„Tanne“ in Osterwieck war weit über 300 Jahre Gasthaus. Von Theo Gille.
Vor der Sanierung steht das ehemalige Gasthaus zur Tanne in Osterwieck, eines der bedeutendsten Fachwerkhäuser der Altstadt. Aus diesem Anlass hat Ortschronist Theo Gille in die Geschichte des Bauwerks geblickt.
Eines der schönsten und in seinem Ursprung ältesten Fachwerkhäuser in Osterwieck ist das ehemalige „Gasthaus zur Tanne“, Rosmarinstraße 7 bis 9.
Der älteste Teil dieses Gebäudekomplexes ist der linke große Torbogen mit dem Namen Jacob Reincke und der noch sichtbaren, leider unvollständigen römischen Jahreszahl M (= 1000) und C (= 100). Daraus ergibt sich, dass dieser Torbogen noch aus der Zeit von 1500 stammt. Der darüber liegende Gebäudeteil mit Rosetten und Blendarkaden trägt an der oberen Saumschwelle (verdeckt) die Jahreszahl 1596. Die Frömmigkeit des Erbauers findet an diesem Teil ihren Ausdruck in der Inschrift „All mein Thun Zu aller Frist geschehe im Namen Jhesu Christ Des Teuffels Überwinder ist.“
An dem anschließenden, im Jahr 1614 erbauten Hauptgebäude beeindruckt der Reichtum an Schnitzwerk, Symbolen, redenden Familienwappen und Sprüchen. Da liest man an der linken vorspringenden Hausfront: „Wer wil Bawen an der Strassen der muss die Leute Reden lassen Einem ists recht dem anderen nicht gefelt Doch kost es mich das meiste Gellt.“ Anscheinend herrschten damals auch schon Neid und Missgunst unter den Menschen, trotz großer Frömmigkeit.
Im Sterberegister der Osterwiecker Kirchenbücher fand Fritz Gille unter dem 30. Dezember 1638, dass der „Dannenwirt“ einfach nur „Christoffel“ hieß. Daraus kann geschlossen werden, dass die „Tanne“ damals schon ein Gasthaus war.
Nun sind am Eckbalken des 1614 neu errichteten Hauptgebäudes zwei Köpfe mit Bart und darunter jeweils eine Brille in die Konsolen eingeschnitzt. Der Runen- und Sinnbildforscher Karl Theodor Weigel bezog diese auf „den Alten mit der Brille“. Er sah darin das gleiche Sinnbild wie auf einem Wildemannsthaler, der die mythische Gestalt des Wilden Mannes vom Harz mit einem Licht und einer Brille zeigt, dem sogenannten „Brillenthaler“. Die Umschrift lautet: „Was hilft dem Licht und Brill, der sich selbst nicht helfen und raten will“ (in abgekürzten Großbuchstaben).
Der „Wilde Mann mit der Tanne“ befindet sich auch im Wappenschild eines Siegels des „Augustus Rucks Churfürstl. Brandenburg Canzley-Sekretär im Fürstenthum Halberstadt 1691 den 3. Octobris“ auf einem Protokoll der Grenzverhandlungen zwischen dem Fürstentum Halberstadt und der „Freyen immediat Herrschaft Schauen“.
Aus all dem ist eine Verbindung mit dem Namen „Gasthaus zur Tanne“ ersichtlich. Der Brille begegnet man noch mehrfach an diesem Gebäude. An der Saumschwelle der Hauptfront haben die Erbauer ihre Familienwappen einschnitzen lassen. Da ist Jacob Reincke (vermutlich ist es der Enkel des Jacob Reincke, am älteren Torbogen) mit einem Fuchs und seiner Frau Maria Claves mit zwei gekreuzten Schlüsseln im Wappen zu sehen. Daneben Berendt Reincken, bei dem der Fuchs eine Brille in der Schnauze hat, und sein Eheweib Catharina Behmen, in deren Wappen Bäume aus dem Herzen wachsen. Es sind also redende Wappen.
An den Seiten der geschweiften Konsolen unter der Saumschwelle befinden sich Sternzeichen und ebenfalls wieder eine Brille. Die dazwischen liegenden Füllhölzer bestehen aus Schnürrollen, und darüber sieht man den für diese Zeit (1614) üblichen Zahnschnitt. Die Brüstungsfelder sind mit reich geschnitzten Ornamentplatten ausgefüllt.
1898 wurde bei einem Umbau durch den Weinküfer und Gastwirt Heinrich Wolter neben der alten Tür, welche die Jahreszahl 1614 trägt, eine neuere größere und schöne stilvolle Rundbogentür eingebaut. Dies ist besonders anerkennenswert, da leider in den meisten Fällen damals die alten Rundbogentüren durch „moderne“ ersetzt worden sind. Heinrich Wolter, dessen Name in der oberen Saumschwelle des Gebäudeteils mit der Hausnummer 9 steht, hat hier bereit 1893 stilgerechte Umbauten vornehmen lassen. Auffällig sind die drei großen fünfzackigen Sterne (Pentagramme, auch Drudenfuss genannt). Sie gehören zu den magischen Abwehrzeichen. Auf der oberen Saumschwelle von Nummer 9 steht: „in deinem Glück erheb dich nicht in deinem Unglück Vertzage nicht Bedenck Godz sey allen der Mann der Glück und Unglück wenden kann Wassmann Lakenmacher Esther Winckels.“
Mit großer Wahrscheinlichkeit war also dieses bedeutende Baudenkmal weit über 300 Jahre ein Gasthaus. Der große Hof bot dabei auch Platz für einen Ausspann. Es muss auch zu den besten am Ort gehört haben, denn im Oktober 1752 übernachtete hier der türkische Prinz Carl Alexander Fadine de Suilla Ali Bassa. Die Kosten für Kost und Logis in Höhe von drei Talern und sechs Groschen trug die Kämmereikasse. Dafür küsste der hohe Gast den „hochwohlgeborene und wohlweiße Herren und Räthe und Burge Meister ... die Hände ...“, wie es in einem überlieferten Dankschreiben heißt.
Ende des 17. Jahrhunderts gehörte das Gasthaus dem Schafmeister Andreas Kühne. Am 10. März 1843 übernahm es sein Enkel, der Gastwirt Andreas Löhr von seinen Eltern. Am 4. April 1864 ging es dann durch Verkauf für 5.200 Thaler Courant an den Weinküfer und Gastwirt Andreas Fench aus Anderbeck über. Dieser verkaufte es am 31. Oktober 1872 an den bereits erwähnten Gastwirt Heinrich Wolter. Danach hat das schöne alte Gasthaus noch mehrmals den Besitzer gewechselt. Die letzte Gastwirtin nach dem Kriege war Alma Alper. Nach ihrem Tode wurde diese traditionsreiche Gastwirtschaft im Jahre 1958 geschlossen.
Da die Nachkommen das Erbe ausschlugen, ging das Baudenkmal nunmehr in den Besitz der Stadt Osterwieck über. Die Osterwiecker Denkmalbrigade hatte danach mehrere Male Sicherungsarbeiten durchgeführt. Aber wenn ein Gebäude erst mal leer steht, ist es dem Verfall preisgegeben. Wenn auch eine künftige Nutzung als Gasthaus und Hotel vorzuziehen gewesen wäre, kann man doch froh sein, dass sich nunmehr ein Investor gefunden hat, der die Sanierung und Nutzung als Wohnhaus vornimmt.
Ein Besuch in der Stadt Osterwieck / Harz lohnt sich immer wieder. Osterwieck besitzt über 400 Fachwerkhäuser. Auch das Eulenspiegelhaus ist dort zu finden.
Großer Dank gilt dem Ehrenbürger der Stadt Osterwieck Theo Gille für die Erlaubnis, seinen Artikel zu veröffentlichen.
Herzlichen Dank an den Fremdenführer Raymond Faure für die Erlaubnis der Veröffentlichung seiner Bilder.
Vielen Dank an Frau Krebs vom Stadtmuseum. Das Museum feiert in 2010 seinen 80ten Geburtstag mit Unterstützung der Stadt Osterwieck.
Unter nachfolgendem Link bitte auch lesen: http://www.myheimat.de/linz-am-rhein/beitrag/18144...
Bitte auch folgenden Artikel lesen:
Sehr geehrte Frau Görgens,
Sie dürfen es veröffentlichen, aber immer die Quelle angeben.
1.Quelle - Ilsezeitung Osterwieck Fritz Gille
2.Quelle - Neuer Stadtführer Osterwieck Theo Gille
3.Quelle- Paul Eisert
4.Quelle- Fritz Gille
Paul Eisert und Fritz Gille waren unsere Museumsgründer am 7.Dezember 1930
5.Quelle- Karl Theodor Weigel
und die Mitarbeit des Heimatmuseums Osterwieck
1. Foto: Klaus Baier
Herzlichsten Gruß
Stadtinformation und Heimatmuseum
Ch.Krebs
Ein Besuch in Osterwieck lohnt in jedem Fall - ich war vor 15 Jahren so beeindruckt von Stadt und Umgebung, dass ich oller Niedersachse meine Koffer packte und seit 1998 hier in der Altstadt von Osterwieck wohne. Das Goethe-Filmprojekt erlebte ich hautnah - es war ein Erlebnis! (Siehe "Gänsefoto")