowie die völlige Ergebenheit gegenüber falschen Machenschaften haben in den restlichen Fällen allerdings für negative Schlagzeilen gesorgt. Z. B. werden die Artefakte aus einer zwanzigjährigen Grabungskampagne nicht am Fundort sondern andernorts ausgestellt. Gleichzeitig beansprucht der Museumsort auch den Titel einer noch nicht identifizierten Keltischen Hauptstadt, der nach den Indizien zu urteilen aber dem Grabungsort zusteht. Auch im letzten Fall geht es um den Titel einer Landeshauptstadt der Antike. Den hat eine neuzeitliche Bergstadt vereinnahmt, obwohl die Ruinen der phönizischen Metropole für Jededermann sichtbar am Fuße des Berges innerhalb der Grenzen eines kleinen, heute unbedeutenden Ortes liegen.
Geschichte nach Gutsherrenart aus Prestigegründen?
Kein Gesetz dieser Welt kann verhindern, daß Geschichte missbraucht wird. Aber es lässt sich durchaus verhindern, daß Unwahrheiten später die Geschichtsbücher füllen und ungeahnte oder ungewollte Konsequenzen auslösen.
Von meinen Gesprächspartnern im In- und Ausland, Wissenschaftlern und betroffenen Heimatforschern habe für meine Arbeit sehr viel Zuspruch erfahren, verbunden mit dem dringenden Rat, nicht aufzugeben. Ähnlich lautet das Motto des Heimatbundes Niedersachsen: „Jümmer vorwärts“ Diese Ratschläge möchte ich allen Heimatforschern, die ähnlichen Pressionen ausgesetzt sind, wärmstens empfehlen.
Und noch ein letzter Hinweis. Sich auf den Lorbeeren früherer Hobbyforscher ausruhen, wie dies in Ronnenberg über Jahrzehnte geschehen ist, endet in der Katastrophe. Die Wissenschaft kennt keine Stagnation.
Karl-Fr. Seemann, 17.9.2010
NS
Vorabdruck von Ausszügen der In Arbeit befindlichen Ortschronik und der Ronnenberger Geschichtshefte
NS
Dieser Satz stammt von Prof. Matthias Springer,
entnommen seiner Publikation "Die Sachsen", Kohlhammer 2004.
Karl-Fr. Seemann